Kinderbetreuungsatlas
Steiermark bleibt Schlusslicht und fällt sogar wieder zurück

Präsentierten den 10. Kinderbetreuungsatlas: AK-Präsident Josef Pesserl, AK-Frauenreferatsleiterin Bernadette Pöcheim (l.) und Cordula Schlamadinger, Leiterin der Kinderdrehscheibe. | Foto: AK Stmk/Buchsteiner
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  • Präsentierten den 10. Kinderbetreuungsatlas: AK-Präsident Josef Pesserl, AK-Frauenreferatsleiterin Bernadette Pöcheim (l.) und Cordula Schlamadinger, Leiterin der Kinderdrehscheibe.
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Spätestens seit Bundeskanzler Karl Nehammer 4,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung in Aussicht gestellt hat, ist das Thema wieder prominent in den Schlagzeilen angekommen. Die Steiermark setzt hier - spät aber doch - seit geraumer Zeit massive Schritte für ein breiteres und besseres Angebot, doch unser Bundesland bleibt dennoch trauriges Schlusslicht und fällt in einigen Bereichen im Vergleich zu 2023 sogar zurück, wie der aktuelle Kinderbetreuungsatlas der AK Steiermark belegt.

STEIERMARK. "Eine junge Mutter aus dem Bezirk hatte bereits eine neue Stelle nach ihrer Karenz in Aussicht, einzig ihr fehlte die Betreuung für ihr Kind", schildert Cordula Schlamadinger, Leiterin der Kinderdrehscheibe Steiermark nur einen von unzähligen Fällen, in denen diese Plattform oftmals verzweifelte Eltern unterstützt. "Hier waren wir dann auch dank der Flexibilität der Mutter kreativ und das Kind ist am Vormittag in der Krippe untergebracht, wird dann von der Mutter abgeholt, in eine andere Gemeinde gebracht – wo die Mutter auch arbeitet – und dort weiter von einer Tagesmutter betreut", berichtet Schlamadinger. Annehmlichkeit schaut allerdings anders aus, ganz davon abgesehen, welchen finanziellen und logistischen Mehraufwand das für die Mutter bedeutet.

Derartige Situationen seien in einem "reichen Land wie Österreich nicht vertretbar", unterstreicht auch Bernadette Pöchheim, Leiterin der Abteilung Frauen & Gleichstellung der Arbeiterkammer Steiermark, die mit ihrem Team den bereits 10. Kinderbetreuungsatlas für die Steiermark verantwortet. Und auch nach zehn Jahren ist der Aufholbedarf nach wie vor groß. 

"Wir erleben in unseren täglichen Beratungen, dass Frauen in der Karenz ihre Jobs kündigen oder nur mehr in Teilzeitvarianten von maximal 12 Stunden in die Arbeitswelt zurückkehren, weil sie einfach keine Betreuungsmöglichkeit haben."
Bernadette Pöchheim, AK Steiermark

Laut Pöchheim gäbe es österreichweit rund 64.000 mehr arbeitende Frauen, wenn die Rahmenbedingungen besser wären. Den aktuellen Status Quo erhebt die AK Steiermark im Zuge des Kinderbetreuungsatlas, der die Situation nach Angebot – gestaffelt für alle Altersgruppen und nach Einrichtungen in allen Gemeinden – unter die Lupe nimmt. Die zehnte Auflage zeigt ein alarmierendes Bild.

Nur ein Viertel der Gemeinden ausreichend versorgt

Von 286 Gemeinden fallen in der aktuellen Auswertung nur mehr 70 Gemeinden in die sogenannte Kategorie 1A. Diese Kategorie bedeutet, dass die Gemeinden, die alle drei Kriterien für die Beurteilung der Kinderbetreuungseinrichtungen sowie die VIF-Kriterien erfüllen*. Zum Vergleich: 2022 waren es noch 74 Gemeinden, die diesen Standards gerecht wurden, das ist ein Minus von 2,5 Prozent

