Greenpeace-Expertin
Jasmin Duregger: Der Strommarkt funktioniert nicht mehr

- Jasmin Duregger von Greenpeace: Beim Energie-Effizienz-Gesetz wird es vor allem darum gehen, dass die Industrie zum Sparen angehalten wird, und dass festgelegte Einsparungen Potenzial für die nächsten Jahre haben.
- Foto: Mitja Kobal / Greenpeace
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An Rande des Europäischen Forum Alpbach sprach RegionalMedien Austria Chefredakteurin Maria Jelenko mit Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei der Non-Profit Organisation Greenpeace.
ÖSTERREICH. Wie ist die Meinung von Greenpeace zum Thema Wien Energie? Was sollte sich jetzt schnell ändern, um Österreich in eine sichere Versorgungslage, aber auch in eine klimafite Zukunft zu führen? Wie sauber sind Windräder wirklich? Mit der Tiroler Greenpeace-Expertin Jasmin Duregger sprachen die RegionalMedien Austria.
RegionalMedien Austria: Mit der Erdgas-Lenkungsverordnung können Energieversorger auf andere Energieträger als Gas umrüsten. Ab April wird im Kraftwerk Mellach Kohle verheizt werden können. Wie ist Ihre Haltung zum Wiedereinstieg auf Kohle als Zwischenlösung der drohenden Energiekrise?
Jasmin Duregger: Es ist natürlich extrem schmerzhaft, dass man jetzt von einem fossilen Energieträger auf den anderen wechselt, vor allem zurück auf einen sehr klimaschädlichen. Für Greenpeace ist ganz wichtig, dass das wirklich eine Notfalllösung bleibt, und auch zeitlich beschränkt eingesetzt wird, wenn es keine Alternativen gibt. Das dafür aufgewendete Geld fehlt wo anders. Daher muss man nicht nur überlegen, wie man Fossile mit anderen Fossilen kompensiert, sondern auch wirklich massiv in die erneuerbaren Quellen sowie in Energiesparmaßnahmen investiert.
Bedenkt man, dass jetzt Wien Energie finanzielle Hilfen in Milliardenhöhe vom Bund benötigt, weil sich aufgrund der explodierenden Energiepreise Risiken aufgetan haben, hat da nicht zuerst die Versorgungslage Vorrang?
Wir sind schon sehenden Auges in diese Krise gestürzt. Seit Jahrzehnten ist Gas als klimaschädlich bekannt und wir wissen seit Putins Einmarsch in die Krim, zu was er fähig ist, und trotzdem hat sich Österreich und auch die EU willentlich diesem Energieträger ausgeliefert. Dass man diese Gefahren nicht ernst genommen hat, hat schon etwas mit Führungsversagen in den letzten Jahrzehnten zu tun. Man hat weder die Gefahr der Klimakrise ernst genommen, noch die Gefahr, dass man sich von einem sehr autoritären und dann auch einem sehr kriegsgetriebenen Regime abhängig gemacht hat.
Trotzdem: Wien Energie hat mutmaßlich trotz der Turbulenzen am Energiemarkt spekuliert und nicht rechtzeitig Alarm geschlagen. Und so eine Unsicherheit bei der Versorgung riskiert…
Der Strommarkt ist im Moment sehr instabil. Eigentlich handelt es sich laut Experten gar nicht mehr um einen Markt, weil fast keiner mehr mitbieten kann, weil die Preise gerade so explodieren. Die EU hat für Anfang September einen Gipfel einberufen, um hier entgegenzuwirken. Dieser Markt funktioniert vom Merit-Order-Prinzip einfach nicht mehr. Daher ist wichtig, dass hier der Staat eingreift, damit das, was bei Wien Energie passiert ist, nicht bei anderen Energieversorgern passiert. Was genau hier genau falsch gelaufen ist, darüber kann ich nicht urteilen.
Soll der Staat auch eingreifen, wenn die Energieversorger von der Krise in einem ungewöhnlichen Ausmaß profitieren, indem Gewinne verteilt werden?
