Erinnerungskultur
Gedenken an die Befreiung

In einigen Videos sind Aufnahmen vom "Camp Reichenau" zu sehen. | Foto: Matthias Breit/youtube
  • In einigen Videos sind Aufnahmen vom "Camp Reichenau" zu sehen.
  • Foto: Matthias Breit/youtube
  • hochgeladen von Georg Herrmann

INNSBRUCK. Zahlreiche Gedenkveranstaltung erinnern dieser Tage an die Befreiung der Gefangenen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (27.1.). Heute um 11 Uhr findet am Mahnmal Reichenau eine Kranzniederlegung statt, am 29. Jänner einen Gedenkspaziergang.

Kranzniederlegung

Die Vorsitzende der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen Tirol, LAbg. Elisabeth Fleischanderl und der Landesobmann der ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten, Clemens Hornich, werden die Gedenkstunde mit kurzen Begrüßungsreden einleiten. Der Absamer Museumsleiter Matthias Breit, der neben Vertretern von SPÖ und ÖVP an der feierlichen Gedenkkundgebung teilnimmt, beleuchtet in seinem Redebeitrag die Historie des NS-Lagers. Präsident Günther Lieder hält eine Ansprache im Namen der Israelitischen Kultusgemeinde Tirols. Im Anschluss finden die Kranzniederlegungen statt. Die Gedenkveranstaltung beginnt um 11 Uhr.

Gedenkspaziergang

“Hinter den Zahlen der Opfer des Nationalsozialismus stecken Menschen, die durch dieselben Straßen gegangen sind wie wir - ihre Geschichten wollen wir beim Gedenkspaziergang erzählen. Gerade als junge Menschen wollen wir dazu beitragen, dass so etwas wie Auschwitz nie wieder geschehen kann”, sagt Hannah Ezekwe (19), Sprecherin der Jungen Linken Innsbruck. Eine lebendige Gedenkkultur heiße eben auch, sichtbar zu machen, was in der eigenen Gemeinde in der NS-Zeit passiert ist, findet die junge Aktivistin. Der Gedenkspaziergang startet am Samstag, den 29. Jänner um 12:00 in der Sillgasse 15 und führt über den Landhausplatz hin zur Altstadt. Die Teilnahme ist kostenlos und es ist kein Vorwissen nötig.

27.1.1945

Während der NS-Zeit ermordeten die Nazis in Auschwitz über anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Alexejewitsch Kurotschkin befreit. Die Rote Armee fand in dem evakuierten Komplex noch 7.600 Überlebende und 650 Leichen vor. In den Magazinen fanden die Befreier 843.000 Herrenanzüge, 837.000 Damenmäntel und -kleider, 44.000 Paar Schuhe, 14.000 Teppiche und 7,7 Tonnen menschliches Haar.

Lager Reichenau

Ein Video (Juni 1945) zeigt die Bilder der von der US-Armee organisierten Heimreise der Displaced Persons aus dem ehemaligen Gestapo-Lager Reichenau. Das Lager Reichenau in Innsbruck-Reichenau wurde im August 1941 im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Berlin in Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt Innsbruck errichtet. Bis zum Sommer 1942 diente es seinem ursprünglichen Zweck als Auffanglager für italienische Zivilarbeiter, die aufgrund der zunehmenden Bombenangriffe im Jahre 1942 auf die deutschen Industriezentren nach Italien zurückkehrten. Diese sollten im Lager Reichenau gesammelt und dem Arbeitsamt als Zwangsarbeiter zugeführt werden. Da aber immer weniger italienische Zivilarbeiter aufgegriffen wurden, wurde das Lager zum Arbeitserziehungslager umfunktioniert. Es unterstand in dieser Form direkt dem jeweiligen Leiter der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Innsbruck und war dazu bestimmt, „die im Gau Tirol/Vorarlberg wegen Arbeitsvertragsbruchs, Blaumacherei oder Dienstpflichtverweigerung auffallenden männlichen Personen aufzunehmen und durch strikte Disziplin und schwere Arbeit zu brauchbaren Volksgenossen zu erziehen.“ Gegen Ende des Krieges wurden zunehmend auch politische Häftlinge der Gestapo Innsbruck in der Reichenau gefangengehalten. Ab 1943 diente das Lager auch als Durchgangslager für Juden aus Norditalien auf dem Weg ihrer Deportation, die seit 1944 vielfach aus dem Durchgangslager Bozen kamen. Insgesamt waren im Lager Reichenau rund 8500 Personen inhaftiert, von denen nachweislich 130 Menschen ermordet wurden oder durch unmenschliche Behandlung den Tod fanden. Im April 1945 waren hier die 141 Sonder- und Sippenhäftlinge, die kurz darauf in Südtirol befreit wurden, für ein paar Tage untergebracht. Nach dem Krieg diente das Lager als Unterkunft für sogenannte Displaced Persons und später für Menschen ohne oder mit niedrigem Einkommen bevor es in den siebziger Jahren abgerissen wurde.
Gedenkstein

