Fortsetzung: Vertrieben (11)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

„Kommt schnell ans Fenster und schaut auf die Troppauer Straße“! Was gibt es zu sehen? Ein langer Zug ausgemergelter bis aufs Skelett abgemagerter Männer in Sträflingskleidung wird auf der Straße vorbei getrieben. Wie erloschen sind ihre grauen Gesichter. Ein Neger ist unter ihnen, der erste den ich in meinem Leben zu sehen bekomme. Und ihnen zur Seite gehen schwerstbewaffete Leute (SS-Leute?). Bei Todesstrafe ist es verboten, mit ihnen zu sprechen oder ihnen etwas zuzustecken (was mancher gerne getan hätte). So marschieren sie zur Stadt hinaus Richtung Reichsstraße. Wer sind diese Männer? Wahrscheinlich KZ-Häftlinge, deren Lager aufgelöst worden ist. Wohin? Niemand weiß es. Ihr Schicksal? Unbekannt. Uns aber legt sich ihr Anblick wie eine Beklemmung, wie ein Schleier des Grauens aufs Herz.

Muttl ist nicht in Bennisch an diesem 24. März, ihrem Geburtstag. Sie ist zu Tante Rosi gefahren. Noch einmal will sie mit ihr alles Nötige wegen einer Bleibe von uns in Mohrau besprechen (Niemand hat Telefon, daher müssen derartige Dinge umständlich direkt untereinander abgeklärt werden). Vielleicht bringt sie auch Sachen von uns zu der Tante. Stolz wärmt uns Gottfried das Mittagessen, das Muttl vorgekocht hat. Es gibt gewürfeltes Kürbis- (oder Steckrüben-?) Gemüse mit Dosenfleisch. Und obwohl mir Essen verhasst ist und ich außer Süßem und Schnitzel so gut wie nichts mag, dieses Essen hat mir geschmeckt.

Die Stadt muss voll sein mit Flüchtlingen. Auch die Dorners, unsere Hausleute, haben Menschen aufgenommen. Ihre Kinder werden schnell Spielkameraden von uns. Mit einem etwas älteren Jungen (Horst oder Wolf) haben wir uns angefreundet. Heute ist ein trüber Tag und wir spielen alle zusammen auf dem Balkon. Auf das einzelne Flugzeug, das da über uns kreist, achten wir nicht. Flugzeuge sind ein gewohnter Anblick für uns geworden. Da! Plötzlich! – Ein jähes Heulen, ein furchtbar sich steigerndes, entsetzliches Kreischen! Ohrenbetäubendes Krachen! Das Flugzeug hat sich herab gestürzt wie ein Stein. Schnell, schnell ins Vorhaus! Dort, meinen wir, seien wir sicher. Dass man sich bei einem Angriff zu Boden werfen soll, daran denken wir nicht. Zu ersten Mal in diesem Krieg sind auf Bennisch Bomben gefallen. Das einsame Flugzeug ist ein russisches Flugzeug gewesen.

Nun weiß Muttl: „Der Zeitpunkt ist da. Wir warten nicht länger. Wir gehen nach Mohrau“. Gepackt ist ja schon alles seit dem Russendurchbruch an der Oder im Januar. Mit dem Kinderwagen voller Gepäck geht es frühmorgens zu Fuß zum Bahnhof nach Freudenthal. Die treue Heide begleitet uns bis zum Bennischer Wald. Wir winken ihr, so lange wir sie sehen können. Dann verschwindet sie aus unserem Leben für immer.

Nach dem Bennischer Wald bei Wockendorf senkt sich das Land. Den Horizont begrenzt wunderbar das Gebirge. Man erkennt Freudenthal und die weiße Köhlerbergkirche, die wie eine Krone malerisch über der Landschaft steht. An dieser schönen Stelle will Muttl rasten. Viktor ist ja noch klein und kann große Strecken (12 km?) noch nicht ohne Pause bewältigen. Wir größeren Kinder streifen umher und entdecken auf der grasigen Böschung eine Art Schützengraben. Hier müssen sich Menschen aufgehalten haben. Abfälle liegen herum. Ein zerbrochener Stuhl ist dabei und – oh, eine Puppe! Warum hat man sie liegen gelassen? Wem mag sie gehört haben? War es ein Mädchen in unserem Alter? Vielleicht weint nun das Kind nach der Puppe! Rätselhaft und beunruhigend, wie so vieles in jenen Tagen.

Fortsetzung folgt

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