Rainer Will vom Handelsverband
"Lebensmittelpreise werden weiter deutlich zulegen"

EInkaufen wird immer mehr zum Luxus: Öl und Fett, Kaffee, alkoholfreie Getränke und Gemüse sind jene Produkte, die von den aktuell größten Preissteigerungen betroffen sind. | Foto: RMA/Spitzauer
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  • EInkaufen wird immer mehr zum Luxus: Öl und Fett, Kaffee, alkoholfreie Getränke und Gemüse sind jene Produkte, die von den aktuell größten Preissteigerungen betroffen sind.
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Rainer Will ist seit 2014 Geschäftsführer des Handelsverbandes. Der gebürtige Schladminger spricht im Interview mit MeinBezirk.at über die immer noch währende Maskenpflicht im Handel, exorbitante Teuerungen im Energiesektor und bei Lebensmittel sowie über die Abhängigkeit von ausländischen Gästen für den regionalen Handel.

ÖSTERREICH. Die hohen Spritpreise waren vor zwei Monaten das dominante Gesprächsthema. Mittlerweile hat sich die Teuerungswelle auf nahezu alle Bereiche ausgeweitet. Welche Auswirkungen das auf den Handel und damit auch auf die Bevölkerung hat, erklärt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Die Maskenpflicht im "lebensnotwendigen Handel" wurde bis 8. Juli verlängert. Macht das überhaupt noch Sinn?
RAINER WILL: Nein. Die Unterscheidung zwischen jenen Orten, wo man hingehen muss und jenen, wo man hingehen kann, macht nur in Hoch-Pandemiephasen Sinn. Wenn in den nachweislichen Corona-Hotspots wie Bars, Nachtclubs und Diskotheken keine Maßnahmen mehr gelten und sich dort die Menschen gegen laute Musik anschreien und feiern, kommen sie ja danach in ihre Haushalte und damit zu ihren Eltern oder vulnerablen Großeltern zurück.
Daher ist es einfach zu kurz gedacht und bringt virologisch de facto nichts, die Maskenpflicht etwa im Lebensmittelhandel aufrechtzuerhalten und damit den Beschäftigten bei körperlich anstrengender Tätigkeit zuzumuten.

Zumal Ansteckungen in Geschäften die Ausnahme waren?
Der Handel war ohnehin nie ein Corona-Hotspot, dafür sind die Aufenthaltsdauern in den Geschäften zu kurz und der Kundenkontakt zu lose. Durch die Verlängerung der Maskenpflicht bis 8. Juli werden die 130.000 Beschäftigten im "lebensnotwendigen Handel" trotz steigender Temperaturen und sinkender Fallzahlen unnötig weiter belastet. Jeder Tag mehr ist gerade für die Angestellten unzumutbar, die täglich den ganzen Arbeitstag im Geschäft stehen.

Der gebürtige Schladminger Rainer Will ist Geschäftsführer des Handelsverbandes. | Foto: Stephan Doleschal
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Ist eine Aufhebung vor dem 8. Juli Ihrer Meinung nach realistisch?
Wir müssen weiter hart dafür kämpfen, denn die Beschäftigten haben es sich verdient, nach mehr als 24 Monaten fast durchgängiger Maskenpflicht endlich wieder durchatmen zu können. Gerade mit Blick auf den Herbst und Winter zählt jeder Tag Entlastung. Die Politik hat die Angestellten der kritischen Infrastruktur, zu denen auch die Mitarbeiter im Supermarkt, in den Drogeriemärkten oder im Tierfachhandel zählen, als "Helden der Krise" gefeiert. Warum werden jetzt genau diese Beschäftigten weiterhin belastet? Wir haben daher vor Ostern die Online-Petition "Held:innen der Krise entlasten" gestartet, (siehe unten) die bereits von mehr als 21.000 Unterstützern unterzeichnet wurde.