Dazu haben wir eine klare Haltung: Es ist skandalös, dass manche Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Strom- und Gasrechnungen zahlen können und wir auf der anderen Seite sehen, dass Konzerne, wie die OMV, Milliarden verdienen. Es ist auch ein bisschen ironisch, dass gerade solche Firmen sehr stark auf russisches Gas gesetzt haben und jetzt sogar noch davon profitieren, während andere durch die Finger schauen. Das heißt, es ist ganz wichtig, dass man jetzt diese Profite umverteilt. Das machen auch schon einige Länder, auch die EU hat das vorgeschlagen, dass Mitgliedsstaaten das umsetzen können. Wir fordern das ganz klar von der österreichischen Regierung ein. Bundeskanzler Nehammer und Finanzminister Brunner sind in erster Linie für die Einführung einer solchen Profitsteuer verantwortlich, damit sichergestellt wird, dass Übergewinne querfinanziert werden, und dass auch mehr in erneuerbare Energien investiert wird.
Es gibt zumindest die Bereitschaft, einen Energiepreisdeckel einzuführen. Wie sollte der Ihrer Meinung nach aussehen? Breit gestreut oder nur für sozial Schwache?
Man muss unterscheiden zwischen Strompreis- und Energiepreisdeckel. Beim Strompreis muss man sicherstellen, dass die Anreize zum Energiesparen nicht verloren gehen. Ein Modell des Wifo (Wirtschaftsforschungsinstituts, Anm.) sieht so aus, dass zum Beispiel 80 Prozent vom Vorjahresverbrauch von Haushalten subventioniert wird, und alles, was ein Haushalt darüber konsumiert, hat einen höheren Preis. Alternativ könnte man nur den Grundverbrauch kompensieren. Wir können nicht mit der Gießkanne an alle Menschen willkürlich Steuergeld verteilen, sondern sollten einkommensschwächeren Schichten helfen. Bei einem Spritpreisdeckel oder auch einer Mehrwertsteuersenkung für Diesel oder Benzin ist Greenpeace sehr kritisch, wenn man mit der Gießkanne drüberfahrt, und dann auch die klassischen SUV-Fahrer mit Drittwagen davon profitieren. Da sollte ebenfalls sehr gezielt entlastet werden. Beim Modell CO2-Preis und Klimabonus schaut man ja auch auf eine Umverteilung.
Die slowakische Atomaufsichtsbehörde (UJD) bestätigte nach einem Berufungsverfahren die Betriebserlaubnis für den dritten Block des Kernkraftwerks Mochovce. Scharfe Kritik an der Vorgangsweise kommt von Umweltschützern. Abgesehen davon, dass Österreich jetzt schon Atomkraft importiert: Ist Atomkraft in der jetzigen Situation nicht sogar die sauberste Lösung?
Atomkraft bleibt aus unterschiedlichen Perspektiven immer noch sehr problematisch: Die Endlagerung ist nicht geklärt, es besteht immer noch die Gefahr eines Unfalls. Wir sehen gerade auch jetzt mit dem Ukraine-Krieg, wie gefährlich es sein kann, wenn ein Land angreift und dann die Blöcke unbewacht oder von keinem Fachpersonal gemanagt werden. Wir sprechen uns daher nach wie vor strikt gegen den Ausbau von Atomkraft aus, weil wir bessere, klimafreundlichere Lösungen haben, wie zum Beispiel Sonne oder Windkraft.
Windräder gelten als ein Puzzleteil am Weg weg von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Doch wird für die Produktion von Windrädern das Isoliergas SF6, das stärkste und somit gefährlichste Treibhausgas, das es gibt, verwendet. 1 Teil SF6 entspricht 23.000 Teilen CO2. Wie ist die Haltung von Greenpeace dazu?
