SPÖ-Kandidat Nikolaus Kowall
"Derzeit schauts nach absolutem Chaos aus"
Nikolaus Kowall bewarb sich für den Parteivorsitz in der Bundes-SPÖ. Der Bezirkspolitiker aus Wien-Alsergrund über seine zentralen Wahlkampfthemen, den Umgang der SPÖ mit dem Thema Klimaschutz und einen zeitgemäßen Umgang seiner Partei mit sexuellen Übergriffen.
WIEN/ALSERGRUND. Vor einigen Tagen war sein Name in Österreich weitgehend unbekannt: Nikolaus Kowall. Doch am Dienstag, 21. Februar, kündigte der stellvertrende Parteivorsitzende der SPÖ Alsergrund plötzlich an, für den Parteivorsitz der Bundes-SPÖ kandidieren zu wollen. So machte er plötzlich im Alleingang aus einer Zwei-Personen-Wahl einen Wettkampf mit mehreren MItstreiterinnen und MItstreitern. Doch für welche Inhalte steht er eigentlich?
Herr Kowall, sie wollten erreichen, dass mehr Kandidaten um den Parteivorsitz der SPÖ zur Wahl stehen als Hans Peter Doskozil und Pamela Rendi-Wagner. Haben Sie ihr Ziel erreicht?
NIKOLAUS KOWALL: Halb erreicht. Eigentlich war das Ziel, dass ein ordentliches Prozedere entwickelt wird, wie Parteiendemokratie in der SPÖ zukünftig funktioniert. Das hätte geheißen, man hätte in diesem Fall zwei Mitgliederbefragungen hintereinander durchführen müssen, mit einer zweiten Befragung als Stichwahl zwischen zwei Kandidaten. Und man hätte klare Verfahrensregeln für den ganzen Vorgang festlegen müssen. Jetzt kann einfach jeder kandidieren.
Welche Regeln?
Wir als Sektion 8 haben für solche Fälle immer gefordert, dass es 500 Unterschriften für eine Kandidatur braucht. Ob das schlau ist, wie der Prozess jetzt abläuft ... eine Demokratie braucht immer Regeln. Derzeit schauts nach absolutem Chaos aus. Mein Ziel, mehr als zwei Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl zuzulassen, das hat aber funktioniert.
Was der SPÖ jetzt blüht, ist ein Wahlkampf zwischen mehreren Kandidatinnen und Kandidaten. Was sind denn für Sie die drei zentralen Themen in so einem Wahlkampf?
Mein Ursprungsthema, ich bin ja Volkswirt, sind eigentlich Verteilungsfragen. Wir waren vor 15 Jahren eine der stärksten Verteilungslobbys in der ganzen Partei, als die SPÖ noch nicht für Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern war.
Das zweite Thema?
Das zweite Thema ist die Migration. Das ist aus Sicht vieler SPÖler abgekoppelt von der Verteilungsfrage oder von der Sozialstaatsfrage. Wenn aber nun zum Beispiel die Rechten das Thema Mindestsicherung mit dem Asylwesen und der Migration verknüpfen, dann schießen sie so über die rassistische Bande auf die Mindestsicherung. Denn am Ende wird die Mindestsicherung gekürzt, und zwar für alle. Das lässt wieder die Abstiegsängste der Mitte steigen, und von dieser Panik profitieren wieder die Rechten. Das heißt, ich möchte diese Verteilungs- und Sozialstaatsfrage thematisieren, ich möchte die Migrationsfrage adressieren und den engen Zusammenhang aufzeigen.
Und Thema drei?
Das dritte Thema ist die Partei selber. Ich glaube, dass sich die Partei in den letzten Jahrzehnten von einer breiten gesellschaftlichen Kraft zu einer engen, abgekapselten, nicht mehr weit strahlenden Organisation verengt hat.
Zum Migrationsthema: Das ist doch ein klassisches Problem der Linken. Eine rechte Argumentation wäre, Ausländerinnen und Ausländer sind allgemein kriminell, weil in der Kriminalstatistik viele Menschen mit Migrationshintergrund aufscheinen. Was entgegnen Sie dieser Argumentationskette?
Ich kann Ihnen jetzt die präzise sozialwissenschaftliche Antwort geben. Das, was früher sozusagen das österreichische kriminelle Milieu war, ist heute ausgedünnt oder sozial aufgestiegen. Und jetzt übernimmt dieses Milieu sozusagen eine migrantische Gruppe. Glauben Sie, in den 60er Jahren gab es keine Kinder im Gemeindebau, die den Alten auf den Zeiger gegangen sind? Das waren halt der Hansi und die Susi und nicht der Murat und die Aischa.
Das heißt?
Also manche Spannungen erklären sich aus dem Generationenverständis, manche über die Sozialstruktur. All das war immer schon so . Nur, dass die soziale Deklassierung jetzt eine Hautfarbe bekommt. Das ist eine Sache, die ist nicht ganz einfach zu erklären, aber das ist wahr. Und deshalb muss man es trotzdem versuchen.
Wie würden Sie das in einem Bierzelt erklären? Muss die SPÖ da mehr rein?
Ich kann ihnen jetzt nicht, nachdem ich Ihnen vorgestern meine Kandidatur bekannt gegeben habe, schon alle fertigen Kommunikationsstrategien auf den Tisch knallen. Ich kann nur sagen, ich möchte diesen Austausch suchen, auch im Bierzelt. Ich möchte, dass wir ganz aktiv auf die Leute zugehen und ab und an auch mit ihnen streiten. Ich glaube, ich kriege mehr Respekt, wenn ich mit den Leuten streite. Und vielleicht überzeugen wir auch manche.
