Kritik an Lockerungen und Massentests
Univ.-Prof. Weiss: "Corona ist nicht durch"

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss sieht die Lockerungen kritisch.
  • Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss sieht die Lockerungen kritisch.
  • hochgeladen von Sieghard Krabichler

Univ.-Prof. Günter Weiss, Direktor der Inneren Medizin II in Innsbruck, ist ein Experte für Infektiologie.

RegionalMedien Tirol: Sie haben seit zwei Jahren intensiv mit Coronapatienten zu tun. Wie geht es Ihnen und Ihrem Personal an der Inneren Medizin?
Univ.-Prof. Günter Weiss:
"Wir sind von der gesamten Situation ausgelaugt. Dazu kommt die prekäre personelle Situation, die durch Krankheitsausfälle noch verschärft wird. Durch die Coronapandemie und die damit verbundenen Probleme kommen oft andere notwendige Behandlungen zu kurz. Eine schwierige Situation, nicht nur bei uns auf der Inneren Medizin."

Sie standen in unzähligen Pressekonferenzen während der Pandemie mit der Landespolitik im Mittelpunkt. Notwendig oder belastend?
"Zu Beginn der Pandemie wurde ich oft aus medizinischen Gründen von Medien und vom Land kontaktiert, um sachliche Informationen und Einschätzungen zu geben. Mit der Zeit sind aber Fragen weit über das Medizinische hinaus gestellt worden, speziell über politische Entscheidungen. Diese zu kommentieren, war und bin ich nicht kompetent, unabhängig von meiner privaten Meinung. Insgesamt ist der Job der politischen Entscheidungsträger in der Pandemie alles andere als einfach."

Seit 5. März sind vielfältige Lockerungen in Kraft. Sind Omikron und somit die Coronapandemie durch?
"Nein, Corona ist nicht durch, ich sehe die Lockerungen sehr kritisch und habe große Bedenken. Natürlich können Maßnahmen aufgrund der geringeren Schwere der Erkrankung und des besseren immunologischen Schutzes schrittweise gelockert werden. Aber nun alles gleichzeitig zu öffnen, halte ich für fahrlässig und es ist das falsche Signal, dass die Pandemie vorbei ist. Wir sind auf den Normalstationen sehr belastet, und die Zahlen werden steigen. Gerade die Maskenpflicht in Innenräumen v. a. bei Veranstaltungen – als sehr effektive Maßnahme – hätte ich zumindest beibehalten."

Viele haben sich in den letzten Monaten mit Omikron infiziert. Braucht es da noch eine Boosterimpfung?
"Eine Infektion bringt natürlich eine breite Immunantwort. Darum sollte nach etwa sechs Monaten nach der Infektion die Boosterimpfung erfolgen, um den Immunschutz aufzufrischen und zu verlängern. Und ohne frühere Infektion sollte die Impfung nach den empfohlenen Schemata erfolgen. Auch wenn sich das Virus verändert, so verhindert die Impfung sehr gut schwere Verläufe."

Und der „vierte Stich“?
"Der vierte Stich ist derzeit noch in Schwebe. Zu kurze Impfintervalle bringen oft nicht den gewünschten Erfolg, das Immunsystem braucht einfach seine Zeit, um Gedächtniszellen zu reaktivieren. Darum sollte hier noch zugewartet werden, bis wir mehr Informationen über das optimale Intervall haben und auch auf adaptierte Impfstoffe zurückgreifen können."

Wird Corona also in Zukunft eher eine „epidemische Winterkrankheit“ mit jährlicher Impfung bleiben?
"Das ist es, was wir für die Zukunft hoffen. Eine wichtige Rolle wird dabei spielen, wie sich das Infektionsgeschehen weltweit entwickelt. Geringe Zahlen nur in Europa sind – wenn weltweit keine Reduktion stattfindet – zu wenig. Denn je größer die Infektionszahlen, umso größer ist die Gefahr einer neuen Mutation. Die Chancen, Corona durch eine Impfauffrischung vor allem von gefährdeten Personen – ähnlich der Influenzaimpfung – in den Griff zu bekommen, sind aber durchaus gut.“

"Macht für Sie – so wie geplant – die Impfpflicht überhaupt noch Sinn?
"Die Impfpflicht ist mittlerweile ein politisch determiniertes Thema und hat die medizinisch rationale Ebene verlassen. Für die Omikronphase wird uns die Impfpflicht nicht mehr viel bringen und ist in diesem Zusammenhang auch anders zu bewerten als mit der Deltavariante. Es wäre an der Zeit, die Für und Wider der Impfpflicht neu zu diskutieren. Leider hat man es in Europa nicht geschafft, eine gemeinsame Strategie gegen die Pandemie zu entwickeln. Sei es bei der Impfung oder beim Testen."

Sie galten immer als Kritiker der Massentests. Sollten die Tests in absehbarer Zeit kostenpflichtig werden?
"Im Endeffekt muss es in diese Richtung gehen, damit die Allgemeinheit nicht weiter diese Massentests bezahlen muss. Coronatests sollten medizinisch auf Basis einer Symptomatik oder Verdachtsdiagnose begründet sein. Dann wäre es eine Kassenleistung. Es gehört symptombasiert getestet und keine Massentests an Gesunden durchgeführt. Das hat uns in der Pandemiebekämpfung im Vergleich zu unseren Nachbarländern nichts gebracht. Bei der Teststrategie wurde leider auch auf Quantität statt Qualität gesetzt."

Laut Statistiken waren in der Coronazeit die Vorsorgeuntersuchungen stark rückläufig. Auch in Tirol ein Trend?
"Ja, das ist ein Problem, viele Patienten haben die Vorsorgeuntersuchungen nicht mehr wahrgenommen und auch Termine verschoben. Aber auch andere Vorsorgeprogramme wie die Schulimpfungen oder die Impfvorsorge gegen Gebärmutterhalskrebs sind fast völlig zum Erliegen gekommen. Da ist viel Schaden angerichtet worden, der erst in den nächsten Jahren sichtbar wird. Hier gilt es, diese Versäumnisse rasch aufzuholen. Eines muss aber klar sein: Mit Corona werden wir weiterhin leben müssen, unabhängig davon, wie sich das Virus weiterentwickelt."

Wie sieht es an Ihrer Klinik generell mit der Personalsituation aus?
"Sehr angespannt. Corona bringt das Personal an die Grenzen. Dazu kommen sehr viele versorgungsbedürftige, nicht an COVID-19 erkrankte Patienten, die ebenfalls bestmöglich behandelt werden müssen – allerdings bei schwindenden Ressourcen, vor allem was die räumliche Unterbringung oder die personelle Versorgung betrifft. Zeitweise war bis zu einem Drittel des Personals ausgefallen. Daneben gibt es auch längerfristige Probleme, speziell in der Pflege fehlt Personal."

Die aktuellen Coronazahlen aus Tirol findet ihr hier:

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