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Innovation in der Medizin – wie viel davon vertragen Arzt und Patient?

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Das medizinische Wissen wächst rasant, die Technik macht nahezu täglich bis dato Undenkbares möglich, die Pharmaindustrie geht neue und immer innovativere Wege.
Diese Entwicklung ist allerdings nicht immer nur ein Segen, für die Ärzteschaft einerseits und die Patienten andererseits wirft dies eine Fülle von Fragen, Problemen und Sorgen auf. Die wichtigste Frage: Welche Therapien sind möglich, welche leistbar und vor allem: Was nützt dem Patienten? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat die WOCHE zu einem hochkarätigen Gipfelgespräch mit Vertretern der Ärzteschaft und der Patienten, der Sozialversicherung, der Spitalsträger und der Politik (Teilnehmerliste siehe unten) geladen. Kernfrage: Welche Ideen, welche Ansätze gibt es, um eine solidarische Versorgung mit innovativen Therapien für alle Österreicher möglich zu machen?
Klar ist: Die Ressourcen sind beschränkt, das weiß auch Gerald Bachinger seines Zeichen Sprecher der österreichischen Patientenanwälte. Rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen derzeit Gesundheitswesen, man verlange nicht unreflektiert, dass mehr Mittel ins System gepumpt werden. "Patientenrecht ist aber das Recht auf bestmögliche Versorgung." Klar sei, dass man Ressourcenentscheidungen treffen müsse, man müsse rationieren. "Das passiert auch schon, aber versteckt. Wir wollen es transparent, nach fairen Kriterien und maximaler Patientenbeteiligung", so Bachinger.
Unterstützung bekommt er hier von Martina Hagspiel (Verein Kurvenkratzer), die selbst eine Krebserkrankung hinter sich hat: "Es muss gelingen, qualifizierte Patientenstimmen in diesen Entscheidungsgremien zu installieren." Patienten, denen man dafür auch eine entsprechende Ausbildung zukommen lassen müsse: "Die Patientensicht ist eine andere als die Systemsicht."

