Hanna Feingold
"Antisemitismus ist nach wie vor stark ausgeprägt"

"Niemals vergessen" – diese Worte stehen auf dem Gedenkstein bei der Synagoge, zeigt Hanna Feingold.  | Foto: Lisa Gold
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Hanna Feingold, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde und Witwe von Marko Feingold, im Gespräch über antisemitische Tendenzen in Salzburg und über den Umgang der Stadtpolitik zur Umbenennung des Makartstegs in Marko Feingold-Steg.

SALZBURG. Nach dem Tod von Marko Feingold, der im September 2019 als damals ältester Holocaust-Überlebender Österreichs mit 106 Jahren verstorben ist, hat seine Witwe Hanna Feingold seine Aufgaben als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg übernommen. In Salzburg zählt die Gemeinde derzeit rund 70 Mitglieder.

"Wir werden immer weniger", sagt die 1948 geborene Hanna Feingold und weist damit auf ein erhebliches Nachwuchsproblem hin. Seit einigen Jahren wieder zugenommen habe hingegen der Antisemitismus, wie sie im Stadtblatt-Interview schildert. Ebenso erklärt die Witwe von Marko Feingold, warum sie der Umgang der Politik mit nationalsozialistisch belasteten Namen von Straßen in der Stadt irritiere und warum es so wichtig sei, weiter gegen das "Vergessen der Gräueltaten zu Zeiten des Nationalsozialismus zu kämpfen."

Frau Feingold, Sie sind Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg. Wie viele Mitglieder zählt die Gemeinde und um welche Agenden kümmern Sie sich in dieser Funktion?
Hanna Feingold:
Als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde organisiere ich das religiöse Leben in der jüdischen Gemeinde und kümmere mich um die Synagoge und den jüdischen Friedhof. Es sind aktuell rund 70 Mitglieder, darunter auch einige Zugezogene. Wir werden immer weniger, unsere Gemeinde wird immer kleiner.

Viele Juden wollen sich auch gar nicht öffentlich als solche zu erkennen geben, aus Angst, Nachteile im Beruf zu erleben. Das sagt eigentlich alles. Ein befreundeter Arzt, der selbst kein Jude ist, hat im Wartezimmer seiner Ordination neben vielen anderen Zeitschriften auch eine jüdische aufgelegt. Daraufhin haben sich einige seiner Patienten beschwert, was das denn solle. Ein Lehrer hat mir auch berichtet, dass sich Kinder an der Schule mit "Du Jude" beschimpfen. So etwas passiert in Salzburg in den 2000er-Jahren, das sagt eigentlich alles.

Der Antisemitismus ist also nach wie vor vorhanden? Hat sich das in den vergangenen Jahren wieder verstärkt?
Hanna Feingold:
Der Antisemitismus ist vorhanden und stark ausgeprägt. Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen bei der Synagoge im Andräviertel deutlich verstärkt, bei religiösen Veranstaltungen überwachen Polizei und ein Sicherheitsdienst die Synagoge zusätzlich. Viele fürchten, dass durch die Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie der Antisemitismus noch ansteigt. Ich frage mich, warum man das überhaupt mit dem Judentum in Zusammenhang bringt? Aber die Angst ist da, ja. Man muss dazu sagen, dass es seit 1945 immer wieder Anstiege beim Antisemitismus gab, dann ist das Ganze wieder etwas abgeflacht. Das passierte oft in Kurven. Den Antisemitismus kann man nur an seinen Wurzeln bekämpfen.

"Niemals vergessen" – diese Worte stehen auf dem Gedenkstein bei der Synagoge, zeigt Hanna Feingold.  | Foto: Lisa Gold
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Sie sind Witwe des 2019 verstorbenen ältesten Holocaust-Überlebenden Marko Feingold, der stets als großer Mahner gegen "das Vergessen der Vergangenheit" aufgetreten ist und gekämpft hat. Vielfach auch an Schulen. Wie werden Sie das weiter fortsetzen?
Hanna Feingold:
Wir haben, auch als mein Mann noch lebte, Schüler und Lehrer zu uns in die Synagoge eingeladen. Hier hat Marko dann erzählt, was er erlebt hat. Die allerwenigsten Schüler haben zuvor eine Synagoge von innen gesehen. Das trifft auch auf die gesamte Bevölkerung zu – die wenigsten wissen, dass es in Salzburg eine Synagoge gibt.

Ich kann nicht als Zeitzeugin auftreten und erzählen, was mein Mann erlebt hat. Aber ich erzähle die Geschichte anhand der Synagoge. Für die nächste Zeit habe ich auch Salzburger Fremdenführer eingeladen. Ich halte es für wichtig, dass in der Bevölkerung mehr Interesse für das jüdische Leben geweckt wird und die Menschen wissen, dass es in Salzburg eine Synagoge gibt. Das können auch die Fremdenführer gut vermitteln.

