Fortsetzung: Vertrieben (22)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Immer wieder kommen Leute auf dem Durchzug in die Pfarrei und bleiben oft mehrere Tage. Darunter sind vier der zwölf Geschwister von Pfarrer Dietz. Die zwei Brüder sind ebenfalls Priester, der eine Pfarrer von Füllstein, der andere Pfarrer von Hoschütz. Von den beiden Schwestern, Fräulein Elisabeth und Fräulein Hedwig, die den Haushalt der Priesterbrüder geführt haben, mag ich besonders die jüngere sehr. Kein Wunder, den Fräulein Elisabeth hat erklärt, ihr wäre noch nie ein Kind begegnet, dass ihr so verständig und so fromm zugehört und mit ihr gesprochen habe, wie ich. Sie erzählt mir von der stigmatisierten Therese von Konnersreuth und ich bin gebannt von den Berichten um diese Frau aus der Oberpfalz.

Auf ihrer Flucht haben sie hochbeladene Wagen gesehen voll mit Kostbarkeiten. Kirchenschätze sind es gewesen, geraubte Kelche, Monstranzen, Patenen. Nicht zu fassen ist das! Sogar an Kirchengut vergreifen sich die Menschen? Der Raub von geweihtem Kircheneigentum gilt in jener Zeit als „Gottesraub“ und wird als besonders schweres Sakrileg angesehen. Waren Russen die Räuber gewesen? Oder schon Tschechen?

Jedenfalls sickern nun immer mehr Tschechen in unser Gebiet. Und sie nehmen sich von den völlig hilflosen Deutschen alles, was ihnen gefällt. Von den Deutschen und von den anständigen Tschechen werden sie „Goldgräber“ genannt. Die Russenzeit, die wir relativ unbeschadet überstehen, geht nun zu Ende. Jetzt kommen die Tschechen.

Im oberen Stock des Pfarrhauses, im „Saal“ über der Wohnküche und dem Raum über Herr Pfarrers Zimmer, hat sich eine Gruppe von Tschechen eingenistet. Sie geben sich als Gendarmen (Polizisten) aus und haben von nun an in Mohrau das Sagen. Die Pfarrei wird zum Zentrum von Raubzügen und Ausgangspunkt all der vielen Verordnungen, die uns Deutsche rechtlos machen. „Jetzt sind wir halt vogelfrei“! Warum macht Muttl dabei ein so besorgtes Gesicht? Es muss doch schön sein, frei wie ein Vogel zu sein. Ich kann es mir nicht erklären, doch zu fragen wage ich nicht. („Kinder reden nicht ungefragt, wenn Erwachsene sprechen“, das ist damals ein allgemein gültiger Grundsatz. Auch bei Tisch dürfen die Kinder ungefragt nicht das Wort ergreifen. So horchen wir nur und schweigen und ziehen unsere eigenen Schlüsse).

Einmal höre ich, wie Muttl in einem Gespräch äußert: „Ja, nun können sie uns alles anhängen. Wir sind ja rechtlos und können uns nicht wehren“. Hat sie die Naziverbrechen gemeint, die allmählich bekannt werden? Zwar wussten die Leute, dass es den Juden unter Hitler nicht gut ging. Doch das entsetzliche Ausmaß ihres Schicksals war wohlweislich vor der Bevölkerung geheim gehalten worden. Die jetzt kursierenden Berichte hält man für bösartige Verleumdungen. Roswitha meint später, dass Papa gegen Kriegsende möglicherweise Bescheid wusste. Doch aus Muttls Bemerkung muss ich den Schluss ziehen, dass sie ahnungslos war.

Treffend hat Pfarrer Dietz, der Pfarrer von Mohrau, in seinen Lebenserinnerungen die Tschechenzeit beschrieben:
„Nun aber kam die Zeit, dass die Russen sich allmählich verzogen. Statt dessen kamen die Tschechen ins Land. Wir hatten gehofft, dass sich das Leben allmählich normalisieren würde, aber jetzt erst wurden wir erst richtig rechtlos. Die Tschechen waren von einem übermäßigen Hass auf alle Deutschen erfüllt und den ließen sie an uns aus. Sie kamen in die Höfe, jagten mit vorgehaltener Waffe die Besitzer hinaus und machten sich selbst zu Herren. Manchmal mussten die Eigentümer wie Sklaven für die neuen Herren arbeiten und wurden von diesen dafür geschlagen, getreten und in übelster Weise beschimpft.

Eine Verordnung folgte auf die andere: Es mussten alle Fahrräder abgegeben werden, alle Musikinstrumente, alle Radios, alle Wertsachen. Und immer hieß es: Wer sich nicht daran hält, wird erschossen! Die Deutschen durften in kein Eisenbahnabteil mehr hinein gehen, sie durften sich auf keine Parkbank mehr setzen, sie durften die Dorfgrenze nicht überschreiten. Bald mussten alle Deutsche sichtbar auf ihrer Kleidung einen weißen Stofffleck mit einem großen „N“ darauf tragen. Das „N“ bedeutete „Njemci“ (Deutscher). Und wehe, wenn einer dies vergaß. Ihm drohte gleich der Tod. Später wurde der weiße Fleck durch eine gelbe Armbinde ersetzt. Die war noch besser zu sehen. Und man wusste gleich, dass da ein Deutscher vor einem stand, der rechtlos und vogelfrei war und dem man alles antun konnte.

Nach Mohrau kam eine Gruppe von tschechischen Polizisten, die an all diesen Dingen beteiligt waren, ja sie durchsetzen mussten. Sie haben ebenso wie die Russen den ersten Stock des Pfarrhofes in Beschlag genommen und bald häuften sich auf dem Hof die Wertsachen der Bevölkerung, vor allem viele Fahrräder, die nun langsam verrosteten. Dann suchten sie nach den ehemaligen Nazis bzw. nach denen, die sie dafür hielten. Die wurden auf den Pfarrhof gebracht und der wurde nun zur Folterkammer. Damit sie keine Zeugen für die Folterungen hatten, haben sie mich (Herr Pfarrer), Fräulein Anita und Fräulein Rosa mit der Pistole aus dem Haus gezwungen. Wir hörten aber die Schreie der Gefolterten, so schrecklich, dass uns allen die Knie zitterten. Einer der Gefolterten schrie und bat darum, dass man ihn doch gleich erschlagen solle. Waren wir wieder zurück gekommen, fanden wir noch manche der Gequälten vor unserer Küchentür. Diese Männer hat Fräulein Anita auf einem Karren nach Hause gefahren….“

Fortsetzung folgt

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