Welttag der Bildung
Bildungssystem, das "niemanden mehr ausschließt"
Zum Welttag der Bildung formulierten steirische Vertreterinnen und Vertreter von Lebenshilfe und Lehrerinnen-und Lehrergewerkschaft Forderungen für ein Bildungssystem, das "niemanden mehr ausschließt“.
GRAZ. „Ein inklusives Bildungssystem muss allen Kindern und Jugendlichen eine bestmögliche Bildung und Ausbildung ermöglichen, die ihre Individualität fördert und sie zu selbstbestimmten und verantwortungsvollen Persönlichkeiten für das zukünftige Leben heranwachsen lässt“, formulierte Sandra Walla-Trippl, Generalsekretärin der Lebenshilfe Steiermark, anlässliche des Welttages der Bildung.
Und weiter:
„Inklusive Bildung, die alle Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung einbezieht, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die niemanden mehr ausschießt.“
Sandra Walla-Trippl, Generalsekretärin Lebenshilfe Steiermark
Wahlfreiheit - und warum sie oft endet
Seit den 1990ern haben Eltern die Wahlfreiheit, Kinder mit einem besonderen Förderbedarf entweder in die Regelschule oder in eine Sonderschule zu schicken.
Von den statistisch für das Schuljahr 2020/21 erfassten 2.679 steirischen Schülerinnen und Schülern, welche aufgrund einer kognitiven, körperlichen oder Sinnesbehinderung sonderpädagogischen Förderbedarf hatten, besuchten 82 Prozent eine Regelschule.
Lediglich 18 Prozent dieser Kinder wurden in Sonderschulen unterrichtet. Vielfach entschieden sich Eltern für diesen Schultyp, da dieser den individuellen Bedürfnissen der Kinder besser angepasst ist. So gibt es Rückzugs- und Therapieräume und das Lerntempo wird individuell angepasst.
Mangelhaftes Angebot vor Ort
Walla-Trippl kritisiert jedoch, dass viele steirische Eltern aufgrund mangelnder inklusiver Angebote vor Ort sich „zwangsweise“ für eine Sonderschule entscheiden „müssen“. Das sei nicht nur keine Wahlfreiheit, sondern verstoße auch gegen das durch eine UN-Konvention aus dem Jahr 2008 verbriefte Menschenrecht auf inklusive Bildung.
Denn genau diese sei auch der Schlüssel zur eingangs erwähnten „Gesellschaft, die niemanden ausschließt.“
Jeder soll dazugehören
„Wenn es Orte gibt, an denen Kinder gemeinsam spielen, lernen und Erfahrungen sammeln können, werden sie es auch in Zukunft in allen Lebensbereichen als normal empfinden, miteinander zu leben. Es braucht eine positive Grundeinstellung: Jeder soll dazugehören. Und es darf nicht das Ob, sondern nur das Wie diskutiert werden“, fordert Walla-Trippl.
Inklusion auch im Sozialen
Dass jeder und jede zu einem großen Ganzen dazugehören darf und soll und die gleichen Chancen auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben erhalten soll, davon ist auch Bernhard Weniger überzeugt. Seit Jahrzehnten ist er als Lehrer und Didaktiker für Geschichte und Politische Bildung in Grazer Klassenzimmern und Hörsälen vertreten, aktuell etwa an der Pädagagogischen Hochschule Steiermark.
Seit einigen Jahren engagiert er sich nun auch politisch – er ist Landesvorsitzender der sozialdemokratischen Lehrerinnen und Lehrer in der Steiermark – für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem.
Gratis Hausübungsbegleitung
Eines seiner Projekte ist etwa die gratis Hausübungshilfe in Graz. Seit Jänner bietet man hier Kindern die Möglichkeit, gemeinsam mit Pädagoginnen und Pädagogen die Hausaufgabe zu meistern.
Denn einerseits hätten viele Heranwachsende zuhause schlicht nicht die Möglichkeit sich ungestört den Aufgaben zu widmen und gleichzeitig stünden auch Eltern durch die Anforderungen des Alltags oft nicht als Begleitung zur Verfügung.
„Ich will da auch niemanden einen Vorwurf machen. Ich kenne so viele Eltern, die einfach müde sind und nicht die Kraft haben, auch noch mit ihren Kindern die Hausübung zu machen.“,
stellt Weninger gleich klar.