Sie sprachen auch von Veränderung der SPÖ. Am Alsergrund, wo Sie stellvertretender Vorsitzender der Bezirkspartei sind, gab es einen Fall von sexueller Grenzüberschreitung. Ein beschuldigtes Parteimitglied wurde bisher - korrigieren Sie mich - nicht ausgeschlossen, obwohl die SPÖ Alsergrund dies anscheinend so gefordert hatte. Hat die SPÖ da Aufholbedarf?
Diese ganze Schiedsgerichts-Konstruktion, mit der dieser Fall parteiintern verhandelt wurde, ist auf parteischädigendes Verhalten ausgelegt und stammt aus den 1960er-Jahren. Diese Institutionen sind nicht auf der Höhe der Zeit und auch nicht auf der Höhe des Arbeitnehmerschutzes, was den Schutz vor Diskriminierung und vor sexuellen Übergriffe betrifft. Es ist an der Zeit, das zu tun und das strengere Reglement, das auf dem Arbeitsmarkt gilt, auch auf den ehrenamtlichen Bereich auszuweiten. Die SPÖ sollte da nachziehen und das schnell. Aber ich glaube, das ist den Verantwortlichen auf der Wiener- und der Bundesebene bewusst.
Ein Kritikpunkt bei diesem konkreten Fall war, dass alles so lange gedauert hat. Der Vorfall ereignete sich im Mai 2019. Drei Jahre später war noch immer nix passiert. Unter einem Parteivorsitzenden Kowall: Ist es denkbar, dass ein SPÖ-Parteimitglied nach einem solchen Fehlverhalten nach drei Jahren noch dabei ist?
Ich möchte, dass es in der SPÖ für solche Fälle eine unabhängige Gerichtsinstanz gibt, so wie die Justiz im Staat. Die soll sich nichts von Seiten der Partei sagen lassen. Das halte ich für einen elementaren Punkt. Diese Instanz muss ganz klare Vorgaben haben, einen Kodex. So wie im Staat, wonach sie dann handelt. Ich würde nicht sagen, unter einem Kowall würde es so einen Fall nicht geben, weil das ist eine juristische Angelegenheit. Ein Kowall, der in der Exekutive ist, kann der Judikative nicht anschaffen, wie sie diesen Fall zu handhaben hat .
Was könnten Sie tun?
Ich kann versuchen, eine effektive Judikative zu schaffen und einen legislativen Unterbau, der dazu führt, dass die effektive Judikative auf Basis dieses Unterbaus hier sehr viel schneller handeln kann.
Ein letztes Thema: Klimaschutz. In Wien kritisieren zum Beispiel die Grünen, dass vieles zu langsam geht. Wie ist da Ihre Position? Handelt Österreich bei dem Thema ausreichend schnell, oder zu langsam?
Also Österreich ist viel zu langsam. Aber das ist eine Flanke der SPÖ und von mir persönlich. Das liegt daran, dass ich eine Spur zu alt bin. Nicht, um die Relevanz zu verstehen. Aber es war eine andere Zeit, als sich in mich eingebrannt hat, was wissenschaftlich wichtig ist. Das waren die Euro- und die Finanzkrise, Arbeitslosigkeit und Verelendung in Teilen Südeuropas. Da ging es um die Frage, wie man immer wieder Wachstum hinbekommt. Das war eine mechanische, altbackene Frage - aber unfassbar elementar in dem Zeitraum, als ich Ökonom geworden bin.
Ich habe nicht von der Pike weg, als Ökonom, die Klimafrage im kleinen Finger. Das ist ein Aufholbedarf und das ist mir immer bewusst. Kognitiv ist mir klar, dass das die größte Herausforderung der ganzen Menschheit ist. Ich glaube, der SPÖ geht's da nicht unähnlich wie mir. Wir sind am alten Dampfer und kapieren, da ist was Neues. Wir tun uns aber schwer mit der Verbindung zwischen sozialer und ökologischer Frage. Das sehe ich als gemeinsames, pädagogisches Projekt an, diese herzustellen.
Abschlussfrage: Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie am 3. Juni zum Parteivorsitzenden der SPÖ gewählt werden?
Ich würde sagen, am Dienstag waren es 5 Prozent. Stand jetzt sind es 10 Prozent .
Nachtrag am Freitag, 24. März, 8.30 Uhr: Dieses Interview entstand am Donnerstag, 23. März, um 13.30 Uhr. Am Freitag, 24. März um 7.32 Uhr, gab Nikolaus Kowall seinen Rücktritt als Kandidat für den SPÖ-Parteivorsitz bekannt. Der Grund war laut Kowall die Kandidatur des Traiskirchners Bürgermeisters Andreas Babler (SPÖ) für das Amt. Kowall in einem Facebook-Statement:
Mein Credo war seit Dienstag: Wenn wer gewichtigerer als Alternative zu Rendi-Wagner und Doskozil in den Ring steigt, dann lasse ich der Person den Vortritt. Das ist bei Andi Babler objektiv der Fall. Ich stehe zu meinem Wort und ziehe meine Kandidatur zurück. Die Stimmen sollen sich nicht zwischen Andi Babler und mir aufsplitten.
Das könnte dich auch interessieren:
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.