Woche-Tischgespräch
Eine Schule als Wirtschaftsbetrieb

Die Veitscherin Anke Lammer ist die erste Frau in der Obersteiermark an der Spitze einer Höheren Technischen Schule. | Foto: Martin Meieregger
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Seit Februar des heurigen Jahres ist die Veitscherin Anke Lammer Direktorin an der HTL Kapfenberg. Sie ist somit die erste Frau an der Spitze dieser Schule.

KAPFENBERG. Mit knapp 1.000 Schülerinnen und Schülern sowie 113 Lehrpersonen zählt die Höhere Technische Bundeslehranstalt HTL Kapfenberg zu den größten Schulen der Obersteiermark. Gelehrt werden die Unterrichtszweige Elektrotechnik, Industrielle Informationstechnik, Mechatronik, Maschinen und Anlagentechnik, Automatisierung und Robotik, Kunststoff- und Umwelttechnik sowie Luftfahrt-Aviation.

Mit Beginn des Frühjahrsemesters hat Anke Lammer die Leitung der Schule inne, an der sie zuvor bereits seit 15 Jahren unterrichtet hat. Im Interview erklärt sie die besonderen Herausforderungen im Zeichen von sinkenden Schülerzahlen, Fachkräftemangel und industrieller Wandel im Banne der Digitalisierung.

Woche-Redakteur Markus Hackl im Gespräch mit der HTL-Direktorin Anke Lammer. | Foto: Martin Meieregger
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Liebe Anke Lammer, vorab ein paar Sätze zu Ihrem beruflichen Werdegang?
ANKE LAMMER: Ich habe Mathematik und Physik studiert, ich war stellvertretende Institutsleiterin an der Pädagogischen Hochschule, und war auch Multiplikatorin, um die neue Form der Zentralmatura in der steirischen Lehrerschaft zu verankern. Parallel dazu war ich immer auch selbstständig; sei es als Wirtin beim Pilgerkreuz-Büffet in der Veitsch oder mit dem selbst gegründeten Lerninstitut mit Standorten in St. Barbara, Trofaiach und Kindberg. Seit ich Direktorin bin, habe ich das Lerninstitut jedoch abgegeben. Ich bin aber auch Waldpädagogin – die Art und Weise, wie Wissensvermittlung funktioniert, hat mich immer schon interessiert.

Sie sind jetzt seit Februar Direktorin an einer der größten Schulen der Obersteiermark. Wie geht es Ihnen, was sind die größten Herausforderungen?
Es läuft sehr gut, wir konnten auch schon viel bewegen, zum Beispiel haben wir im Sommer mit der Sanierung der Innenräume begonnen, wir haben die EDV erneuert. Im Kollegium gibt es richtiggehend einen "Flow" mit vielen neuen Ideen und Anregungen. Als größte Herausforderung für mich sehe ich die Bewältigung der Vielzahl an Aufgaben, die über eine Schulleiterin hereinbricht. Vorab war diese Aufgabenflut nicht absehbar. Im Grunde sind wir eine Firma mit 140 Beschäftigten und 1.000 Schülerinnen und Schülern, letztendlich landet alles bei mir am Schreibtisch. Das fängt bei der Nachbestellung von Putzmitteln an und endet bei wirklich massiven Schwierigkeiten mit Jugendlichen. Herausforderung ist naturgemäß auch mein Rollenwechsel von der Kollegin zur Direktorin. Ich habe aber gewusst, worauf ich mich einlasse.

Unterrichten Sie selbst auch noch, oder ist man vollends mit Verwaltungsaufgaben eingedeckt?
Leider wenig. Momentan unterrichte ich noch eine Klasse. Wichtig ist mir, dass der direkte Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern nicht verloren geht. Ich bin auch total gerne Lehrerin und auf meiner Plus- und Minusliste im Zuge meiner Bewerbung stand genau das auf der Minusseite, weil mir bewusst war, dass beides – Leitung und auch unterrichten – nur schwer unter einen Hut zu bringen ist.

"Ich möchte nicht als Quotenfrau gesehen werden, das war auch nie meine Intension. Ich möchte, dass meine Leistungen anerkannt werden." | Foto: Martin Meieregger
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Sie sind die erste Frau in einer technischen Schule zumindest in der Obersteiermark. Ist das Gleichberechtigungs-Thema eines, das Sie selbst bewegt oder befeuert?
Ich möchte nicht als Quotenfrau gesehen werden, das war auch nie meine Intention. Ich möchte, dass meine Leistungen anerkannt werden. So ähnlich ticken ja auch unsere Schülerinnen und Schüler: Sie wollen nicht bevorzugt werden, sie wollen Gleichbehandlung. Natürlich ist mir bewusst, dass Gleichberechtigung ein Thema ist, an dem wir als Gesellschaft noch lange feilen müssen und das mit einem Binnen-i, einem Doppelpunkt oder einem Sternchen nicht abgetan ist.