Seit 1972 erinnert am ehemaligen Grundstück ein Gedenkstein an die Opfer des Lagers Reichenau. Er trägt die Inschrift:

Hier stand in den Jahren 1941–1945 das Gestapo-Auffanglager Reichenau,
in dem Patrioten aus allen von Nationalsozialismus besetzten Ländern
inhaftiert und gefoltert wurden.

Johannes Breit (geb. 1989 in Hall) recherchierte die Geschichte des Arbeitserziehungslagers Reichenau und gestaltete darüber 2006 bis 2008 den Dokumentarfilms  "Es ist besser, nicht zuviel um sich zu schauen ...".

Displaced Persons

Die Unterbringung in den Lagern der Displaced Persons führte zu sozialen Spannungen. "Die DPs wären "eine Landplage", verhielten "sich sittenwidrig", "lebten ohne wirksame Aufsicht, Männer, Frauen und Mädchen untereinander", von ihnen gehe eine Seuchengefahr aus, weil sie sich nicht um die Reinigung ihrer Unterkünfte kümmerten und ihre Notdurft auf den umliegenden Wiesen verrichteten und begingen Eigentumsdelikte und Sachbeschädigungen. "Wollen sie etwas von den Einheimischen, so geschieht das in frechem, befehlendem Ton und wird ihnen das Gewünschte nicht ausgefolgt, so haben sie die Frechheit, selbst danach zu suchen. [...] Sie herrschen hier wie in Feindesland und stellt man sie zur Rede, so drohen sie mit den Franzosen." Die Bevölkerung wünschte, dass die jüdischen DPs in einem UNRRA-Lager untergebracht würden, "wenn sie schon nicht fähig sind, sich als Menschen in einem Gastland aufzuführen. Wir wollen noch betonen, dass wir bei einer anderen Führung dieser Leute, deren Schicksal in den letzten Jahren gewiss sehr schwer war, in bester Nachbarschaft mit ihnen gelebt hätten" schrieb die Gemeinde Gnadenwald an einen Landtagsabgeordneten. Bis Ende 1949 dürften rund 52.000 jüdische Flüchtlinge, die im Wiesenhof und Gnadenwalderhof untergekommen waren, Italien erreicht haben, um von dort aus ein besseres Leben in einer neuen Heimat zu suchen.

Bedeutung

Der Begriff Displaced Person (DP) ist englisch für eine „Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist“, und wurde im Zweiten Weltkrieg vom Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (SHAEF) geprägt. Zu den „DPs“ gehörten ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge, Zwangsarbeiter, die während des Krieges zur Arbeit in deutschen Betrieben verpflichtet worden waren, sowie Kriegsgefangene und Osteuropäer, die nach Kriegsbeginn entweder freiwillig in Deutschland eine Arbeit aufgenommen hatten oder 1944 vor der sowjetischen Armee geflüchtet waren. Als „DPs“ anerkannt wurden auch ca. 300.000 jüdische Flüchtlinge, die 1946/47 nach antisemitischen Exzessen in Polen und Osteuropa in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands flohen. In den späteren westlichen Besatzungszonen befanden sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 6,5 Millionen DPs, für die in der amerikanischen Besatzungszone 1946 etwa 450 Lager eingerichtet worden waren.
Weitere Nachrichten aus Innsbruck finden Sie hier

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.