Corona-Urteil
"Zwangsmaßnahmen nur für Uneinsichtige" – Gericht hebt Quarantäne auf

Das Bezirksgericht Urfahr gab dem Unternehmer recht und hob die Quarantäne auf. | Foto: BRS
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Falsch berechnete Fristen, keine Prüfung gelinderer Mittel, automatisierte Vorgehensweise – ein Urteil des Bezirksgerichts Urfahr wirft kein gutes Licht auf die Vollzugspraxis der Behörden, wenn es um das Verordnen und Verlängern von Corona-bedingten Quarantänen geht. 

LINZ. „So kann man mit uns als Bevölkerung nicht umgehen“, sagte sich Michael Rößler. Zu diesem Zeitpunkt war der Unternehmer mit seiner Familie bereits 14 Tage „abgesondert“, durfte also sein Haus nicht verlassen. Nun wurde die Quarantäne für ihn und seine beiden Kinder auf Anordnung der Bezirkshauptmannschaft (BH) Urfahr-Umgebung um weitere zwei Wochen verlängert – ohne triftigen Grund und ohne seinen Fall sorgfältig zu prüfen. So sahen das zumindest Herr Rößler und sein Anwalt.  


Ehefrau positiv gestestet

Begonnen hatte alles am 18. März. Rößlers Frau litt an Kopfschmerzen und Schnupfen. Weil das eher Erkältungssymptome waren, dachte sie sich trotz bereits erfolgtem Corona-Lockdown noch nicht viel dabei. Erst als sie auch den Geschmacks- und Geruchssinn verlor, wurde die Familie nervös. Nach Absprache mit der Hausärztin entschied sich Frau Rößler für einen Corona-Test. Am 28. März kam das Ergebnis: Sie hatte sich tatsächlich infiziert.


Quarantäne per E-Mail verlängert

Die Konsequenz folgte prompt per Bescheid durch die BH: Zusammen mit allen im Haushalt lebenden Personen wurde Frau Rößler für 14 Tage unter Quarantäne gestellt. Neben ihrem Mann betraf das auch die beiden Kinder. Die Frist lief ab dem Tag des positiven Testergebnisses, also bis 11. April. „Damals war das für uns okay“, erzählt der Vater. Die ganze Familie hätte sich „selbstverständlich“ an die Beschränkungen gehalten. Dafür hätte es nicht einmal einen Bescheid gebraucht. Zumal es ihnen in ihrem Haus in Sonnberg im Mühlkreis nicht wirklich schlecht gegangen ist. Die Schwägerin hat sich um die Einkäufe gekümmert, gearbeitet wurde im Homeoffice, trainiert auf dem Hometrainer. Um auf Nummer sicher zu gehen, ließ sich auch Herr Rößler testen. Das Ergebnis war negativ. Die Kinder hatten die ganze Zeit über keinerlei Symptome. Außerdem sei ja ein Ende absehbar gewesen. Doch da sollte sich Herr Rößler täuschen.


Kurz vor Ende noch 14 Tage dazu

Einen Tag vor dem Ende der Quarantäne erkundigte sich die BH telefonisch, ob Frau Rößler während der zwei Wochen mit ihrer Familie in einem Haushalt gelebt hatte. „Wir haben uns nach Möglichkeit separiert“, erzählt Herr Rößler. Bad und Küche hatte man sich aber notgedrungen geteilt. Am Tag darauf kam dann per E-Mail die überraschende Nachricht: Die Quarantäne wurde um weitere 14 Tage verlängert, allerdings nur für Herrn Rößler und die Kinder. Sie hätten erwiesenermaßen Kontakt zu einer infizierten Person, nämlich Frau Rößler, gehabt, weshalb eine Infektion nach wie vor möglich gewesen wäre. „Das habe ich dann nicht mehr verstanden“, so Rößler. Es sei gar nicht auf seinen Einzelfall eingegangen worden.


Anwalt beantragt Prüfung

Rößler beschloss sich zu wehren und schaltete den Linzer Anwalt Peter Nader ein. Auch der fand die Vorgehensweise der Behörde bedenklich und beantragte eine Überprüfung der Freiheitsbeschränkung durch das Bezirksgericht. Aus seiner Sicht wäre der Sachverhalt „nicht ausreichend bzw. überhaupt nicht festgestellt“ worden. Andernfalls hätte die Behörde zur Auffassung gelangen müssen, dass die „Verlängerung der Absonderung rechtswidrig“ ist, schreibt er in dem Antrag. Außerdem hätte sie übersehen, dass „für alle Maßnahmen das Gebot der Verhältnismäßigkeit“ gelte.


