Zeitgeschichte
Widerstand und Wandel in Orange

Bilder aus der Publikation – © H. Ohnmacht, TLMF, AEP, Subkulturarchiv, A. Zelger, W. Pöschl, W. Albrecht | Foto: aut.cc
  • Bilder aus der Publikation – © H. Ohnmacht, TLMF, AEP, Subkulturarchiv, A. Zelger, W. Pöschl, W. Albrecht
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INNSBRUCK. Widerstand verbinden wir vor allem mit der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Aber in der Zeit der Regentschaft von Bruno Kreisky und Eduard Wallnöfer gab es zum Beispiel mit der Diskussion um den Abtreibungsparagraphen oder der Atomenergie, bei der sich die Bevölkerung mit demokratischen Mittel widersetzte.

Ausstellung und Buch

Eine Ausstellung, die coronabedingt auch verstärkt über digitalen Medien präsentiert wurde, widmete sich dem Thema "Widerstand und Wandel über die 1970er Jahre in Tirol". Die Plattform "aut. architektur und tirol" hat interessante Exponate, Fotos, Plakate und Statistiken über eine bewegte Zeit zusammengestellt. Auf 512 Seiten fasst das gleichnamige Buch die wichtigsten Fakten zusammen und bietet breiten Raum für Diskussion und Zeitgeschichte. Die Ausstellung selbst kann auch bis 24. Oktober in den Räumlichkeiten "aut. architektur und tirol" am Lois Welzenbacher Platz 1 besucht werden.

Aufbruchstimmung

In Tirol „herrschten“ Eduard Wallnöfer, der als Landeshauptmann mit absoluter Mehrheit von 1963 bis 1987 regierte, und Alois Lugger, der von 1956 bis 1983 Bürgermeister von Innsbruck war und damit auch die beiden Olympischen Winterspiele 1964 und 1976 mitverantwortete. Das gesellschaftliche und kulturelle Selbstverständnis Tirols gründete sich nach dem Zweiten Weltkrieg stark auf traditionelle und historisch gewachsene Werte: Katholizismus, Konservativismus, Patriotismus und die damit eng verknüpfte Heimatverbundenheit. Das Institut Français, das Europäische Forum Alpbach und die ab 1950 durchgeführten Jugendkulturwochen brachten eine gewisse Öffnung und Internationalisierung der kulturellen Debatte und Praxis, die ab 1965 auch vom „liberalen“ Landesrat für Kultur, Fritz Prior, politisch und finanziell unterstützt wurde. Durch die Gründungen „kultureller Orte“ wie der Galerie im Taxispalais, der Galerie Krinzinger, des Forum für aktuelle Kunst, des Theaters am Landhausplatz, des KOMM und des Otto-Preminger-Instituts in Innsbruck bzw. der Galerie Eremitage in Schwaz, der Galerie St. Barbara in Hall i. T. und der Galerie Elefant in Landeck begann sich ab Mitte der 1960er-Jahre die „mentale“ Landschaft in Tirol zu verändern. Daneben positionierten sich die von Wolfgang Pfaundler herausgegebene Zeitschrift „Das Fenster“ und die von Krista Hauser ab Anfang der 1970er-Jahre redaktionell betreute Beilage „Horizont“ der Tiroler Tageszeitung als Sprachrohr einer kritischen kulturellen Szene. Und auch in der Musikszene, in der Jugendkultur, im Theater, im Sozialbereich und in der Frauenbewegung war diese Aufbruchstimmung spürbar.

Rusch, Prior, Lugger

Mit der politischen Situation in Tirol in den 1970er-Jahren beschäftigt sich Gretl Köfler, Historikerin, Archivarin und langjährige Mitarbeiterin in der Kulturredaktion der Tiroler Tageszeitung. Sie bietet einen Einblick in eine Ära, die in Österreich durch Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ), in Tirol durch Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (ÖVP), Bischof Paulus Rusch, aber auch dem für Bildungs- und Kulturpolitik zuständigen Landesrat Fritz Prior bzw. in Innsbruck durch Bürgermeister Alois Lugger geprägt war.

Skandale

Mit den politischen und öffentlichen Erregungen in den 1970er-Jahren setzt sich die Kunsthistorikerin und Publizistin Edith Schlocker auseinander. So zeigen etwa die Skandale um Theaterstücke von Felix Mitterer oder um Oswald Oberhubers Röhrenplastik für die Klinik auf, wie schwierig es war, im konservativen Umfeld innovative Kunst und kritische Kultur zu schaffen und zu veröffentlichen.

