Europaabgeordneter Waitz
Warum Österreich Mercosur nicht zustimmen soll

Waitz fordert eine starke finanzielle EU-Unterstützung für den Kampf gegen Entwaldung in allen Ökosystemen. Das EU-Mercosur-Abkommen ist seiner Meinung nach "neokolonial". | Foto: ©Serena Vittorini
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  • Waitz fordert eine starke finanzielle EU-Unterstützung für den Kampf gegen Entwaldung in allen Ökosystemen. Das EU-Mercosur-Abkommen ist seiner Meinung nach "neokolonial".
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In Österreich ist die Diskussion um ein mögliches EU-Mercosur-Freihandelsabkommen wegen umweltpolitischer Bedenken neu entflammt. Aber ist Rindfleisch und Holz aus Brasilien ohne Zwangsarbeit und Kahlschlag möglich? Europaabgeordneter (MEP) Thomas Waitz begab sich Ende August zwei Wochen lang in die Ökosysteme des brasilianischen Amazonasregenwalds, des Cerrados (Trockensteppe) und des Pantanals (Feuchtgebiet), um der Frage nachzugehen, ob aktuell ausbeutungs- und entwaldungsfreie Lieferketten für Holz, Gold und Rindfleisch funktionieren.

ÖSTERREICH. Österreich lehnt das Freihandelsabkommen Mercosur im Gegensatz zu vielen EU-Staaten ab. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Anders Handeln“ warnte kürzlich davor, dass die EU-Kommission die nötige Zustimmung der Mitgliedsstaaten mit einem „Verfahrenstrick“ aushebeln könnte. Seit Jahren wird über das umstrittene Freihandelsabkommen verhandelt. Nun hat Paraguay eine endgültige Frist gesetzt. Die österreichische Regierung hatte sich auf Basis eines Beschlusses im Nationalrat zu einem Nein zu dem Abkommen verpflichtet. 

Der Grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz berichtet, wie der brasilianische Regenwald entwaldet und Menschen und Boden ausgebeutet werden. Neben Gesprächen mit lokalen NGOs, Expertinnen und Experten sowie brasilianischen Politikerinnen und Politikern und Ministerien besuchte er unter anderem dortige Rinderbetriebe, ein Schlachthaus und die indigene Gemeinschaft der Xavantes sowie eine Gemeinschaft von Nachfahren ehemaliger Sklaven und Sklavinnen.

Konkret reiste Waitz in den brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, der rund elfmal so groß wie Österreich ist, und als größter Produzent und Exporteur Brasiliens von Sojabohnen, sowie Baumwolle und Mais gilt. Allein in den Jahren 2021 und 2022 seien in Mato Grosso 14 Prozent Waldfläche gerodet worden, so Waitz. In Cerrado, das am stärksten bedrohte Ökosystem Brasiliens, welches ein Viertel des brasilianischen Territoriums ausmacht, wurden heuer durch Waldbrände und Abholzung um 87 Prozent mehr Flächen im Vergleich zu 2022 entholzt. 49 Prozent waren bereits für Sojaplantagen und Weiden, sowie die Gewinnung von Rohstoffen zerstört worden. Und das Feuchtgebiet Pantanal werde immer mehr für Weidehaltung von Kälbern genutzt. Aber auch hier stellte Waitz einen massiven Anstieg an Waldbränden, Zerstörung von Biodiversität fest, viele Tiere seien geflüchtet.

Entwaldung, Zwangsarbeit und Gewalt

Die durch Kahlschlag bzw. Brandrodung entwaldeten Flächen werden als Weideflächen für Rinder sowie für Ackerbau genutzt. Nur 30 Prozent der gerodeten Bäume werden verarbeitet, der Rest wird als Holzkohle in der Stahlproduktion verwendet. Viele Kleinbäuerinnenverbände beklagen den großen Druck durch die starken Agrarlobbys und leiden unter Gewaltandrohung, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt. Waitz berichtet auch von Fällen von Zwangsarbeit und de facto Sklaverei im Agrarsektor.

Zum Teil gebe es zwar gute Gesetze gegen Entwaldung, jedoch gebe es große Probleme in der Umsetzung und Kontrolle: Die Umweltpolizei sei stark unterbesetzt, es regiere Korruption und Urkundenfälschung sowie organisierte Kriminalität. Die Bundesstaaten würden die Umsetzung der Gesetze ignorieren bzw. die Umsetzung verzögern .

Rinderzucht der Superlative

Das brasilianische Institut für Geographie und Statistik (IBGE) schätzt, dass es in Brasilien mehr als 200 Millionen Rinder gibt – fast ein Rind pro Einwohner. Mit dieser ständig wachsenden Zahl ist Brasilien größter Exporteur und zweitgrößter Produzent der Welt. Es gebe keine Ohrmarken, keine Nachvollziehbarkeit des Viehbestands. Qualitätsprodukte würden in die EU exportiert - der Rindfleischbedarf in Europa sei jedoch bereits zu ca. 110 Prozent gedeckt  – der Rest gehe nach China oder verbleibe in Brasilien.