Zeitraum falsch berechnet

Die Verhandlung fand am 22. April statt. Familie Rößler war da schon fast einen Monat in Quarantäne und via Skype zugeschaltet. Die Sachverständige, eine Linzer Infektionsmedizinerin, widersprach dem Vorgehen der Behörde grundlegend. Schon die Berechnung der ersten Quarantäne-Dauer war aus ihrer Sicht falsch. So hätten die üblichen 14 Tage ab dem Zeitpunkt der vermuteten Ansteckung rund um den 16. März gerechnet werden müssen und nicht ab dem positiven Testergebnis am 28. März. Daraus ergibt sich eine Differenz von immerhin zwölf Tagen. Von Frau Rößler wäre seit 1. April keine Ansteckungsgefahr mehr ausgegangen. Ähnlich verhält es sich bei ihrem Mann und den Kindern, von denen demnach seit dem 15. April „keine Ansteckungsgefahr aus einer möglichen Infektionskette“ mehr bestanden hätte. Eine Verlängerung der Quarantäne hätte also – wenn überhaupt – höchstens für ein paar Tage erfolgen dürfen.

„Offenbar gibt es da eine automatisierte Vorgehensweise. Die Behörde
überprüft nicht, ob gelindere Mittel möglich sind“, so Nader.

Zumindest bei der Verlängerung hätte man sich den Fall genauer ansehen müssen. Schließlich gehe es um eine Freiheitsbeschränkung.


Quarantäne an sich zweifelhaft

Das Gericht folgte der Argumentation der Sachverständigen und hob die Quarantäne mit sofortiger Wirkung auf. In der Begründung geht der Richter noch weiter. Er zweifelt nicht nur die zeitlichen Berechnungen der Behörden an, sondern auch die Quarantäne an sich und beruft sich dabei auf das Epidemiegesetz. Demzufolge sei eine Quarantäne nur zulässig, wenn von der Person

„eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, nach der Art der Krankheit und nach dem Verhalten des Betroffenen und dem Nichtvorliegen gelinderer Maßnahmen“.

Das Verhalten der infizierten Person spielt also aus Sicht des Gerichts eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Maßnahmen.


Zwang "nur für Uneinsichtige"

Es gehe – heißt es in der Begründung – in die gleiche Richtung wie die Bestimmungen des Tuberkulosegesetzes, wo Zwangsmaßnahmen nur für Uneinsichtige möglich seien. Der Richter geht sogar noch weiter: Zur Vermeidung einer Ansteckung würde – auch da folgt er der Einschätzung der Sachverständigen – die Einhaltung der „allgemein angeordneten Maßnahmen, nämlich der Mindestabstand, ausreichendes Händewaschen und die Nies- und Hustetikette ausreichen“.


Rechtsanwalt kritisiert BH

„Ohne jede Prüfung des Sachverhaltes und ohne sich das Gesetz durchzulesen, wird hier die Freiheit von Personen beschränkt“, resümiert Nader. Für Herrn Rößler endete die Quarantäne durch den Gerichtsbeschluss zwar nur vier Tage früher. Trotzdem war es für ihn eine Erleichterung, dass seine „laienhafte Sichtweise durch die Sachverständige bestätigt wurde“.


BH beruft sich auf „interne Spielregeln“

Bei der BH will man das Urteil nicht bewerten. Das sei eine Frage der Beweiswürdigung. „Ich habe interne Spielregeln, die ich einzuhalten habe“, sagt Bezirkshauptmann Paul Gruber. Konkret habe die BH nach einer Vorgabe der AGES – Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit gehandelt. Ob das Urteil Auswirkungen auf die Praxis hat, sei eine Frage, die andere zu beurteilen hätten, so Gruber.


Forderung nach Einzelfallprüfung

Insgesamt hat es im Bezirk Urfahr-Umgebung laut BH mehr als 1.000 Absonderungsbescheide gegeben. Außer Herrn Rößler hätte bislang niemand Rechtsmittel ergriffen. Weitere juristische Schritte wären zwar möglich, Herr Rößler wird aber darauf verzichten. „Ich habe das gemacht, weil ich mit der Vorgehensweise grundsätzlich nicht einverstanden war“, so Rößler. Für ihn sei die Situation wirtschaftlich noch „handelbar“ gewesen, aber was, wenn das „jemandem passiert, der sein Geschäft offen haben muss?“, fragt Rößler. Das Urteil habe jedenfalls sein Vertrauen in den Rechtsstaat wiederhergestellt.

Eine juristische Einschätzung des Urteils von Professor Andreas Janko (JKU) lesen Sie hier.

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