Die Kinderbetreuung in der Steiermark ist seit Jahren ein Problemfeld. Laut AK-Experten sei es zu lange verabsäumt worden, adäquate Maßnahmen zu setzen, um die nun prekäre Situation abzuwenden. | Foto: Land OÖ/Gerstmair
  • Die Kinderbetreuung in der Steiermark ist seit Jahren ein Problemfeld. Laut AK-Experten sei es zu lange verabsäumt worden, adäquate Maßnahmen zu setzen, um die nun prekäre Situation abzuwenden.
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153 Gemeinden wurden unter der Kategorie A, das ist die nächstbeste Kategorie, eingestuft. 20 Gemeinden, das sind knapp sieben Prozentbieten aktuell keine Betreuungsmöglichkeit für unter dreijährige Kinder an.
Zehn Gemeinden haben sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert, in 15 Gemeinden kam es zu einer Abstufung. Die Gründe dafür reichen von der Ausweitung der Tagesöffnungszeiten, der Ferienöffnungszeiten bis bin zum Vorhandensein von Tageseltern.


Aufgestufte Gemeinden:

  • Kainbach (GU) von Kat. A auf Kat. 1A -> hier gibt es weniger Schließwochen als 2022
  • Hartl ( HF) von Kat. B auf Kat. A -> hier ergibt sich die Aufstufung infolge einer Kooperation mit Nachbargemeinden
  • Lafnitz (HF) von Kat. A auf Kat. 1A -> hier gibt es weniger Schließwochen als 2022
  • Gabersdorf (LB) von Kat. B auf Kat. A -> hier gibt es nun eine Tagesmutter
  • Irdning-Donnersbachtal (LI) von Kat. B auf 1A -> hier gibt es nun Ganztagsbetreuung
  • Wildalpen (DL) von Kat. D auf C -> hier gibt es nun Betreuung für Unter-Dreijährige
  • Unzmarkt-Frauenburg (MT) von Kat. C auf Kat. B -> Betreuungsangebot um den Nachbarort bzw. den Nachbarort erweitert
  • Lobmingtal (MT) von Kat. B auf Kat. A -> neue Tagesmutter in der Gemeinde
  • St. Lamprecht (MU) von Kat. B auf Kat. 1A -> mehr Nachmittagsbetreuung, wodurch Kindergarten als Ganztags-Kiga gewertet wird
  • Ranten (MU) von Kat. D auf Kat. C -> hier gibt es nun Betreuung für Unter-Dreijährige
  • Quelle: AK Steiermark

    Auswirkungen auf das System

    Die Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft in Folge mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind bekannt: Es mangelt an qualifizierten Arbeitskräften. Während in der Steiermark die Teilzeitquote von Frauen bei über 51 Prozent liegt, verzeichnet Wien etwa "nur" 43,3 Prozent. "Hier wurde einfach schon viel früher reagiert und Maßnahmen gesetzt", schließt AK-Präsident Josef Pesserl aus den Entwicklungen. Die nun gesetzten und geplanten Schritte der Politik – Ausbau der Infrastruktur, Verkleinerung der Gruppengröße – seien natürlich wichtig und richtig, sie kämen nur weit verspätet, so Pesserl.
    Die von Bundeskanzler Nehammer in Aussicht gestellte Finanzierungsspritze hält er einstweilen für reine "Ankündigungen". "Da hat es ja noch kein einziges Gespräch, geschweige denn Ergebnis gegeben."

    Auch wenn aktuell viel passiert und investiert ist, bleibt der Status der Kinderbetreuung in der Steiermark weiter alarmierend. Unser Bundesland trägt EU-weit und innerhalb Österreichs die rote Laterne. | Foto: RegionalMedien Stmk.
    • Auch wenn aktuell viel passiert und investiert ist, bleibt der Status der Kinderbetreuung in der Steiermark weiter alarmierend. Unser Bundesland trägt EU-weit und innerhalb Österreichs die rote Laterne.
    • Foto: RegionalMedien Stmk.
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    Weit hinter EU-Vorgaben