Wie schaut es mit dem Schülerinnenanteil an der Schule aus?

In Summe sind es elf Prozent, wobei in der Kunststofftechnik der Mädchenanteil deutlich höher ist als der Burschenanteil. Aber in Summe steigt der Mädchenanteil beharrlich, wobei ich ergänzen möchte, dass wir exzellente Technikerinnen an der Schule haben und auch schon hervorgebracht haben.

Wie sehr ist die HTL dem Wandel der Zeit ausgesetzt? Wie sehr fordern die Konzerne – allein in Kapfenberg gibt es zwölf Weltmarktführer – Vorgaben in den fachlichen Unterricht ein?
Wir stehen gerade am Beginn einer neuen Entwicklung, die von uns eingeleitet wird. Wir wollen uns als Dienstleister für die Industrie positionieren und die Jugendlichen so fit machen, dass sie hier in der Region gute Jobs bekommen. Ein Kollege und ich sind auch in einer bundesweiten Arbeitsgruppe tätig, in der neue Lehrpläne für 2025 erstellt werden. Wir schreiben jetzt an einem Lehrplan, der 2025 verordnet wird, die ersten Absolventen daraus sind 2030 fertig. Das heißt, wir sollten jetzt schon abschätzen können, was 2030 am Markt benötigt wird und welche Berufsfelder gefragt sind. Das ist ein latentes Problem, dass die Schule immer hinter den Erfordernissen nachhinken wird.

Anke Lammer: "Es wird immer schwieriger, Experten als Lehrpersonen hereinzuholen. Wenn man sich entschließt, aus der Wirtschaft in die Schule zu wechseln, dann braucht es eine große Portion Idealismus und muss bereit sein, Zeit gegen Geld zu tauschen." | Foto: Martin Meieregger
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Ich nehme an, dass ein Unterricht vor 15 Jahren noch ganz anders abgelaufen ist als heute? Wie flexibel muss man als Schule sein, um den Anforderungen der Wirtschaft und der Industrie gerecht zu werden?
Im Zuge der Schulautonomie haben wir schon auch Möglichkeiten mit der Wirtschaft direkt zu kooperieren. Ich sehe es auch als Aufgabe unserer Schule, unsere Schülerinnen und Schüler bestmöglichst auszubilden und an die Praxis heranzuführen, dass sie hier in der Region beste Jobs bekommen. Das sehe ich als unseren Beitrag, um der Abwanderung vor allem von jungen Bevölkerungsteilen entgegenzuwirken. 

Jetzt sind wir bei den geburtenschwachen Jahrgängen angelangt. Die Wirtschaft kämpft um jede Schulabgängerin und jeden Schulabgänger, ebenso kämpfen die Schulen mit sinkenden Schülerzahlen. Wie versucht man als HTL zu punkten, um zu neuen Schülerinnen und Schülern zu kommen?
Wir schauen gemeinsam mit der Industrie drauf, wie wir dieses Thema meistern können. Viele fischen im gleichen Teich und sitzen im selben Boot. Deshalb setzen wir ganz stark auf Kooperationen mit Firmen aus der Region. Unsere Fachschülerinnen und Fachschüler beispielsweise haben ab der ersten Klasse bereits Partnerbetriebe zur Seite, bei denen sie laufend Praktika machen und bereits firmenseitig unterstützt werden. Bei der dreijährigen Fachschule gehen bei uns die Anmeldezahlen gerade stark nach oben, während dieser Schultyp österreichweit stark an Attraktivität verloren hat. Auch in der HTL setzen wir ebenso auf Kooperationen, sei es bei Praktika oder den Diplomarbeiten.

Wie schaut das Verhältnis – Einstieg in den Beruf / Studium – bei den HTL-Absolventinnen und -absolventen eigentlich aus?
In diesem Schuljahr maturieren bei uns 120 Schülerinnen und Schüler, allein AT&S suchen aber mehr als 800 Fachkräfte in Leoben, Pankl und Voestalpine sind an unseren Absolventinnen und Absolventen interessiert. Sehr viele Absolventinnen und Absolventen haben bereits vor der Matura Fixverträge unterschrieben. Genaue Zahlen habe ich zwar nicht, aber vom Gefühl her wechselt doch die Mehrheit gleich nach der Schule in die Wirtschaft.

