Ratschenkinder unterwegs
Viel Lärm um ein altes Brauchtum und Handwerk

- Meist sind es Ministrantinnen und Ministranten, die mit den Ratschen das Gebetsläuten ersetzen.
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Vom Gründonnerstag bis zum Karsamstag schweigen die Glocken in den katholischen Kirchen. Man sagt, die Glocken seien nach Rom geflogen und kehren erst am Ostersonntag wieder zurück. Der Grund ist die Grabesruhe, das stille Gedenken an die Passion Christi. Inzwischen haben allerdings die Ratschen Hochsaison.
STEIERMARK. Ertönen die Glocken wieder, weil sie in ihre "Heimatkirchen" zurückgekehrt sind, haben die "Ratschenkinder" schon längst von sich hören lassen. Alles, was in Instrumentenform Lärm macht, tritt in der Karwoche an die Stelle der sonst läutenden Glocken. "Wir ratschen, wir ratschen, den Englischen Gruß, damit die Leut' (oder: jeder katholische Christ) wissen, dass man beten muss. Kniet's nieder, kniet's nieder auf eure Knie, bet's drei Vater Unser und ein Ave Marie", lautet der wohl bekannteste Spruch, der während des Ratschens gesprochen wird.
Der Englische Gruß ist eine Bezeichnung für die Grußworte des Erzengels Gabriel bei der Verkündung ("Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir") und wird als solcher schon seit dem Mittelalter bezeichnet. Mit "englisch" hat das aber wenig zu tun, das Wort leitet sich von "Engel" ab.
Man sagt, dass im Jahr 1482 die ersten Ratschenkinder am Karfreitag ihre Runden drehten, um an die Gebetszeiten um 6, 12 und 18 Uhr zu erinnern – die Kirchenglocken waren immerhin still und so sollten alle Gläubigen an den Gottesdienst erinnert werden. Das Ratschen in der Karwoche gehört in Österreich und der Steiermark dazu, 2015 wurde es sogar von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe anerkannt.
- Ursprünglich waren die Lärminstrumente hölzerne Gebetsanzeigetafeln, heute gibt es überall eigene Ratschenbaukurse, um das Handwerk und die Tradition aufrechtzuerhalten.

- Archivaufnahme aus dem Jahr 1962, als die Ratschenkinder durch die Gegend zogen und Lärm machten.
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Brauchtum weitergeben
Heute ziehen die Kinder, meist Ministrantinnen und Ministranten, durch die Straßen, ratschen und sagen die Sprüche auf und bekommen dafür Süßes geschenkt. Das Klappern der Ratschen muss von Weitem zu hören sein. Im Seelsorgeraum Rein, Graz-Umgebung, wo sich mit dem Stift Rein das weltälteste Zisterzienserkloster befindet, haben rund 40 Kinder und Jugendliche in Zusammenarbeit mit dem Reiner Handwerk – Verein zur Erhaltung von Handwerk, Kultur und landwirtschaftlicher Technik im Jahreskreis das Brauchtum des Ratschens wieder lebendig gemacht.
Tischler und Drechsler Johann Beer hat seine Werkstatt und sein Können zur Verfügung gestellt und den Kindern und Jugendlichen beim Basteln der eigenen Ratschen geholfen.

- In Rein konnten Kinder und Jugendliche das Brauchtum des Ratschenbauens erlernen.
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Außergewöhnliche Ratschen
In Oberwölz, Murau, wurde einst die größte Ratsche der Steiermark entdeckt: Als die Freiwillige Feuerwehr dabei half, den Kirchenturm zu entrümpeln, ist man auf ein Stück Geschichte gestoßen, eine Ratsche. Sie ist so groß, dass sie nicht zu tragen ist, kann aber wie eine Drehorgel angekurbelt werden und erzeugt so das Ratschen-Geräusch. Fünfzig Umdrehungen, dreimal hintereinander, dann ist in Oberwölz auch wieder Ruhe. In größeren Orten wurden anno dazumal das Gebetsläuten durch eine Turmratsche ersetzt.
Ein passendes Video dazu gibt's hier:
Einer der bekanntesten steirischen Ratschenbauer ist Franz Ederer aus St. Kathrein am Offenegg, Weiz. Der gelernte Wagner und Tischler, der auch 15 Jahre lang sein Handwerk in Stuttgart ausübte, hat sich dem Brauchtum mit Leib und Seele verschrieben. Ederer gibt unter anderem das Wissen um die sieben "Grundratschen" (Klapper-, Hammer-, Brett-, Flügel-, Fahnen-, Schubkarren- und Kastenratschen) weiter und wurde 2016 vom damaligen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer mit dem Heimatpreis ausgezeichnet. Ederers Bemühungen um den Bau der Ratschen ist es zu verdanken, dass die Tradition als Immaterielles Kulturerbe anerkannt wurde.
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