Afrikanische Literatur in Graz
"Die Donau braucht auch keinen Reisepass"
Vom Poetry Slam bis ins Forum Stadtpark: Ein Gespräch über afro-österreichische Literatur in Graz.
Mit Abdulrazak Gurnah ging heuer erstmals seit 2003 der Literaturnobelpreis nach Afrika. In 120 Jahren Nobelpreisgeschichte ist er erst der fünfte afrikanische Autor, der die begehrte Auszeichnung erhält. Ein guter Zeitpunkt, um einmal nachzufragen, warum afrikanische Autoren im Literaturbetrieb kaum sichtbar sind und worüber sie so schreiben.
Die Woche hat sich dafür mit dem – mehrfach ausgezeichneten – Grazer Autor Fiston Mwanza Mujila verabredet, der seit diesem Jahr die Sparte "Literatur" im Forum Stadtpark leitet. Eines seiner Ziele: Afrikanischen Literaturen auch hier endlich Platz zu geben. Im Interview spricht er über die erste afro-österreichischen Autorengeneration, grenzüberschreitende Literatur und Schriftsteller, deren Werk man gelesen/erlebt haben sollte.
In Vorbereitung auf dieses Interview habe ich mein eigenes Bücherregal durchstöbert, aber tatsächlich noch keinen afrikanischen Autor unter meinem Lesestoff: Warum sind diese Autoren im deutschsprachigen Raum weniger sichtbar?
Das hat unterschiedliche Gründe: Erstens haben Deutschland und Österreich keine Tradition als Kolonialmacht wie Frankreich oder Belgien. Es gab also weniger Kontakt zwischen den Kulturen. Zweitens ist Literatur immer mit Sprache verbunden: Wenn jemand aus Afrika auf Französisch schreibt, kann man das auch in Frankreich lesen. Das führt dazu, dass ich als afrikanischer Schriftsteller in Frankreich publizieren und davon ausgehen kann, dass das Buch auch gekauft wird.
Über Fiston Mwanza Mujila:
Mujila ist ein kongolesischer Schriftsteller, der seit 2009 in Graz lebt und auf Franzözisch publiziert. Für seinen ersten Roman "Tram 83" erhielt er gleich mehrere Preise und wurde erst diesen Dezember den internationalen Literaturpreis "Prix Les Afriques". Seit 2021 ist er außerdem Leiter der Sparte "Literatur" im Grazer Forum Stadtpark.
Dieses Jahr hat erstmals ein Tansanier den Literaturnobelpreis gewonnen. Als bekannt wurde, dass Gurnah die renommierte Auszeichnung erhalten würde, reagierten die meisten überrascht. Sie auch?
Ich war überrascht. Es hat immer wieder afrikanische Autoren auf der Shortlist gegeben, aber meistens haben sie dann nicht gewonnen. Ich bin also eher überrascht, dass man das endlich gewagt hat. Aber es ist ja nicht nur der Nobelpreis: Der Prix Goncourt für den besten französischsprachigen Roman ist dieses Jahr zum Beispiel an Mohamed Mbougar Sarr gegangen (Anm.: ein senegalesischer Schriftsteller). Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe bekommen. Da passiert jetzt langsam was und das hat auch mit politischen Bewegungen wie "Black Lives Matter" zu tun.
Inzwischen gibt es auch Schriftsteller wie Sie, die man als afro-österreichisch bezeichnen könnte, oder?
Stimmt, auch wenn ich nicht wirklich in diese erste Generation solcher Schriftsteller falle. Ich bin nicht hier in Österreich geboren. Anders ist das zum Beispiel mit Precious Nnebedum (Anm.: Grazer Poetry Slammerin). Sie gehört zu einer ersten Generation von afrikanischen Schriftsteller:innen in Graz. Das ist alles gerade noch am Anfang.
Worüber schreiben afrikanische Autoren denn?
Das Themenfeld ist sehr breit. Afrika ist ja auch kein Land, sondern ein Kontinent und Schriftsteller aus dem Kongo haben andere Themen als Autoren, die in Südafrika leben. Deshalb sollte man eigentlich auch nicht von der "Afrikanischen Literatur" sprechen, sondern viel eher von "Afrikanischen Literaturen" in der Mehrzahl. Denn "die afrikanische Literatur" gibt es nicht.
In Interviews haben Sie gesagt, dass man nur über die Literatur und im Gespräch mit Afrikanern etwas über Afrika lernen könnte, nicht aber über die Medien. Warum?
Die Medien suchen immer nach Sensationen: Wenn es einen Krieg gibt, oder einen Putsch, dann ist das interessant. Tatsächlich ist das eine Konstruktion und schafft ein falsches Bild von Afrika. In den Medien ist Afrika ein ferner, exotischer Kontinent, in dem es hauptsächlich Malaria und Krieg gibt. Kunst und Literatur sind ein viel besserer Weg, Afrika zu verstehen.
Sie sind seit diesem Jahr Leiter der Sparte "Literatur" im Forum Stadtpark: Werden Sie auch in Zukunft ein Augenmerk auf afrikanische Literatur legen?
Auf jeden Fall. Ich habe vor, weiterhin ein Programm zu gestalten, das tief in diesem Land und der steirischen Tradition verwurzelt ist und zugleich weiterschaut, Grenzen öffnet. In Zukunft soll es im Forum auch um die schwarze Diaspora gehen, um afrikanischen Feminismus und vieles mehr.
In diese Sparte fallen doch auch die transnationalen Literaturtage, die sie unter dem Titel "Weltwortreisende" kürzlich veranstaltet haben?
Das stimmt. Dafür habe ich österreichische und afrikanische Schriftsteller gemeinsam auf eine Bühne eingeladen. Das war mir besonders wichtig: Sie sollten als Schriftsteller auf dieser Bühne stehen und nicht nach ihrer Herkunft eingeteilt werden. Ich sage immer Literatur ist wie ein Fluss, denn sie kennt keine Grenzen. Die Donau braucht auch kein Visum.
Buchtipps von Fiston:
„Alles zerfällt“
Chinua Achebe Roman 240 Seiten Fischer Taschenbuch Verlag |
„Blauer Hibiskus“
Chimamanda Ngozi Adichie Roman 336 Seiten Fischer Taschenbuch Verlag |
„Aufbrechen“
Tsitsi Dangarembga Roman 280 Seiten Orlanda Verlag |
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.