Solche Gase kommen in unterschiedlichen Bereichen vor, etwa bei Kühlgeräten oder Wärmepumpen, die einen niedrigen Siedepunkt brauchen. Diese Gase werden im Normalfall im Kreislauf geführt, das heißt, sie werden im Unterschied zu CO2 oder Methan nicht ausgestoßen. Verbrennt man hingegen Kohle, dann entsteht CO2 und das ist dann in der Atmosphäre. Man muss natürlich aufpassen, dass es im Windkraftwerk zu keinen Schäden kommt und das Gas dann austritt. Dafür gibt es Sicherheitsvorkehrungen und es wird derzeit an Gasen geforscht, die im Falle eines Austritts weniger klimaschädlichen sind.
Große Unternehmen sagen, sie sind Co2-neutral, weil sie spenden zb. an Umweltschutzorganisatione, etwa für Aufforst-Projekte. Damit können sie sich das Label CO2-neutral auf die Fahnen heften. Ist Green-Washing Konsumenten-Täuschung, oder trägt das über Umwege auch zu den Energiezielen bei?
Wir bei Greenpeace haben eine klare Haltung: Wir unterstützen Kompensationsprojekte nicht. Wir finden das genau aus den Gründen, die Sie jetzt geschildert haben, sehr problematisch. Es ist irreführend für die Menschen und unfair im Wettbewerb der Unternehmen. So kann man gar nicht mehr unterscheiden zwischen Unternehmen, die vielleicht sehr hohe Investitionen aufwenden, um klimaneutral zu werden, oder solchen, die sich sehr billig irgendwelche Schrott-Zertifikate kaufen. Wir haben in der Vergangenheit oft sehr große Problematiken mit Kompensationsprojekten beobachtet, die etwa mit Menschenrechtsverletzungen einhergingen, wenn Menschen aus ihrer Heimat vertrieben oder umgesiedelt werden, nur um einen Wald aufzuforsten, um das dann den Europäer*innen für ein gutes Gewissen zu verkaufen. Brennt ein Wald ab, dann hat die Kompensation (gemeint ist Aufforstung, Anm.) auch nicht funktioniert. Die Waldbrände werden mit der Klimakrise häufiger, intensiver, unberechenbarer. Das heißt, wir sehen dieses Label „CO2-neutral“ äußerst kritisch, denn in den wenigsten Fällen ist es wirklich eine CO2-Neutralität, weil kein CO2 ausgestoßen wird, sondern es wird hier ein moderner Ablasshandel betrieben, indem man einfach ein paar Zertifikate kauft und dann weitermachen kann wie bisher.
Gibt es Kompensationszahlungen für Greenpeace-Projekte?
Nein.
Waldbrände werden durch die Dürre immer häufiger, der Gletscherschwund beschleunigt sich enorm, Überschwemmungen werden häufiger, aber trotzdem fehlt in Österreich immer noch ein neues Klimaschutzgesetz, das die gesetzlichen Zielwerte und Treibhausgasbudgets pro Jahr festgelegt. Das Energieeffizienzgesetz ist auch ausgelaufen. Auch hat Österreich noch keine Wasserstoffstrategie und ein Grünes-Gas-Gesetz auf den Weg gebracht. Da hört man aber eigentlich relativ wenig von den Umweltschutzorganisationen, keinen Aufschrei in der Öffentlichkeit. Wo bleibt der? Es ist 5 vor 12, manche sagen es ist 5 nach 12.
