Fachtagung in Wien
Einer von zehn Buben ist Opfer sexualisierter Gewalt
Laut aktuellen Studien ist jedes zehnte männliche Kind bis zum Erreichen der Volljährigkeit irgendeiner Form von sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Dabei werde diese oft nicht wahrgenommen, da stereotypes Denken vorherrsche.
WIEN. Zu einer Fachtagung lädt die Männerberatung Wien mit Anfang März. Denn neueste Studien zeigen ein erschütterndes Bild: Einer von zehn Burschen wird demnach Opfer von irgendeiner Form von sexualisierter Gewalt. Dazu zählen ungewollte Berührungen mit sexuellen Absichten, Belästigungen im Internet oder in sozialen Medien sowie sexueller Missbrauch und mehr.
Üblicherweise kennen sich Bub und Täter bzw. Täterin, es handelt sich also um vertraute Personen. Deswegen kann es später schwer sein, wieder Vertrauen aufzubauen, so die Männerberatung. Besonders prekär sei, dass nicht nur hier ein Vertrauensbruch zum Opfer entsteht. Vielmehr werde oft auch weggesehen, so die Männerberatung per Aussendung.
"Ein wesentlicher Grund fürs 'Wegschauen' sind stereotype Geschlechterkonstruktionen, Mythen und Männlichkeitsbilder. Buben*, Burschen* und Männern* wird seitens der Gesellschaft mehrheitlich die Rolle des Täters zugeschrieben – als Opfer bleiben sie jedoch im toten Winkel der Wahrnehmung", prangert die Männerberatung an. Das soziale Umfeld der Betroffenen habe oft einen "blinden Fleck, wenn es um sexualisierte Gewalt gegen männliche* Opfer geht. Auch in Familien wird das Risiko, dass der Sohn, Bruder, Cousin, etc. in diesem Kontext zum Opfer werden könnte, weitgehend verdrängt oder gar ausgeschlossen."
Gewalt im System als Problem
Ein großes Problem gibt es laut der Männerberatung auch in Heimen, Schulen und Kindergärten – nämlich strukturelle Gewalt. Bei der Männerberatung zitiert man eine Wiener Heimkinder Studie aus dem Jahr 2018, wonach über 60 Prozent der ehemaligen männlichen Heimkinder Opfer von Gewalt - darunter auch sexueller Missbrauch - wurden. Schätzungen aus dem Dunkelfeld liegen hier noch weit höher.
"Zu den psychischen Folgen erlittener Gewalt zählen vielfältige und teils massive Langzeitfolgen, wie etwa die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung“, erklärt Hubert Steger, Klinischer Psychologe und Bereichsleiter bei der Männerberatung. Mit der Fachtagung am 4. März möchte man einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zu sexualisierter Gewalt bei Buben geben. Gleichzeitig sollen effektive Präventions- und Interventionsstrategien für die pädagogische Arbeit entwickelt werden. Das Motto: "Hinschauen und zuhören!". Man möchte der Opfer-Perspektive eine Stimme geben.
"Es müssen Angebote geschaffen werden, für Jungen*, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Und diese müssen als solche erkennbar sein. Es hilft nichts, wenn die Anbieter*innen, betroffene Buben* und Burschen* mitdenken, es muss für die Betroffenen sichtbar sein, dass sie gemeint sind. Dies sind dringende Aufgaben, denn sonst fragen auch in Zukunft betroffene Jungen*: Warum hat mir niemand geholfen?", versichert Thomas Schlingmann, Gründer von Tauwetter Berling, einer Anlaufstelle für als Junge sexuell missbrauchte Männer.
Weitere Themen:
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.