Die Stadt Salzburg finanziert demnächst ein Schulprojekt, bei dem für alle vierten Klassen der städtischen Mittelschulen, die eine Exkursion zum ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen planen, die Kosten für den Bustransfer übernommen werden. Damit soll mehr Sensibilisierung geschaffen werden. Was halten Sie von dem Schulprojekt?
Hanna Feingold:
Projekte dieser Art sind immer zu begrüßen und wichtig. Die Geschichte darf niemals vergessen werden. Ich hätte der Stadt aber einen anderen Vorschlag gemacht und zwar für Schüler der Oberstufen. Es gibt den Verein "MoRaH" (March of Remembrance and Hope, Anm. der Red.), der Schülern ein Programm zu mehr Toleranz und Zivilcourage anbietet, und mit dem sie Zeitgeschichte lernen. Ein Programmpunkt ist die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung „March of the Living“ im ehemaligen  Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. (ehemaliges NS-Konzentrationslager in den während des Zweiten Weltkrieges besetzten polnischen Gebieten, Anm.der Redaktion).  Das Ganze umfasst ein dreitägiges Programm mit einer Stadtführung durch Krakau und Veranstaltungen. Die jungen Menschen erfahren dabei, dass es wichtig ist, zu gedenken und erleben gleichzeitig, dass das Leben weitergeht und mit Freude gefüllt werden soll.

Ein wesentliches Ihrer Anliegen ist die Umbenennung von nationalsozialistisch belasteten Straßennamen in der Stadt Salzburg. Wie empfinden Sie den Umgang der Politik mit diesem Thema?
Hanna Feingold:
Sehr irritierend. Aber das wird von der Politik entschieden, da kann ich nicht eingreifen. Aber ich empfinde es als irritierend, dass man auf der einen Seite mit teils sehr viel Aufwand den Antisemitismus wegbringen möchte und dieser gleichzeitig durch Straßennamen immer sichtbar ist. Wer zur Synagoge geht, kommt meist an der Stelzhamerstraße vorbei, wer zum jüdischen Friedhof geht, muss an der Valkenauerstraße vorbei. Nach Josef Thorak, der als Lieblingsbildhauer von Adolf Hitler galt, ist in Aigen eine Straße benannt. So wird der Antisemitismus stets sichtbar gemacht.

Nach vielen Diskussionen hat sich die Mehrheit in der Stadtpolitik dafür ausgesprochen, den Makartsteg zwischen linker und rechter Altstadt in "Marko-Feingold-Steg" umzubenennen. Sie selbst haben sich jedoch klar für eine Straße oder einen Platz mit einer Postadresse ausgesprochen. Wie geht es Ihnen heute damit?
Hanna Feingold:
Die politische Mehrheit war für die Umbenennung des Makartstegs, das muss ich zur Kenntnis nehmen. Ich habe mich klar für einen Straßennamen mit einer Postadresse ausgesprochen, es soll nicht nur einen symbolischen Charakter haben. Ich habe für die Churfürststraße plädiert, auch die Umbenennung der Stelzhamerstraße, die sich ja direkt neben der Synagoge befindet, wäre eine Option gewesen. Mir wurde im Rahmen dieser Diskussion gesagt, heutzutage würde ohnehin alles über E-Mail-Adressen laufen und Postadressen würden nicht mehr den Wert von früher haben. Aber das stimmt so nicht: Gerade bei wichtigen Dingen – etwa, wenn man zu einer Wahl geht – wird man ausschließlich nach der postalischen Wohnadresse gefragt.

Sind Sie über die politische Entscheidung enttäuscht?
Hanna Feingold:
Ja, ich bin enttäuscht darüber. Ich hätte mir hier ehrlich gesagt mehr Würdigung für meinen Mann von Seiten der Stadt erhofft und auch erwartet.

Marko Feingold hat in den vier Konzentrationslagern erfahren, zu welchen Verbrechen der Mensch fähig ist und hat die wohl grauenhafteste Form des "Mensch-Seins" erlebt. Dennoch hatte man den Eindruck, dass er sich seine Lebhaftigkeit und auch seine Lebensfreude bewahren konnte. Wie haben Sie das als seine Frau, die fast drei Jahrzehnte mit ihm verbracht hat, erlebt?
Hanna Feingold:
Er hatte stets ein Ziel: weiterleben. Marko hat versucht, das Erlebte beiseite zu schieben und hat sich auf das Leben in der Gegenwart fokussiert. Wenn er bei Vorträgen über die Vergangenheit erzählt hat, ist das natürlich immer wieder hochgekommen. Aber es war sein großes Herzensanliegen, dass die Menschen die Geschichte niemals vergessen.

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