    Eine Lanze brechen Arbeiterkammer und Cordula Schlamadinger jedenfalls für die Gemeinden. Sie täten alles, was in ihrer Macht stünde, um die Situation zu verbessern. "Es macht es nur nicht einfacher, wenn die Verantwortung von einem zum nächsten gespielt werde", kritisiert Pesserl, der diesen Ball klar bei der Politik sieht. Die Forderungen folgen auf dem Fuße: Laut AK solle es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. Lebensjahr des Kindes geben, dies sei etwa in Deutschland bewährter Usus. Der Kindergartenbesuch sollten in den letzten beiden Jahren vor Schuleintritt kostenlos sein und es erfordere ein einheitliches Bundesrahmengesetz zu den Öffnungszeiten. Nicht zuletzt müsse oberstes Ziel die Erreichung der Barcelona-Ziele sein.

    20 Jahren sind mittlerweile seit dem Kongress von Barcelona vergangen, bei dem innerhalb der EU vereinbart wurde, bis 2010 die Versorgungsquote an Kinderbetreuungsplätzen für unter Dreijährige auf 33 Prozent zu erhöhen. Österreich und die Steiermark hinkte hier bis zuletzt mit knapp 20 Prozent weit hinterher. Und es wird nicht besser: Die Barcelona-Ziele wurden Ende 2022 auf 45 Prozent erhöht. Österreich und hier besonders die Steiermark tragen weiter die unrühmliche rote Laterne.

    Warnruf der Industrie

    Bestärkt in ihrem Einsatz für einen Ausbau der Kinderbetreuungsplätze sieht sich durch die aktuellen Zahlen die Junge Industrie Steiermark. Sie fordert vor diesem Hintergrund einen klaren Stufenplan. In die Infrastruktur zu investieren ist wesentlich, diese mit Leben zu füllen aber wohl die noch größere Aufgabe. "Seit Jahren plädieren wir für eine Ausbildungsoffensive gepaart mit einer Aufwertung des Berufs der Elementarpädagogin und des Elementarpädagogen. Sie sind der Schlüssel, damit mehr Kinderbetreuung in der Steiermark überhaupt gelingen kann – die avisierten Mittel müssen daher zielgerichtet eingesetzt werden", erklärt dazu Dominik Santner, Vorsitzender der Jungen Industrie Steiermark. Kinderbildung müsse weiter an Stellenwert gewinnen, da sie einen wesentlichen Teil der Basis für die Zukunft unserer Kinder darstelle. 

    Mehr Infos zum Kinderbetreuungsatlas 2023.

    *Kriterien der Beurteilung
    Für die Beurteilung der Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen wurden folgende drei Kriterien herangezogen:

    1. Das Vorhandensein einer Kinderkrippe bzw. die Möglichkeit, Kinder unter drei Jahren in einer Alterserweiterten Gruppe, im Kinderhaus oder bei Tageseltern, sowie Betriebstageseltern betreuen zu lassen.
    2. Das Vorhandensein eines Ganztagskindergartens, der mindestens acht Stunden täglich an zumindest vier Tagen pro Woche geöffnet ist.
    3. Das Vorhandensein einer Nachmittagsbetreuung für Volksschulkinder an mindestens vier Tagen pro Woche bis mind. 15 Uhr, wobei nicht zwischen ganztägig geführten Volksschulen, Horten, einer bestehenden Mitbetreuung von Volksschulkindern an den Schulen benachbarter Gemeinden, in einer Alterserweiterten Gruppe, im Kinderhaus oder anderen Formen unterschieden wurde.

    Zusätzlich wurde der sogenannte Vereinbarkeitsindikator für Familie und Beruf (VIF) zur Bewertung herangezogen. Dieser umfasst folgendes:

    VIF-Kriterien
    Das Vorhandensein einer institutionellen Betreuung für Kinder unter 3 Jahren:
    Kinderkrippe, Alterserweiterte Gruppe, Kinderhaus, Betriebstageseltern.

    Zusätzlich müssen drei weitere Kriterien für die Betreuung von 3-6-Jährigen erfüllt sein:
    1. mindestens 45 Stunden wöchentliche Öffnungszeit
    2. an vier Tagen pro Woche mindestens 9,5 Stunden geöffnet
    3. maximal fünf Wochen im Jahr geschlossen
    (Quelle: AK Steiermark)

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