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Medizinische Wissen verdoppelt sich alle 73 Tage
Aspekte, die Isabella Bauer-Rupp von der steirischen Gebietskrankenkasse durchaus nachvollziehen kann: "Die solidarische Versorgung wird auch die Basis der neuen Österreichischen Gesundheitskasse sein." Diese tritt ja bekanntlich ab nächstem Jahr an die Stelle der bisher agierenden Länderkassen. Ihr vorrangiger Wunsch an die Zukunft als potenzieller "Finanzier" der innovativen Therapien: "Die Zahler und die Ärzte brauchen eine gemeinsame Sicht dieser Dinge – denn sonst wird der Patient zum Spielball zwischen den beiden.
Lars-Peter Kamolz (Med-Uni Graz) geht hier noch einen Schritt weiter. Wesentlich sei natürlich, dass das verabreichte Medikament sicher sei. Nicht weniger, aber auch nicht mehr besage die Zulassung eines Medikaments. Ebenso wichtig sei es aber auch, dass der Patient davon profitiere. "Es kann nicht sein, dass man eine Therapie macht, nur weil man als Arzt sprachlos ist und dem Patient nicht sagen will, dass es keine Option mehr gibt ..."
Die entsprechende Entscheidungsfindung für den Mediziner werde durch die Entwicklung immer schwieriger. Bereits 2020 wird sich das medizinische Wissen alle 73 Tage verdoppeln, präsentiert Kamolz unglaubliche Zahlen. "Es ist die wichtigste Frage: Wie schaffen wir es, hier up to date zu bleiben, wie schaffen wir die notwendige Unterstützung für die Ärzte?" Ein Faktum, Wolfgang Köle, ärztlicher Direktor des LKH Graz forumliert seinen Appell noch dramatischer: "Helft den Ärzten! Sie lassen den Patienten die Therapie angedeihen, sie müssen in letzter Konsequenz am Krankenbett die Entscheidung treffen." Noch in den 1980er-Jahren habe man eine Ärzteschwemme gehabt, in der Therapie habe man das gemacht, was die aktuelle Literatur vorsah: "Jetzt muss der Arzt eine komplexe Infrastruktur im Hintergrund mitdenken und den gesamten administrativen Aufwand, vor allem bei teuren Medikamenten. Philipp Hofer, als Grazer Gemeinderat in Vertretung der Stadt Graz dabei, kann dies aus eigener Erfahrung unterstreichen: Der junge Mediziner spricht aus eigener Erfahrung am UKH Graz: "Es ist leider so, dass oft kaum Zeit für das Gespräch mit den Patienten bleibt, dieser bekommt dadurch das Gefühl nicht gut behandelt zu werden."
Unterstützung bekommt Hofer dabei von Eiko Meister, Obmann der Kurie Angestellte Ärzte in der Ärztekammer: "Es gibt ein unglaubliches Angebot an Pharmazeutika in Österreich, aktuell sind im Spitalsbereich rund 32.000 Produkte verfügbar", führt er aus. Er spreche sich deshalb ganz klar für zentrale, transparente Effizienzstudien aus wie etwa in Deutschland. "Das wird auch in Österreich unabdingbar sein. Bei der hohen Taktung von Industrie und Technik müsse man die Ärzte besser unterstützen. Er wünsche sich vor allem mehr Zeit für die Ärzte, um Entscheidungen gemeinsam mit den Patienten treffen zu können.
"Ärzte sind keine Ökonomen"
Alexander Rosenkranz, Leiter der Nephrologie am LKH Graz, ortet hier ohnehin einen Pardigmenwechsel: "Früher hat man sich die Frage gestellt: Welcher Patient überlebt welche Therapie." Heute würden ganz andere Kriterien zählen: "Wie gut erholt sich der Patient von der Therapie, wie gut kann er seine tägliche Aktivitäten verrichten, ohne eingeschränkt zu sein?" Genau in diese Richtung gehe es für den Arzt. "Wir sind die Anwälte der Patienten. Der Arzt entscheidet ob die Therapie Sinn macht, die wirtschaftliche Entscheidung muss jemand anders treffen. Wir sind keine Ökonomen, das haben wir nicht gelernt." Als Arzt stehe man allerdings am Krankenbett und müsse diese Entscheidung kommunizieren.

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Steiermark als Vorreiter
Positiv: In der Steiermark ist man diesbezüglich bereits auf einem guten Weg, wie KAGes-Vorstand Karlheinz Tscheliessnigg berichtet: Hier installierte man bereits vor drei Jahren ein medizinisches Innovationsboard (MIB), dem sich mittlerweile (bis auf Wien) alle Bundesländer angeschlossen haben. "Jedes neue Medikament durchläuft eine Einzelbewilligung, dem Patienten wird so klargemacht, dass wir nicht alles, was es am Markt gibt, auch machen." Dies müsse man österreichweit verbindlich machen, man dürfe die Länder damit nicht alleine lassen. "Wir müssen es schaffen, dass man sich österreichweit einig ist, was ,state of the art‘ ist. Dann sei auch die Finanzierung möglich: "Es ist genug Geld da, wenn man es richtig einsetzt."
Michael Koren, Geschäftsführer des steirischen Gesundheitsfonds, ergänzt dazu durchaus kritisch, dass man sich die Ressourcenverteilung gut ansehen müsse. Denn da und dort gebe es durchaus Über- und Fehlversorgung – im Vergleich zu Unterversorgung in Bereichen wie etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Hier müsse man über ökonomischen Druck einen Ausgleich schaffen.
Ines Vancata, Market Access Director bei Roche, steuerte schlussendlich den Standpunkt der Industrie bei: Es sei essentiell, dass man ein gemeinsames Verständnis von Therapien entwickle – das brauche aber auch gemeinsame Richtlinien für alle Bundesländer. "Es kann nicht sein, dass der Patient in Oberösterreich andere Behandlungen bewilligt bekommt als in der Steiermark oder in Tirol." Den Preisverhandlungen würde sich die Industrie jedenfalls stellen, man sei gerne bereit, über innovative Preismodelle zu diskutieren.



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