Momentan befinden wir uns im Krisenmodus. Trotzdem wird außer Acht gelassen, langfristig Pflöcke einzuschlagen, damit zum Beispiel Abhängigkeiten vom fossilen Gas nicht mehr passieren. Es geht also nicht nur darum, wie wir im nächsten Winter die Häuser ein bisschen weniger beheizen, und nach dem Winter ist wieder alles gut – was nicht eintreten wird. Es geht vielmehr darum, sicherzustellen, dass wir Schritt für Schritt, mittel- aber auch langfristig, wirklich aus der Abhängigkeit rauskommen. Wir beteiligen uns aktiv daran, die Regierung in die Verantwortung zu nehmen. Gerade kam zum Beispiel das neue Erneuerbare-Wärme-Gesetz heraus, das den Ausstieg von Ölheizungen regelt. Die Gasheizungen werden aber in einem sehr schwammigen Text behandelt, der kein Enddatum für Gasheizungen per se vorsieht. Hier hat man sich eine Hintertür eingebaut. Da heißt es, wenn man eine Gasheizung betreibt, auch nach 2040, ist es okay, wenn man grünes Gas verwendet. Das sehen wir sehr kritisch, weil diese Mengen an grünem Gas wird es für die Haushalte nicht geben, da besteht einfach die reale Gefahr, dass man dann weiterhin mit fossilem Gas heizt. Da haben wir von Seiten Greenpeace mit anderen Umweltorganisationen einen Einspruch abgegeben. Zum seit über 600 Tagen fehlenden Klimaschutzgesetz musste der Bundeskanzler sich im Rahmen eines Forums rechtfertigen. Wenn dieser sagt, dass dieses Gesetz momentan keine Priorität hat, so muss man ganz klar sagen, dass der Bundeskanzler nicht verstanden hat, worum es bei der Klimakrise geht. Wir müssen den Fahrplan jetzt festlegen, wie wir die Emissionen senken, sonst haben wir noch weitaus größere Probleme und Konsequenzen, als jene, die wir jetzt schon sehen, mit Überflutungen, Gletscherschmelze usw.
Was hat jetzt die höchste Priorität?
Das Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz zu verbessern, also wirklich mit einem Gasaustieg, sodass uns diese Abhängigkeit nicht mehr passiert, und das Energie-Effizienz-Gesetz. Andere Länder beschließen Gesetze, die zum Beispiel das Fahren von Rolltreppen verbieten, oder festlegen, dass Gänge in Regierungsgebäuden im Winter nicht mehr geheizt werden bzw. Räume nur mehr auf ein Mindestmaß an Temperatur. Beim Energie-Effizienz-Gesetz wird es vor allem darum gehen, dass die Industrie zum Sparen angehalten wird, und dass festgelegte Einsparungen Potenzial für die nächsten Jahre haben. Dass es nicht nur temporäre Maßnahmen sind, wo wir halt einmal die Heizung runterschalten, sondern dies zur Standard-Lösung machen, dass wir nicht mehr überlegen müssen, wie können wir Energie sparen, sondern dass unsere Häuser so isoliert sind, dass sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Dass auch die erneuerbaren Energien so ausgebaut sind, dass man auch diese Problematik mit der fossilen Energie nicht mehr hat. Also ja, es wären diese drei, Erneuerbare-Wärme-Gesetz, Klimaschutzgesetz, Energie-Effizienz-Gesetz.
Flüssiggas wird ja jetzt auch teilweise in größeren Mengen eingekauft, auch von unseren Nachbarländern. Verstärkt Flüssig-Erdgas nicht unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen?
Wir sehen das sehr kritisch, Flüssiggas wird sehr viel in den USA produziert und natürlich auch von dort exportiert, da kommen sehr viele umweltinvasive, zerstörerische Techniken zum Einsatz, mit Fracking beispielsweise. Das heißt, das ist nicht nur ein Problem für das Klima, sondern auch ein Problem für die Menschen, die dort wohnen, die Umwelt direkt lokal vor Ort. Es ist von der Klimabilanz her nicht anders als Gas, und wir verstärken damit wieder eine Abhängigkeit von anderen Ländern, die das exportieren. Und man hat am Anfang eine Euphorie bei Ländern wahrgenommen, die irgendwelche Memoranda of Understandings gemacht haben, die teilweise schon wieder geplatzt sind oder es kein Follow-Up gab. Dazu muss man auch wissen, in der EU liegt die LNG-Kapazität (LNG für englisch liquefied natural gas) bei 60 Prozent Auslastung. Das heißt, wir denken nun darüber nach, Milliarden weitere Terminals zu bauen, während wir nicht wissen, woher das Gas kommt. Und wir machen uns wieder von Ländern abhängig. Dann bauen wir noch Milliarden weitere Terminals, die wir über Jahrzehnte betreiben müssen, um gewinnorientiert zu bleiben. Man sollte eher auf erneuerbare oder energiesparende Maßnahmen setzen.
Danke für das Gespräch.




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