Experte Nikolaus Lallitsch
Glücksdörfer statt Urbanisierung – die Immobilienbranche orientiert sich neu

Gegentrend: Der ländliche Raum könnte eine Renaissance erfahren, prognostiziert Immobilienexperte Nikolaus Lallitsch. | Foto: APA
  • Gegentrend: Der ländliche Raum könnte eine Renaissance erfahren, prognostiziert Immobilienexperte Nikolaus Lallitsch.
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Es muss und wird ein Leben nach Corona geben, in einer "neuen Normalität", wie Politiker und Experten betonen. Die WOCHE hat daher Meinungsbildner und Querdenker gefragt, wie diese neue Normalität aussehen könnte. Zum Start: Nikolaus Lallitsch, Geschäftsführer von Raiffeisen Immobilien, dem steirischen Marktführer – er ist im Gespräch durchaus nachdenklich gestimmt.

Herr Lallitsch, wie geht es der Branche aktuell?
Nikolaus Lallitsch:
Zunächst geht es weiterhin darum, dass möglichst wenige Österreicher diesem heimtückischen Virus zum Opfer fallen, dem sind derzeit alle unsere Aktivitäten untergeordnet. Da haben Spekulationen, ob die einen oder anderen als Gewinner aus der Krise hervorgehen könnten, nur ganz wenig Platz. Auch die m²-Preisentwicklung in Sankt Irgendwo hat jetzt keine Priorität.

Was sagen Sie derzeit Ihren Kunden?
Viele sind besorgt, ihnen können wir aber versichern: Immobilien haben sich schon in der Vergangenheit oft als harte und verlässliche Krisenwährung erwiesen. Wir können davon ausgehen, dass es auch diesmal so ist. Je stärker die Gesamtwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird,
je tiefer die Rezession ausfällt, desto niederer werden wohl die Kreditzinsen sein müssen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. So schwierig dieses Niedrigzinsniveau für die Banken auch sein mag, so fördert es immerhin die Investitionsbereitschaft in Immobilien. Und die scheint ungebrochen.

Wie war die Entwicklung nach der letzten Wirtschaftskrise?
Bezeichnenderweise hat sich die Zahl der jährlichen Immobilientransaktionen im letzten Jahrzehnt, also seit Lehman Brothers und dem Finanzdebakel von 2008, um zwei Drittel von rund 85.000 auf zuletzt rund 138.700 Kauffälle pro Jahr gesteigert. Da ging es oft um einen Ausstieg aus undurchsichtigen Finanzprodukten hin zu einem Umstieg auf solide Werte, etwa Vorsorgewohnungen.

Waren das Angstkäufe?
Ja, aber aus den panischen Reflexen von damals ist eine solide Entwicklung geworden, die anhält. Das vergangene Jahr brachte mit einem Immobilienkaufpreis-Volumen von fast 35 Milliarden Euro überhaupt einen neuen österreichischen Rekord.

Und in der Steiermark?
In der Steiermark wurden 21.200 Kaufgeschäfte mit einem Rekordwert von erstmals über vier Milliarden Euro abgewickelt. 2,7 Milliarden davon flossen in die Landeshauptstadt Graz und ihr Umland. Graz hat sich allen “Immobilienblase”-Rufen zum Trotz als Immobilien-Hotspot weiter etabliert. Scheinbar sind also alle Signale auf "Boom" gestellt. Dennoch scheint Nachdenklichkeit angebracht.

Weil ...?
Vielleicht hat uns Mutter Erde ja in das "home office" geschickt, damit wir uns in ein paar ruhigen Momenten Gedanken über die Zukunft machen...? Diesmal steht allerdings nicht die Finanzanlagestrategie auf dem Prüfstand, sondern unser Lebensstil. Neben kurzfristigen Reaktionen wird es auch um neue Denkweisen gehen.

Zum Beispiel?
Unsere Arbeits- und Wohnwelten sind wohl unwiderruflich im Umbruch. Das hat Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Fahren wir alle auch in der neuen TelKo- und ViKo-Ära noch quer durch Stadt und Land zu durchschnittlich wichtigen Besprechungen und Präsentationen? Muss man dauernd "a dabei" sein, wenn zum Event geladen wird? Und: Wie viel Büroflächen braucht ein Unternehmen im
gerade anbrechenden Zeitalter des Team-Splittings und des Desk-Sharings noch?

Was könnten die Effekte sein?
Vielleicht erfährt ja das sinnlich-gemütliche Einkaufsvergnügen in den Stadtkernen und Ortszentren eine Renaissance. Und möglicherweise verstärkt sich eine Gegenbewegung zur Urbanisierung, nämlich ein Trend zum ländlichen Lebensraum. Aktuell fließen zwei Drittel der steirischen Immobilienkaufpreise nach Graz und Graz-Umgebung. Die Frage muss erlaubt sein, wo die Grenzen dieser Entwicklung sind – und ob das Pendel nicht bald in die andere Richtung ausschlägt. "Glücksdörfer statt Stadt" könnte das neue Motto sein. 

Was kann man sich unter einem Glücksdorf vorstellen?
Natürlichkeit, Nachhaltigkeit, regionale Produkte, heimische Materialien, ehrliches Handwerk, sanfte Mobilität, kurze Wege, Überschaubarkeit, gelebte Nachbarschaft, sparsamer Umgang mit den Ressourcen. All das gewinnt in diesen Zeiten an Bedeutung. Grundstücke, Wald, Forst, Gartenwohnungen, das Haus im Grünen sind jetzt besonders stark nachgefragt. Die Isolation daheim hat den Wert eines lebenswerten, gemütlichen, komfortablen Zuhauses noch verdeutlicht.

Ihr Resümee für die Zeit danach?
Auch wenn früher oder später wieder Normalität in unseren Alltag einzieht, so werden tendenziell auch höhere Werte als die bloße Rendite in das Denken der Immobilienwirtschaft Einzug halten. Ein Glück im Unglück....

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