Fortsetzung: Vertrieben (37)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Alles Essbare wird gesammelt. Draußen wächst wilder Mohn. Mohnkörner kann man doch essen! Mit Adelheid ernte ich die halbreifen Mohnkörndl und wir sagen niemand davon, damit uns keiner die Kapseln wegpflückt. Auch wilde Kamillen wachsen auf dem Lagergelände. Vielleicht kann man Tee daraus kochen? Niemand hat mir das vorher jemals gesagt. Ich „erfinde“ dies neu. Ich werfe die Blüten in kochendes Wasser und siehe: das schmeckt ja ganz köstlich. (Jahre später in Kesselbach schmeckt mir ungesüßter Tee aus gesammelten Kamillenblüten gar nicht mehr so gut.)

Muttl entdeckt in den Trümmern Holunderbeerbüsche mit reifen Holunderbeeren. Sie ist begeistert und kocht für uns Kompott (ohne Zucker natürlich). Hätte sie es doch nicht getan! Adelheid und ich vertragen das Holunderkompott nicht. Schon immer war uns der Holunder zum Essen verhasst. Wir verabscheuen schon den Geruch. Muttl weiß offenbar nicht, dass beim Kochen das Gift des Holunders in den Steinfrüchten oft nicht restlos vergeht. Empfindliche Menschen reagieren mit Übelkeit. Auch ich muss sofort erbrechen, renne aber in den Ruinensaal, damit es Muttl nicht sieht. Sie wäre entsetzt gewesen, denn nun habe ich gar nichts mehr in meinem Magen.

Einmal finde ich auf dem Lagergelände eine rohe Kartoffel. Ein geradezu unglaublicher Fund! Höchstens Adelheid aber niemandem sonst erzähle ich von der Entdeckung. Wieder „erfinde“ ich etwas und probiere es aus: Ich schneide die Kartoffel in Scheiben und lege sie auf die heiße Herdplatte. Wirklich! Die Kartoffelscheiben werden weich und schmecken einfach wunderbar.

Doch das Herrlichste, das ich jemals gefunden habe, ist ein angegessenes Brotstück bestrichen mit Quark (österr. Topfenaufstrich). Offenbar hat es jemand zu Seite gelegt. Ich schaue mich vorsichtig um. Sieht niemand her? Nein, niemand ist in der Nähe. Unauffällig greife ich nach dem Brot. Jetzt schnell weg damit! Und im Verborgenen – eiligst – habe ich das gestohlene Brot aufgegessen. Wer mag es später verzweifelt gesucht haben?

Wie auch andere Familien erhält Frau Funk Essenspäckchen von ihren Leuten daheim. Ich bettle Gerda um Brot an. „Du kannst das haben, was ich im Mund halb zerkaut habe“, sagt Gerda und spuckt das Brot aus. Ich will es tatsächlich essen. „Nein“, sagt sie jetzt, „ich will es nochmal zerkauen“. Auch dieses zerkaute Brot will ich essen. „Nein“, sagt Gerda, „nochmals will ich es kauen“. Das tut sie jetzt gründlich. Nun ist der Brotbrei so schleimig geworden, dass es mich ekelt und ich ihn schließlich doch nicht mehr esse.

Wir erhalten einmal ein Päckchen von den Dorners aus Bennisch. Darin ist die (zuckerfreie) Marmelade, die Muttl gerade eingekocht hatte, als der Befehl zum Sammeln auf dem Ringplatz erging. Kein Brot, nichts, was satt macht. Nicht ein einziges Mal hat Tante Rosi, die doch im Pfarrhof im Überfluss lebt und der Muttl von unserem Lageraufenthalt geschrieben hat, uns etwas ins Lager geschickt. Das kann ich bis heute nicht verstehen.

Viel schlimmer ist eine andere Sache, an die ich mich nur mit Beschämung erinnere: Viktor hat Muttl geärgert, weil er ihr nicht gehorcht hat. Zur Strafe darf er seine Mittagsschnitte (vorläufig) nicht essen. Eine ungemein strenge Strafe! Und was tue ich? Ich nehme das Brot heimlich und esse es auf. Muttl ist völlig entsetzt , als sie dies bemerkt und schimpft sehr mit mir. Doch zu spät! Für den kleinen Jungen ist das Brot weg. Wahrscheinlich habe ich ihm bei der nächsten Essensausgabe als Ausgleich meine Brotschnitte geben müssen.

Eines Abends, als die Leute schon alle auf den Strohsäcken liegen, fängt Viktor vor Hunger zu weinen an. „Muttl, gib mir doch Brot, nur ein einziges Stückl! Muttl, gib mir doch Brot“! Aber Muttl hat keines. Es muss furchtbar für sie gewesen sein. Da gibt unsere Nachbarin, eine Frau Kieslich, die mit ihrer Renate (6 Jahre) und einem Jungen rechts von uns das Lager hat, Viktor ein Brotstück.

Fortsetzung folgt

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