Trotzdem wolle man auch diesen Kindern die Gelegenheit geben, einen erwachsenen Ansprechpartner für die Hausaufgaben zu haben und das Erledigen derselben auch als ein selbstverständliches Ritual im Leben der Kinder verankern.
Mehr Budget für Grazer "Brennpunktschulen"
Erfreut zeigt er sich auch darüber, dass in der Stadt Graz mittlerweile auch gelungen ist, dass der Chancen-Index der Arbeiterkammer für die Vergabe der Gelder an die Schulen der Stadt herangezogen wird.
Das führe dazu, dass Schulen, die aufgrund sozialer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Umstände einen höheren Bedarf an Förderangeboten haben (etwa an pädagogischem Unterstützungspersonal), auch mehr Gelder erhalten. Bildlicher formuliert: Wo’s mehr brennt, fließt auch mehr Wasser hin.
2. Hättest du es gewusst?
Laut dem Chancenindex der Arbeiterkammer schneiden Kinder von Eltern mit akademischen Abschlüssen im Schulfach Mathematik um 119 Testpunkte besser ab, als Kinder von Eltern, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben.
Im Alter von neun Jahren entspricht das einem Entwicklungsunterschied von sage und schreibe drei Schuljahren.
Eine Schule für alle - am Land eine Tatsache
Die zentrale Forderung für Weninger ist aber die gemeinsame Schule bis zum 14. Lebensjahr und die Ganztagesschule. Denn damit bekämen nicht nur alle Kinder die gleichen, sondern sogar die bestmöglichen Chancen für ihren weiteren Bildungs- und Lebensweg.
„Wir kennen ja alle schon lange die Forschungsergebnisse. Sämtliche Länder, die in Bildungsstudien wie zum Beispiel PISA am Besten abschließen, wie etwa Schweden oder Portugal, haben eine gemeinsame Schule.“,
gibt Weninger zu bedenken.
Das gleiche gelte für Schulen im ländlichen Bereich:
„Kaum jemand am Land schickt seine neunjährigen Kinder auf eine AHS, zu der sie erst einmal eine halbe Stunde mit dem Bus fahren müssen. Am Land gibt es de facto eine Gesamtschule und da sind die Bildungsergebnisse in den Mittelschulen wesentlich besser, als in den Städten“
Bernhard Weninger, Lehrer, Didaktiker und Gewerkschafter
Mehr Sachlichkeit, weniger Emotion
Für ihn gelte es nun, dass die Debatte von den überschäumenden Emotionen befreit wird, und frei von Ideologie auf einer wissenschaftlichen Basis geführt wird.
"Wir haben und kennen ja die Ergebnisse diverser internationaler Studien seit langem und wissen, dass es besser ist, Kinder nicht zu früh in unterschiedliche Schultypen aufzuteilen.", konstatiert er und plädiert dafür, diesem Wissen nun auch endlich Taten folgen zu lassen.
Gleichzeitig habe er aber auch Verständnis für Eltern gerade in städtischen Ballungszentren, die einfach nur eine gute und sichere Schule für ihre Kinder haben wollen.
Gerade von „Brennpunktschulen“ seien oft Meldungen zu vernehmen, die Eltern Sorgen bereiten woraufhin sie ihre Kinder dann in „bessere“ Schulen zu schicken, was im im städtischen Bereich eben of eine AHS ist.
Übrig bleiben Schulen mit enormen Herausforderugnen - und zu wenig Mittel um diesen angemessen zu begegnen.
Ein Lösungsvorschlag
Die Lösung der „Brennpunkt“-Problematik besteht für Weninger demnach nicht darin, Kinder mit neun Jahren zwischen Mittelschule und AHS aufzuteilen, sondern dafür zu sorgen, dass Kinder an allen Standorten bestmögliche und bedarfsgerechte Förderbedingungen vorfinden.
„Es darf einfach nicht sein, dass die Größe des Familien-SUVs darüber entscheidet, wie viel individuelle Förderung ein Kind bekommt“, verweist er auf das, was die Arbeiterkammer seit langem immer wieder feststellt, nämlich dass die Bildungskarriere eines Kindes auch heute noch vom sozialen und finanziellen Hintergrund der Eltern abhängt.
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