Die Preise für Lebensmittel steigen derzeit gefühlt von Woche zu Woche. Wie kann sichergestellt werden, dass die Kaufkraft der Bevölkerung nicht darunter leidet?
Die Inflation ist in Österreich im März mit 6,8 Prozent auf den höchsten Wert seit 1984 geklettert. Die Preise im Großhandel sind zuletzt mit +25,6 Prozent regelrecht explodiert. Wir arbeiten zwar dagegen, aber diese Teuerungswelle macht auch vor Lebensmitteln nicht halt. Die Auswirkungen der Inflation auf die Konsumausgaben sind jedenfalls gravierend: 53 Prozent der Österreicher haben ihre Ausgaben in den letzten Wochen eingeschränkt, 14 Prozent müssen sich aus finanziellen Gründen auf den Kauf lebensnotwendiger Güter beschränken.

Wie soll dagegen vorgegangen werden?

Natürlich ist jede Preissteigerung bei Grundnahrungsmitteln vor allem für Geringverdiener eine Herausforderung. Daher fordern wir dringend strukturelle Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung. Hier gilt es bei den astronomischen Energiepreisen anzusetzen und vor allem bei den zusätzlichen Einnahmen, die jetzt in die Staatskasse gespült werden.

Weil die Ukraine und Russland zu den weltgrößten Getreideproduzenten zählen, droht dem Handel hier ein Lieferengpass. | Foto: Pixabay
  • Weil die Ukraine und Russland zu den weltgrößten Getreideproduzenten zählen, droht dem Handel hier ein Lieferengpass.
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Das vier Milliarden Euro schwere Energiepaket der österreichischen Bundesregierung war ein erster Schritt, aber die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland werden wohl noch lange Zeit nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzung aufrecht sein. Wir haben einen Marathon vor uns und keinen Sprint. Daher müssen weitere strukturelle Maßnahmen zur Kaufkraft-Stabilisierung folgen, insbesondere die Abschaffung der kalten Progression oder die Anhebung der Steuerstufen, damit weniger Lohnsteuer fällig wird und mehr „netto“ vom „brutto“ bleibt. Das wäre verbraucherorientiert und würde den Niedrigverdienern am meisten helfen.

Bei welchen Produkten müssen wir weiterhin mit Preissteigerungen rechnen?

Aktuell steigen die Rohöl- und Gaspreise in historische Höhen, Heizen und Tanken ist in Europa so teuer wie selten zuvor. Hinzu kommen im Handel Lieferengpässe bei Produktgruppen wie Speiseöl, Tomatenmark und Mehl, immerhin zählen die Ukraine und Russland zu den weltgrößten Getreideproduzenten.
Schon die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie fragil die globalen Lieferketten sind. Steigende Energiepreise und fehlendes Logistikpersonal wirken jetzt wie Brandbeschleuniger, die unweigerlich zu einer Erhöhung der Betriebskosten führen. Das betrifft alle Wirtschaftsbereiche – von der Industrie über die Landwirtschaft und den Handel bis zum Tourismus.

Durch die fehlenden Erntehelfer aus der Ukraine ist bei Obst und Gemüse mit Preissteigerungen und Lieferverzögerungen zu rechnen. | Foto: Pixabay
  • Durch die fehlenden Erntehelfer aus der Ukraine ist bei Obst und Gemüse mit Preissteigerungen und Lieferverzögerungen zu rechnen.
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Und bei Lebensmittel?
Im Lebensmittelbereich sehen wir aktuell die stärksten Preissteigerungen bei Öl und Fett (+13,3%), Kaffee (+12,3%), alkoholfreien Getränken (+9,8%), Gemüse (+9%), Brot und Gebäck (+7,2%) sowie Milchprodukten (+5,5%). Die Lebensmittelpreise werden in den kommenden Wochen weiterhin deutlich zulegen, insbesondere als Folge der gestiegenen Energiekosten und Futtermittelpreise.
Bei Obst und Gemüse werden uns demnächst die Erntehelfer aus der Ukraine fehlen, sodass es hier ebenfalls zu substanziellen Preissteigerungen und Lieferverzögerungen kommen wird. Die Händler selbst kaufen bereits um 25,6 Prozent teurer ein, daher wird sich die Situation leider verschlechtern, das wird derzeit noch stark unterschätzt.