Tatsächlich Mathematik! "Ganz ehrlich: Mein Lieblingsfach war stets Mathematik. Obwohl ich aber sagen muss, dass ich alles an der Schule stets gemocht habe." | Foto: Martin Meieregger
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Jetzt hat man mit dem Luftfahrtzweig ein neues, zusätzliches Aushängeschild, das weit über die Steiermark hinausstrahlt. Es fehlt aber in Kapfenberg an den dafür notwendigen Internatbetten. Bahnt sich hier eine Lösung an?
Irgendwie scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen. Wir sind mit der Stadtgemeinde und dem Bürgermeister in Gesprächen. Die Stadt kann nur etwas anbieten, wenn es genügend Internatschülerinnen und -schüler gibt, wir können den Schultyp mit Internatbetrieb aber nur bewerben, wenn wir auch dementsprechende Betten und Zimmer zur Verfügung haben. Es bahnen sich Lösungen an, es sollen neue Studentenheime für die Fachhochschule errichtet werden, auch mit der Forstschule in Bruck und der KSV-Nachwuchsakademie kooperieren wir. Unser Problem ist die neunte Schulstufe, hier besteht eine Aufsichtspflicht unsererseits. In studentischen Wohneinheiten ist so eine Aufsichtspflicht nicht durchzuführen.

Wie schaut es beim Lehrpersonal aus: Kommt man leicht zu neuen Lehrpersonen? Spezifikum der HTL ist es ja, dass immer wieder auch Männer und Frauen aus der Wirtschaft als Lehrpersonen andocken? Wie funktioniert hier die Rekrutierung?
Es wird immer schwieriger, Experten hereinzuholen. Wir hätten heuer dringend Programmierer und Programmiererinnen gebraucht, wir haben dazu zwei Stellen ausgeschrieben, letztendlich konnten wir die Posten nicht besetzen. Wenn man sich entschließt, aus der Wirtschaft in die Schule zu wechseln, dann braucht es eine große Portion Idealismus und muss bereit sein, Zeit gegen Geld zu tauschen. Mit diesen Gehältern, die in der Industrie gezahlt werden, können wir als Bundesschule nicht mit. Trotzdem haben wir einige junge, engagierte Kolleginnen und Kollegen, die zu uns gewechselt sind – wobei die vielbeschworene Work-Life-Balance uns ein wenig in die Karten spielt.

Wie vernetzt muss man als Schule mit der regionalen Wirtschaft sein? Ich nehme an, eine Tätigkeit, die auch eine Direktorin besonders fordert?
Es wird nur mehr mit intensiver Netzwerkarbeit funktionieren. Wir sind auch gerade dabei, unser schuleigenes Wirtschafts-Kuratorium neu aufzustellen, in diesem Kuratorium wollen wir die Netzwerkarbeit mit neuen Konzepten weiter vorantreiben. 2023 feiern wir ja auch 60 Jahre HTL in Kapfenberg. Ein guter Ansatzpunkt, um mit ehemaligen Absolventinnen und Absolventen und jetzigen Firmeninhabern in einen Austausch zu kommen. Bekanntlich ist ja auch KTM-Chef Stefan Pierer ein Absolvent dieser Schule.

Wie sehr ist man als Direktorin der Politik ausgesetzt? Beziehungsweise gibt es eine politische Zuordnung von Schulen beziehungsweise der jeweiligen Direktoren?
Ich selbst bin politisch nicht aktiv und hätte auch nicht die Zeit dazu. Ich mache es der Sache wegen, weil es mir wichtig ist. Ich fühle mich der Region und der Schule verbunden, ich habe viele andere Dinge ausprobiert, es hat mich aber immer wieder "heim" gezogen. Mein Fokus liegt auf der Positionierung der Schule und dass es den Schülerinnen, den Schülern, dem Kollegium, dem Verwaltungspersonal und auch den Eltern gut geht. Parteipolitik hat hier keinen Platz.

Eine heikle Frage zum Schluss? Was war Ihr Lieblingsfach in der Schule? 
Ganz ehrlich: Mathematik. Obwohl ich aber sagen muss, dass ich alles an der Schule stets gemocht habe.

Mehr Infos zur HTL Kapfenberg gibt es hier

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