Wenn Empörung zum(Shit-)Sturm wird

Medienskandale, vor allem im Netz, sind eines der großen Themen des deutschen Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Die WOCHE präsentiert ihn als Starreferent bei der Verleihung des steirischen PR-Panthers. Vorab haben wir mit ihm gesprochen.
Sie widmen sich der „Neuen Lust an der Empörung im digitalen Zeitalter“. Warum ist die digitale Welt ein guter Nährboden für Empörung? Hat das vor allem mit der Anonymität im Netz zu tun?
Bernhard Pörksen: Es stimmt, viele kommentieren anonym. Und Anonymität, so lässt sich zeigen, enthemmt. Man fühlt sich sicher, unangreifbar und bekommt das Leid des anderen nicht mit, sieht nicht, was man da eigentlich auslöst. Überdies: Es gibt eine ganz neue Geschwindigkeit. Eine Gruppe der Wütenden, die auf irgendein Gerücht anspringt, kann sich fast in Echtzeit bilden – und plötzlich entsteht dann eine Empörungswelle, ein sogenannter Shitstorm.
Twitter-Lawine und Shitstorm – sind sich die (Durchschnitts-)Menschen der Dinge, die sie im Netz auslösen, bewusst? Hängt das mit einer steigenden Boshaftigkeit zusammen?
Pörksen: Nein, das glaube ich nicht. Das Problem ist eher, dass einem die Diffamierung eines anderen unendlich leicht gemacht wird. Jeder kann publizieren, bloggen, posten, eine Website eröffnen, andere an den Pranger stellen. Wer im Netz diffamiert wird, der wird im Extremfall vor einem Weltpublikum bloßgestellt, nicht mehr nur in seinem Dorf, seiner direkten Umgebung. Al-lerdings muss man gleich hinzufügen: das Netz besitzt unendlich viele Vorteile. Es ist ja nicht nur Pranger, nicht nur Medium der Aggression und Anklage, sondern auch der Kooperation, des sozialen Austausches, der Information, der Aufklärung.
Wie entwickelt sich so ein Skandal eigentlich bis zur kompletten Entfesselung?
Pörksen: Der klassische Skandal ist in seiner Wirkung zeitlich und räumlich eingrenzbar, wird von klassischen Massenmedien bestimmt, folgt einem bestimmten Ablaufschema. Am Anfang steht eine Normverletzung, von der noch niemand weiß; dann kontaktiert irgendwann ein Informant die Redaktion. Und es sind – das ist der nächste Schritt – Journalisten, die alles bekannt machen, den Rhythmus der öffentlichen Attacke festlegen. Erst ganz am Schluss tritt das Publikum über-haupt in Erscheinung. Der entfesselte Skandal dagegen ist im Extremfall global präsent. Jeder weiß von ihm. Jeder kann mit ein paar Klicks in Erfahrung bringen, was gewesen ist – oft noch nach Jahren und Jahrzehnten. Und alle, eben nicht mehr nur Journalisten, können sich barriere-frei in die Erregungskreisläufe einschalten, die Aufregung verstärken. Das Enthüllungs- und Em-pörungsgeschäft hat sich radikal demokratisiert.
Gibt es wesentliche Unterschiede, ob ein solcher Skandal eine große Marke/einen Konzern oder eine kleines regionales Unternehmen trifft?
Pörksen: Nein, das sehe ich nicht. In allen Skandalisierungsfällen gilt: Man braucht ein Publikum, das mitgeht und das Empörungsangebot eines wütenden Einzelnen annimmt – und dann selbst munter pöbelt, spottet, hasst.
Immer schneller, immer neue Skandale und immer größere Aufregung darüber bedingen auch, dass sich schon bald danach keiner mehr an den Skandal von letztem Monat erinnert. Oder?
Pörksen: Stimmt, die meisten Skandale vergisst man sofort wieder. Nach vier bis sechs Wochen wendet sich das Publikum in der Regel neuen Themen zu.
PR und Marketing nutzen den Skandal ja auch bewusst, Krisen-PR ist in großen Unternehmen kein Fremdwort. Wie sehen Sie die Geschäfte rund um den „entfesselten Skandal“?
Pörksen: Ich glaube, man kann an dieser Stelle nichts Allgemeines sagen: Manche Krisen-PR rettet gleichsam „die Falschen“, denn es gibt Formen und Ansatzpunkte der Skandalisierung, die berechtigt sind. In anderen Fällen regiert nur der Mob, ein sinnfreies Empörungsspektakel, das ein Unternehmen schädigt. Insofern: Es kommt darauf an.
Gibt es auch positive Auswirkungen an der Entwicklung zur „neuen Lust an der Empörung“?
Pörksen: Ja, das würde ich sagen. Das Interessante ist für mich: Skandale führen stets zu mo-dernen Wertedebatten; ein letztes Mal debattiert eine in einzelne Wirklichkeiten zersplitterte Ge-sellschaft über gemeinsame Werte, ringt um eine kollektive Moral – und zwar in Form der Ab-grenzung. Man weiß nicht notwendig, was man positiv möchte, aber plötzlich reden alle darüber: Was wollen wir nicht?

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