1938-2022
Künstler Hermann Nitsch ist mit 83 Jahren verstorben
Hermann Nitsch ist tot. Der Wiener Maler und Aktionskünstler starb am Ostermontag im Alter von 83 Jahren. Nitsch blieb auch im hohen Alter streitbar und hinterlässt ein oft kontrovers diskutiertes künstlerisches Werk.
WIEN. In Alter von 83 Jahren starb am Abend des Ostermontags, 18. April, nun der Wiener Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch, dessen künstlerisches Schaffen über Jahrzehnte gefeiert, aber auch kritisiert worden ist. Der Künstler hinterlässt seine Frau Rita und einen Adoptivsohn.
"Die Blutorgel" hieß bezeichnenderweise Nitsch' Erstlingswerk: Die dreiteilige Aktion führte er 1962 gemeinsam mit Adolf Frohner und Otto Mühl im Rahmen des Wiener Aktionismus auf. In diese Zeit fiel auch die Entwicklung der Hauptgedanken seiner Orgien-Mysterien-Theater, in die er in den folgenden Jahrzehnten mit ebensoviel Einsatz von (Tier- und Theater-)Blut alle bedeutenden Kunstformen wie Malerei, Architektur, Musik, Opferritual, aber auch Messliturgie, miteinbezog.
Sterben, um das Leben zu verstehen
Ziel seiner Aktionen war stets, die Sinne aller Teilnehmer in künstlerischen Todesritualen bis aufs Äußerste anzuspannen, um so auf einem Höhepunkt schließlich die Erkenntnis des Lebensprozesses an sich zu ermöglichen. In diesem Sinne waren großformatig-blutüberströmte Schüttbilder Nitsch' Markenzeichen, für die er gleichermaßen gefeiert und als "barbarischer Blutkünstler" herabgewürdigt wurde.
"Todesangst gehabt"
Geboren am 29. August 1938 in Wien war des Künstlers Kindheit von Kriegswirren geprägt. Der Vater war im Zweiten Weltkrieg gefallen, Nitsch wurde von seiner Mutter alleine aufgezogen. „Ich habe in diesem Alter schon wirklich Todesangst gehabt und begriffen, was es heißt, zu sterben, die Wohnung zu verlieren und kein Zuhause zu haben", wird Nitsch in einem Katalogtext zitiert. "Ich glaube schon, dass diese dramatische Situation etwas bei mir hinterlassen hat."
Der spätere Künstler besuchte die "Graphische" - die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in der Penzinger Leyserstraße - und arbeitete dann als Gebrauchsgrafiker im Technischen Museum, bevor die ersten Malaktionen entstanden. Zeit seines Lebens beschäftigte sich Nitsch intensiv mit religiösen Themen, die er stets in seine Kunst einfließen ließ - ursprünglich wollte er sogar Kirchenmaler werden, seine Diplomarbeit an der "Graphischen" war ein Bibelumschlag.
Tierkadaver und Kreuzigungen
Hermann Nitschs Weltbild war ebenso wie seine Kunst stark von mystischen Autoren, aber unter anderen auch Schriftstellern wie de Sade, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Antonin Artaud geprägt. In seinen vom Publikum später oft mit Ekel und Abscheu aufgenommenen Orgien-Mysterien-Theater verband der Künstler echte Tierkadaver mitsamt großen Mengen Bluts mit religiösen Inhalten wie Kreuzigung und unbefleckter Empfängnis. Die Reflexion über im Alltag oft verdrängte symbolische Inhalte wie Blut und Tod sollten zur Reflexion und schließlich zur Katharsis - also zur seelischen Reinigung - führen.
Auszeichnungen und zwei Museen
An Auszeichnungen mangelte es Nitsch keineswegs: Der Österreichische Kunstpreis für bildende Kunst (1984) und der Große Österreichische Staatspreis für bildende Kunst (2005) gehören dazu. Schon zu Lebzeiten wurden ihm zwei Museen gewidmet - in Mistelbach und Neapel. Unabhängig davon stiegen im Rahmen von Nitsch' Kunstaktionen nicht nur Tierschützer, sondern auch Kritiker aus dem christlich-konservativen Lager regelmäßig auf die Barrikaden.
Trauer um Nitsch
„Sein Wirken ließ niemanden kalt", erklärte Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Tod von Nitsch: „Mit ausdrucksstarken Bildern und Aufsehen erregenden Aktionen hat er die heimische Kunstwelt neu definiert. Österreich trauert um einen unbestechlichen und faszinierenden Maler und einen beeindruckenden Menschen. Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss“, so der Bundespräsident.
Auch Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer würdigte den Künstler: „Heute hat uns ein wahrhaft einzigartiger Künstler verlassen. Mit den Orgien-Mysterien-Spielen hat Nitsch die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert. Was mich persönlich an Nitsch beeindruckt hat, ist seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik, die ihm vor allem zu Beginn entgegengeschlagen ist“, so Mayer.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bedauert Hermann Nitschs Tod als „großen Verlust für die heimische und internationale Kunstszene. Er schuf Gesamtkunstwerke und war auch immer selbst Teil davon – sein Tod ist ein großer Verlust für die bildende Kunst", so Ludwig. „Zunächst als ,Blutkünstler‘ bekämpft und angefeindet, schaffte es Nitsch durch Konsequenz und Hartnäckigkeit, aber auch durch die große Vielfalt seiner Kunst – so inszenierte er am Wiener Burgtheater und an der Wiener Staatsoper und stattete in Bayreuth die ,Walküre‘ aus - zu einem der weltweit wichtigsten Künstler unserer Stadt und unseres Landes zu werden.“
"Großartiger Universalkünstler"
Niederösterreich spielte im Leben und Werk von Nitsch über Jahrzehnte eine wesentliche Rolle: 1971 kaufte er das Schloss Prinzendorf aus dem Besitz der Kirche, wo er infolge regelmäßig seine Orgien-Mysterien-Theater aufführte. "Hermann Nitsch war ein Künstler von Weltrang und einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler überhaupt", so Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Mit dem Nitsch-Museum in Mistelbach habe das Land Niederösterreich „diesem großartigen Universalkünstler ein bleibendes Denkmal gesetzt. "Ich bin sicher, noch viele Generationen werden dieses Museum besuchen, um sich von seinen Werken inspirieren und begeistern zu lassen.“
Auch Neos-Kultursprecherin Julia Seidl zeigte sich betroffen: „Österreich verliert einen Ausnahmekünstler, der sich nie davon abbringen ließ, mit seinen Arbeiten zu berühren und aufzuwühlen, zu begeistern und zu provozieren. Ich habe Nitsch durch seine Arbeiten immer als einen durch und durch mutigen Menschen wahrgenommen. Ein Künstler, der sich von nichts und niemandem abbringen ließ, mit seinen Arbeiten die Menschen emotional zu berühren und aufzuwühlen, zu begeistern und zu provozieren und damit zum Nachdenken anzuregen.“
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