In Brasilien würden Herbizide, Insektizide und Pestizide, die längst in der EU verboten sind, großflächig eingesetzt, Gifte, die von EU-Firmen hergestellt werden, teils per Flugzeug versprüht. Die Grenzwerte für die Anwendung mit oft über 30 verschiedenen Pestiziden liegen dort im Gegensatz zur EU oft 30 Mal höher, und würden eine Multi-Kontamination in Boden, Luft und Wasser (Regen, Quellen, Flüsse etc) erzeugen. Pestizideeinsatz würde auch als Mittel zur Vertreibung von Familien genutzt, mit dem Effekt, dass die Krebsraten etwa in Mato Gross extrem hoch seien, im Xavantes-Gebiet die Gebärmutterkrebsrate massiv angestiegen sei. Die meisten Produkte, bei denen ein hoher Pestizideinsatz anfällt, werden in internationale Märkte exportiert.

Insgesamt sieht Waitz in den von ihm besuchten Gebiete in Brasilien keine Nachvollziehbarkeit entlang der Lieferketten bei Gold, Rindfleisch und Holz. Auch stellt er eine starke Verzahnung zwischen Politik und Industrie fest. Profiteure des EU-Handelsabkommen seien einige wenige (Agrar-)Großkonzerne in Europa und Großgrundbesitzer in Brasilien. Waitz fordert eine starke finanzielle EU-Unterstützung für den Kampf gegen Entwaldung in allen Ökosystemen. Das EU-Mercosur-Abkommen ist seiner Meinung nach "neokolonial".

Warum Greenpeace das Mersosur-Abkommen ablehnt

Das geplante Abkommen soll laut Umweltschutzorganisation Greenpeace dafür sorgen, dass die EU von den Mercosur-Staaten unter anderem "noch mehr billiges Rindfleisch und Futtersoja im Tausch gegen profitable Exporte von Pestiziden, Verbrennerautos und -Autoteilen" bekommt.

Die geförderten Produkte stehen oft in direktem Zusammenhang mit Naturzerstörung, der Klimakrise, dem Verlust der Artenvielfalt und/oder der Bedrohungmenschlicher Gesundheit, heißt es vonseiten Greenpeace. Das Abkommen in seiner jetzigen Form würde mehr und billigere solcher schädlichen Produkte fördern, anstatt ihre Produktion und ihren Verbrauch zu reduzieren. Damit stehe es im krassen Widerspruch zu umweltpolitischen Errungenschaften der letzten Jahre, wie dem Pariser Klimaabkommen oder dem europäischen Green Deal. 

Warum die Wirtschaftskammer Mercosur fördern will

Mit rund 260 Millionen Einwohnern – also ca. die Hälfte der heutigen EU - sei der Mercosur ein Markt mit rund 260 Millionen Einwohnern – also ca. die Hälfte der heutigen EU. Lateinamerika sei, im Gegensatz zu Afrika oder Asien, durch die Sprache (nur Spanisch und Portugiesisch) ein extrem homogener Raum, der eine Marktbearbeitung viel leichter mache, als in anderen. Der Mersocur sei zudem eine ressourcenreiche Region. Viele aktuelle Probleme, die wir durch den Klimawandel und den Ukraine-Russland-Krieg haben, könnten wir mit Mercosur lösen, denn es gebe hier viele Möglichkeiten für grünen Wasserstoff, Rohstoffe für den Bau (Holz) und potenzielle Fachkräfte mit einem starken Europabezug, heißt es auf der Seite der Wirtschaftskammer Österreichs, die hier einen Hoffnungsmarkt für Österreichs Wirtschaft sieht.

Mercosur habe den Grundgedenken der EU, durch Handel Frieden stiften, zum Ziel, heißt es weiter. Es gehe nicht darum, Rohstoffe billigst für die europäische Industrie zu bekommen, sondern die Mercosur-Länder verstärkt in die europäische Wertschöpfungskette unter ökologisch und sozialen nachhaltigen Rahmenbedingungen einzubinden:

"Wenn wir der Dominanz von China die Stirn bieten wollen, wenn wir nicht wollen, dass wirtschaftlich schwache Länder in die Arme von China getrieben werden, und dort Rohstoffe von China rücksichtslos abgebaut werden, muss es ein Anliegen sein, für ein Mercosur-Abkommen zu stimmen. Denn wenn wir dagegen sind, bleibt diesen Ländern nur die Alternative, mit China zusammenzuarbeiten. China ist heute schon präsent und gerne bereit, alle Rohstoffe, die sie dort bekommen, zu günstigsten Bedingungen abzubauen."

Der Gemeinsame Südamerikanische Markt (Mercado Común del Sur, MERCOSUR Gemeinsamer Südamerikanischer Markt, spanisch: Mercado Común del Sur ) ist ein regionaler Zusammenschluss der fünf südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela. Internationale und kritische Verbände drängten zuletzt zumindest auf weitgehende Korrekturen an dem Mercosur-Vertrag. Die EU und die südamerikanischen Mercosur-Staaten hatten vor 2019 eine Grundsatzeinigung für einen Handelsvertrag erzielt. Zuvor war 20 Jahre lang verhandelt worden. Die EU dürfte aufgrund globaler Verschiebungen versuchen, neue Handelspartner zu gewinnen und die Beziehungen zu demokratischen Ländern zu vertiefen. 

Soll Österreich Mercosur zustimmen?

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