Alles wird teurer: Auf welche Dinge könntest du am leichtesten verzichten?

Muss der Staat Österreich hier einschreiten? Eventuell mit einem Exportstopp?
Die Sicherung der kritischen Infrastruktur, zu der auch der Lebensmittelhandel zählt, ist die elementare Basis. Der Staat muss eingreifen, wenn es zu einem krisenbedingten Marktversagen kommen kann. Wichtig ist, den Unterschied zwischen Beschaffungsengpässen und höheren Preisen für vorhandene Waren, die in der Produktion teurer werden, festzumachen. Der Ukraine-Krieg verstärkt zurzeit vor allem den Preisauftrieb bei Agrarrohstoffen und Betriebsmitteln wie Dünger. Natürlich bedeutet der Ausfall von Importen aus der Ukraine und Russland einen großen Einschnitt in die österreichische Versorgungslage – etwa bei Ölsaaten und Weizen, immerhin ist Österreich bei Getreide ein Nettoimportland.

Wie kann eingegriffen werden?
Ungarn und Serbien haben bereits durch Exporterschwernisse maßgebliche Schritte zur Absicherung der Ernährung in ihren Ländern getroffen. Allerdings ist das nur schwer mit den geltenden EU-Regeln vereinbar. Die Kommission prüft bereits, ob Ungarn mit seinem nationalen Exportverbot gegen EU-Recht verstößt. Wichtig ist ein Energie- und Treibstoffmonitoring, um reagieren zu können und auch die Lage bei wichtigen Gütern wie Futtermitteln im Auge zu haben. Es darf nicht passieren, dass angeschlagene Länder höhere Preise zahlen und die Fütterung der eigenen Nutztiere damit nicht mehr gesichert ist.

Durch die strenge Corona-Politik in China werden am Frachthafen Shanghai um 40 Prozent weniger Schiffe abfertigt. | Foto: Pexels
  • Durch die strenge Corona-Politik in China werden am Frachthafen Shanghai um 40 Prozent weniger Schiffe abfertigt.
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Mit Blick auf den größten Frachthafen der Welt in Shanghai, der derzeit durch die "Null-Covid-Strategie" um 40 Prozent weniger Schiffe abfertigt, erwarten wir in den nächsten drei Monaten weitere Lieferausfälle, auf die wir uns bereits einstellen. Die letzten Jahre haben unser Krisenmanagement geschärft, daher werden wir auch diese bewältigen.

Wie beurteilen Sie die Zweitwohnsitz-Diskussion in Ihrer Heimat im Ennstal aus der Sicht des Handelsverbandes? Profitiert der Handel durch "reichere" Gäste?
Es ist wichtig, die "goldene Mitte" und damit eine ausgewogene Verteilung zwischen Wohnmöglichkeiten für Einheimische und auswärtigen Wohnungseigentümern zu finden. Nur wenn beide Gruppen entsprechende Möglichkeiten haben, wird die Kaufkraft in der Region gehalten, denn Tagesgäste alleine tragen nicht ausreichend zur Wertschöpfung und zur Sicherung der Arbeitsplätze im Ennstal bei.
Die letzten beiden Pandemie-Jahre haben gezeigt, wie stark die Abhängigkeit von ausländischen Touristen für viele Geschäftstreibenden ist. Je kleiner der Handelsbetrieb, je weniger digital, je abhängiger vom Tourismus, desto dicker war das Umsatzminus.
Klar ist: Nur durch funktionierende Nahversorger und mutige Unternehmer:innen werden dauerhaft Steuereinnahmen für die Gemeinden und das Land erzielt, die wiederum als Investitionen unsere Region stärken.

Mehr Infos über die Online-Petition "Held:innen der Krise" gibt es hier.

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