Paarpsychologie / Paartherapie
Das Nachlassen der Verliebtheit und Frühstörungen
Wenn wir frisch verliebt sind, idealisieren wir oft den anderen/die andere, ohne sie/ihn so zu sehen, wie er/sie im tiefsten Innersten wirklich ist; ohne in seinen/ihren authentischen (personalen) Kern zu schauen. Wir sehen sie/ihn dann so, wie wir sie/ihn gerne haben würden.
Das Wort „Verliebtheit“ hat sicherlich nicht zufällig die Vorsilbe „ver-“, weil wir oft irren, wenn wir VERliebt sind, uns etwas vormachen, Frühwarnzeichen nicht beachten oder uns selbst täuschen. Wir leiden in der Verliebtheit unter leichten Symptomen von Realitätsverlust, was uns aber angesichts der vielen Glücks- und Bindungshormone, die der Körper ausschüttet, egal ist. Wir verdrängen in der Regel nur allzu gerne, dass dieser überoptimale Zustand irgendwann auch wieder sein Ende haben wird.
In diesem realitätsverzerrten Zustand besetzen wir den anderen Menschen mit Wünschen, Idealvorstellungen und Phantasien, die im Gegenüber gar nicht vorhanden sind. Sogar Unstimmigkeiten und Gegensätze werden positiv gedeutet und idealisiert: „Gegensätze ziehen sich an“ oder „wir ergänzen einander“.
Wenn die Verliebtheit nachlässt, können wir dann umso tiefer fallen. So mancher/manche beendet dann vorschnell eine Partnerschaft, vor allem junge und unerfahrene Menschen, besonders aber auch Menschen mit Frühstörungen (etwa Personen, die an einer Persönlichkeitsstörung leiden und/oder traumatisiert sind), weil die Ent-Täuschung der Trauerarbeit und der inneren Reife und Ich-Stärke bedarf, die Menschen mit Frühstörungen nicht haben. Aussagen eines erwachsenen Menschen wie „Du, ich hab noch einmal nachgedacht (sic!): ich bin nicht mehr in dich verliebt“, sind typisch für eine Frühstörung.
Dabei könnten wir gerade dann viel über uns selber lernen: Wir werden herausgefordert, eine oberflächliche ver-liebte Beziehung in eine erwachsene Partnerschaft überzuführen. Dies gelingt dann, wenn wir in unser authentisches Spüren und Fühlen kommen und uns dann dem/der anderen echt mitteilen. Wir müssten uns dabei so zeigen, wie wir wirklich sind, nicht mit unserer Fassade, dem Aufgesetzten und Antrainierten, dem Hysterischen.
Je ehrlicher, schonender und authentischer wir unsere Emotionen, vor allem auch Leid, Kummer, Trauer, Schmerz, Hass und Wut zulassen und spüren können, desto echter können wir uns auch in der Partnerschaft der Partnerin/dem Partner mitteilen und uns zeigen.
In der Existenzanalyse nach Alfried Längle, aber auch in der dritten Welle der Verhaltenstherapie spielen deshalb unsere primären Emotionen und Handlungsimpulse und ein authentisches Fühlen eine herausragende Rolle. Denn ohne einen guten Zugang zu unseren Emotionen bleiben wir nur an der Oberfläche und können uns selbst verlieren, da Emotionen der Schlüssel zu unseren Bedürfnissen sind.
Wir zerreden und analysieren dann in partnerschaftlichen Konflikten alles vom Hundertsten ins Tausendste, erschöpfen uns in stundenlangen, völlig verkopften Diskussionen, bei denen wir uns im Kreis drehen ohne vorzudringen, worum es uns im tiefsten Innersten wirklich geht. In den Tiefenschichten fehlt uns nämlich die Klarheit, und somit bleiben alle Aussagen verkopft, haltlos und ohne Grund und Boden.
Dabei müssen wir echte, authentische (primäre) Gefühle (etwa Wut, Hass, Hilflosigkeit, Trauer, Kränkung) von aufgesetzten und erlernten Gefühlsäußerungen (etwa bei Wut zu weinen, bei Schmerz Wut zu zeigen) unterscheiden. Authentische Gefühle sind immer ansteckend. Ist der Mitmensch traurig, so löst dies in mir Mitgefühl oder Betroffenheit aus; empfinde ich hingegen Wut, wenn ein Mensch weint, dann spüre ich oft folgendes: der andere Mensch weint nicht aus Schmerz, sondern manipuliert mich mit seinem aufgesetzten Weinen, um etwas von mir zu bekommen (z.B. Aufmerksamkeit oder Schonung). Somit wirken echte Gefühle mitreißend, unechte hingegen nerven.
Wer in einer Partnerschaft vor allem den anderen/die andere für seine Enttäuschungen, Kränkungen und Emotionen verantwortlich macht, der verrät, dass bei ihm noch Wunden bis hin zu Traumafolgestörungen aus der Biographie vorhanden sind, welche ihn fixieren und eine Weiterentwicklung erschweren. In der Regel (sehen wir von psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt ab), reagieren wir in Partnerschaften dann extrem affektiv und werden von starken negativen Gefühlen überflutet, wenn sie durch banale Ereignisse im Außen (etwa ein Blick, ein Wort, eine Nichtbeachtung) ausgelöst, d.h. getriggert werden. Diese Trigger reaktivieren kindliche Zustände (Ego-States).
Daher ist es in einer erwachsenen, reifen Partnerschaft auch so wichtig, sich selbst und seine Frühstörungsanteile möglichst gut zu kennen. In der Regel liegen viele unserer partnerschaftlichen Konflikte in unserer Biographie verwurzelt und nicht im Hier und Jetzt. Es ist wichtig, frühe Wunden, Traumen, Defizite, Kränkungen, Schmerzen möglichst gut emotional zu verarbeiten. Zuerst sollten wir uns Zeit nehmen und durchatmen, dann uns Zeit geben, um unsere Emotionen und Impulse zu spüren, um diese nicht destruktiv auszuagieren, sondern konstruktiv mit ihnen umzugehen.
Wenn wir in einer Partnerschaft bei uns selbst anfangen, so wird das auch die Partnerschaft verändern. Wir sind immer Teile von Systemen (hier dem System Partnerschaft), und jede Veränderung in uns selbst wird sich zeitversetzt auch auf unsere Mitwelt auswirken.
Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision
(Logotherapie und Existenzanalyse)
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