Leben mit Alzheimer
"Es war das totale Vergessen"

"Irgendwann habe ich gemerkt, dass das kein normales Vergessen ist. Es war das totale Vergessen", berichtet die Angehörige Brigitte.  | Foto: StunningArt/Shutterstock.com
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  • "Irgendwann habe ich gemerkt, dass das kein normales Vergessen ist. Es war das totale Vergessen", berichtet die Angehörige Brigitte.
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Am 21. September ist Welt-Alzheimertag. Brigitte, Frau eines Jungbetroffenen, spricht mit MeinBezirk.at offen über ihre Erfahrungen mit der Krankheit.

LEOBEN. Johann (Nachname der Redaktion bekannt) wird in wenigen Tagen 66 Jahre. Ein Alter, in dem Gedanken an Alzheimer noch weit weg sein sollten. Und doch liegt das Blatt Papier, auf dem "Morbus Alzheimer" schwarz auf weiß als Diagnose bestätigt ist, auf dem Küchentisch. Johann, pensionierter Tischler, ist rast- und ruhelos. Sitzen bleiben kann er nicht lange, dann muss er wieder ziellose Schritte durch die Wohnung machen. Besuch macht ihn nervös, der Blick wandert regelmäßig auf die Uhr. "Ich weiß nicht genau, wann die Krankheit ihren Anfang nahm, ich habe erst wahrgenommen, dass etwas nicht stimmt, als ich 2019 in Pension gegangen bin", erzählt seine Frau Brigitte, 64. Aber selbst in der nächsten Zeit blieb das Krankheitsbild diffus.

"Im Rückblick waren es anfangs Kleinigkeiten, denen man zuerst keine Bedeutung beimisst. Irgendwann aber habe ich gemerkt, dass das kein normales Vergessen ist. Es war das totale Vergessen, eben Gesagtes war vollkommen weg, Johann wusste oft nichts mehr davon. Er fand manchmal auch bestimmte Räume im Haus nicht, wie etwa die Toilette, oder wusste nicht mehr, wo er das Auto parkte. Und er konnte zuletzt Gesprächen mit anderen nicht mehr gut folgen und gab unpassende Antworten."
Brigitte, Angehörige

Alzheimer und Demenz dürfen kein Tabu sein, sondern ein Thema, über das offen gesprochen wird. | Foto: Pixabay
  • Alzheimer und Demenz dürfen kein Tabu sein, sondern ein Thema, über das offen gesprochen wird.
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Die Folge war immer mehr Rückzug. Auch sein Wesen  veränderte sich langsam. "Seit dem heurigen Jahr hatte er keine Lust mehr, ins Fitnessstudio zu gehen, er nahm an unseren gemeinsamen sportlichen Aktivitäten wie Radfahren oder Walken auch eher lustlos teil, obwohl wir noch heuer im April beim Anradeln in Radkersburg mit dabei waren", sagt die gelernte Einzelhandelskauffrau. "Aber es hat ihm nicht mehr so gefallen wie früher."

Über Nacht kam der große Einschnitt

Dass es Alzheimer, eine der häufigsten Formen einer demenziellen Erkrankung, sein könnte, stand das erste Mal vor etwa zweieinhalb Jahren im Raum, nachdem ein Test gemacht wurde, bei dem Johann 17 von 30 Punkten erreichte. Ein halbes Jahr später waren es nur noch acht Punkte. Bis zum heurigen Juli gab es zwar diese Anzeichen, dieses Vergessen, das langsam intensiver wurde, der Alltag war dadurch jedoch noch nicht beeinträchtigt. "Der gravierende Einschnitt kam schließlich Mitte Juli, quasi über Nacht. Er stand morgens auf und war nicht mehr er selbst. Ab diesem Zeitpunkt ist es immer mehr bergab gegangen, körperlich wie auch geistig", erzählt die zweifache Mutter und Oma. Mittlerweile kann sie mit ihrem Mann kein sinnvolles Gespräch mehr führen.

Ein wenig Zeit für sich selbst

"Unser ganzer Alltag richtet sich nur nach ihm, er sucht ständig meine Nähe. Ich habe null Freiraum, weswegen ab Oktober die Volkshilfe einmal pro Woche für vier Stunden zu uns kommen wird, damit ich etwas Zeit für mich selbst habe." Die einzige Zeit, die ihr momentan bleibt, sind zwei Stunden am Abend, nachdem ihr Mann um 20 Uhr zu Bett gegangen ist – und vor einer Nacht mit mehreren Unterbrechungen. "Ich bin in diesen zwei Stunden aber zu nichts mehr fähig, ich bin dann einfach nur für mich."

"Und wenn es nur reden ist"

Als größte Herausforderung sieht Brigitte derzeit die Unruhe ihres Mannes, dieses ständige Aufstehen und Herumgehen, die sich ständig wiederholenden Sätze und das konstante Auf-die-Uhr-schauen.

Claudia Knopper und Andrea Hohl von der Steirischen Alzheimerhilfe sind davon überzeugt, dass Reden hilft.  | Foto: Wagner
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Da gibt es dann diese verzweifelten Momente. Und der Wunsch nach Unterstützung, auch wenn es nur reden ist. "Diese Hilfe habe ich in der Steirischen Alzheimerhilfe ‚Salz‘ gefunden. Das monatliche Treffen mit Angehörigen anderer Betroffener tut gut. Man sollte sich schnellstens Hilfe suchen, um selbst bei Kräften zu bleiben." Der Gesellschaft möchte sie etwas mit auf den Weg geben: "Alzheimer kann jedem passieren, Betroffene sind nicht verrückt, sondern krank. Wir sollten offen darüber sprechen und endlich kein Tabu mehr daraus machen."

"Es gibt Mittel und Wege"

Dass es ganz wichtig ist, sich von Anfang an auszutauschen und Unterstützung für den Alltag zu suchen – auch um das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten –, bestätigt Andrea Hohl, "Salz"-Gesprächsrundenmoderatorin in Leoben. "Die Menschen sollen wissen, dass es Mittel und Wege gibt, um durch diese schwere Zeit zu kommen. Bei unseren Treffen stützen wir uns gegenseitig im Gespräch, erfahren aus dem Tun, es wird gelacht und geweint und auf diese Weise fühlt man sich aufgehoben", betont Andrea Hohl.


Info und Termine


  • Nach dem Welt-Alzheimertag wird am Freitag, 22. September, der Lange Tag der Demenz begangen. Beim Leobener Bauernmarkt in der Nähe des Hauptplatzes wird es einen Infostand geben, an dem Interessierte von 8 bis 12.30 Uhr professionelle Informationen und Beratung erhalten.

  • Gesprächsrunden für Angehörige von Menschen mit Alzheimer und Demenz finden in Leoben jeden dritten Montag im Monat von 17-19 Uhr im Gruppenraum der Sozialpsychiatrischen Tagesstruktur, Homanngasse 7-9, statt.
    Kontakt: SALZ Steirische Alzheimerhilfe, Andrea Hohl, 0676/4520400, info@steirische-alzheimerhilfe.at



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