Fortsetzung: Vertrieben (19)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Nach 14 Tagen holt uns der Pfarrer zu sich auf den Pfarrhof, wo ja Roswitha schon lebt. Tante Rosi und Muttl getrauen sich nicht, schutzlos mit den vier jüngeren Kindern allein im Häusl zu bleiben. Außer uns hat Herr Pfarrer vorübergehend noch andere Leute aufgenommen. Erinnern kann ich mich an die Frau Tannhäuser vom Niedergericht (größter Hof von Nieder Mohrau, dem früher die Niedere Gerichtsbarkeit zukam) und an eine Frau Dürnberger.

Als wir Frau Tannhäuser sehen, sind wir entsetzt: Ihr ganzer Körper ist grün und blau, blutunterlaufen und blutverkrustet. Nichts ist mehr heil an ihr, weder Gesicht, noch Hände, noch Füße. Was war geschehen? Die Russen meinten zu wissen, dass im Niedergericht Alkohol in Mengen versteckt sei. Das Versteck sollte sie angeben. Doch da war nichts. Sie konnte nichts sagen. Da haben die Russen, die das nicht glaubten, die Frau beinahe zu Tode geprügelt.

Frau Dürnberger kommt aus Wien. Sie war früher die Freundin von Ewald Frank (Kinderfreund von Papa), der inzwischen als reicher Mann in Südamerika lebt, und macht sich Hoffnung auf ihn. Einen kleinen Jungen hat sie bei sich, den etwa sechsjährigen Rudi. Um Rudi gibt es ein Geheimnis: Ist er ihr Kind oder ein angenommenes? Ist er ein Judenkind? Wir erfahren es nie.

Im Pfarrhof können wir Radio hören. Herr Pfarrer besitzt einen Volksempfänger und ist daher über das Weltgeschehen wohl unterrichtet. Was ich höre, bestürzt mich tief. „Mit Mann und Ross und Wagen hat sie der Herr geschlagen“. Sind damit wir Deutsche gemeint? Ist denn auch Gott gegen uns? Wir sind doch die Guten, die anderen aber die bösen Feinde! (Ich fühle mich durch das Erlebte darin bestätigt). Und ein tiefes Gefühl der Schande und der Demütigung überkommt mich.

Immer wieder kommen Russen auf den Pfarrhof. Da erhalten Adelheid und ich eine Aufgabe. Zusammen mit Viktor sollen wir auf dem Hof spielen. Immer wenn ein Russe erscheint, sollen wir „Dobry den“ (Guten Tag) sagen und sogleich als Warnung an der (offenen) Pfarreitür klingeln. Dann will Herr Pfarrer sofort heraus kommen und den Russen abfangen. Drinnen aber werden rasch alle Dinge versteckt, die dem Russen gefallen könnten.

Einmal haben wir das Klingeln vergessen. Sofort ist der Russe in der Wohnküche. Sofort hat er das Radio entdeckt und sofort hat er es an sich genommen. Herr Pfarrer ist überaus zornig und böse auf uns. Jetzt ist es aus mit dem Nachrichtenhören. Jetzt schweben auch die Pfarreileute völlig im Dunkel über das, was „draußen“ passiert.

Wie zu Zeiten von Herrn Onkel wird der Pfarrhof als Bauernhof bewirtschaftet, wenn auch in viel kleinerem Stil. Ein Teil der Felder ist verpachtet. Wirtschafter ist ein Herr Schwarz. Neben dem üblichen Vieh gibt es auch Pferde in der Pfarrei. Offenbar wurden sie nicht gut genug versteckt und so sind sie sehr bald von den Russen geschnappt worden. Mit ihnen geschnappt wird aber auch der Herr Schwarz. Spurlos verschwindet er und man hört nichts mehr von ihm. Alle machen sich große Sorgen. Nach einiger Zeit klopft es an der Pfarreitür. Ein fremdartiger, abgerissener, bärtiger, ausgemergelter Mann tritt herein. Wer ist es? Mein Gott! Der Schwarz Josef ist es, er ist den Russen entkommen! Man kennt ihn kaum noch, so sehr ist er abgemagert. Die Russen haben ihn mit den Tieren bis weit hinein nach Schlesien fortgetrieben. Schließlich aber ist ihm die Flucht gelungen.

Einmal kommt ein Russe, der will nicht ins Haus. Er geht auf uns Kinder zu und natürlich haben wir große Angst. Doch der Russe lächelt uns an, sagt etwas auf russisch und streichelt Viktor am Kopf. Viktors ängstliches Lächeln, sein unsicher verkrampftes Gesichtchen sehe ich noch klar vor mir. „Das ist ein netter Russe gewesen“, finden wir später alle. Ob ihn Viktor an sein eigenes Kind erinnert hat?

Ein betrunkener Russe verlangt „Voda, Voda“ (Wasser). Jedenfalls versteht Fräulein Anita dies so und bringt einen Wasserkrug. Der Russe riecht an der Flüssigkeit, schaut in den Krug…. und schmettert ihn voll Wut auf den Boden, dass er krachend zerspringt. Er hatte „Wodka“ gewollt.

Ein Russe will baden. Fräulein Anita will ihn aber auf keinen Fall in das Haus lassen und richtet ihm ein Bad draußen im Gartenhäuschen. Er genießt das Bad sehr und alle erstaunen sich über den so „anderen“ Russen.

Fortsetzung folgt

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