Das Buch

"widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol"
38,00 €, seit 3. juni 2020 git der sonderpreis von 19,70 ausschließlich bei kauf im aut
Beschreibung: "Die 1970er-Jahre sind eine Zeit des Umbruchs und der gesellschaftlichen Veränderungen, in der man an eine "fortschrittliche" Zukunft glaubte und unterschiedliche Visionen von einer besseren Welt formulierte. Auch in Tirol ist diese Aufbruchstimmung in der Musikszene, in der Jugendkultur, im Theater, im Sozialbereich, in der Frauenbewegung und in der Architektur spürbar. Die Ausstellung „widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol“ und die Begleitpublikation werfen einen Blick auf dieses spannende Jahrzehnt, das in vielen Bereichen bis heute nachwirkt. 21 Textbeiträge behandeln verschiedene Aspekte der Baukultur, aber auch deren gesellschaftspolitischen und kulturellen Kontext. Neun Infografiken von Christian Mariacher vermitteln statistische Daten über Tirol von den 1970er-Jahren bis heute und ein Fotoessay von Günter Richard Wett dokumentiert den aktuellen Zustand von 27 ausgewählten Gebäuden in Tirol aus jenem Jahrzehnt."

Herausgeber

widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol
Konzept: Arno Ritter
Redaktion: Arno Ritter, Claudia Wedekind
Textbeiträge: Alexa Baumgartner, Birgit Brauner, Günther Dankl, Albrecht Dornauer, Waltraud P. Indrist, Anne Isopp, Otto Kapfinger / Christian Kühn, Gretl Köfler, Maurice Munisch Kumar, Milena Meller, Wolfgang Meixner / Marina Treichl, Günther Moschig, Georg Pendl, Esther Pirchner, Wolfgang Pöschl, Cam nhi Quach, Wolfgang Salcher, Edith Schlocker, Elisabeth Senn, Andrea Sommerauer, Claudia Wedekind
Fotoessay: Günter Richard Wett
Infografiken: Christian Mariacher
Grafisches Konzept: Walter Bohatsch, Wien
Gestaltung: Claudia Wedekind
Lektorat: Esther Pirchner
erschienen 2020 im Eigenverlag, 512 Seiten, ca. 400 Abbildungen
ISBN 978-3-9502621-7-9

Inhalt

"Arno Ritter eine einführung • Christian Mariacher tirol in zahlen • Gretl Köfler zwischen stillstand und aufbruch • Andrea Sommerauer streifzug durch die soziallandschaft der 1970er-jahre • Maurice Munisch Kumar am ende der welt – mit der welt am ende • Albrecht Dornauer innsbruck, die toteste aller toten hosen • Milena Meller hörbarer raum – nicht hörbare musik ... konzepte zu raum und zeit und klang • Günther Dankl kunst schafft (sich) räume. aspekte der kunst der 1970er-jahre und ihre wahrnehmung in tirol. eine betrachtung • Edith Schlocker anregende aufreger. wenn kunst und architektur zu skandalen und skandälchen führen • Otto Kapfinger im Gespräch mit Christian Kühn versuch eines profils von architektur und stadtplanung der 1970er-jahre. tirol im kontext überregionaler tendenzen • Esther Pirchner dokumentation – forum – vision. die tiroler kulturmedien. fenster und horizont als spiegel der architekturlandschaft tirols in den 1970er-jahre • Alexa Baumgartner wohnbau der 1970er-jahre in tirol | teil 1. von der großwohnsiedlung und der alternative als ausnahme • Birgit Brauner wohnbau der 1970er-jahre in tirol I teil 2. wohnen morgen: vom experiment im wettbewerb und realisierten gemeinschaftlichen wohnformen • Wolfgang H. Salcher „die schule war und ist ein politikum“. die pädagogischen utopien und die „neuerfindung“der schule anhand von sechs projekten in tirol • Wolfgang Meixner, Marina Treichl die gründung der baufakultät an der leopold-franzens-universität innsbruck • Elisabeth Senn der anfang: viel energie und eine ahnung • Wolfgang Pöschl AZ 1 und AZ 3 • Georg Pendl notizen zu den 1970er-jahren • Waltraud P. Indrist i – eine stadt sucht ihre identität. oder: von originalen tiroler bauern, bugglkraxn, contergan-mandln, bulldozern und anderen techno-humanen ambivalenzen • Günther Moschig ideen zu einer visionären architektur in tirol. gespräche mit günther feuerstein und charly pfeifle • Claudia Wedekind das bauzentrum innsbruck – eine spurensuche • Anne Isopp welche farben und materialien prägten die architektur der 1970er-jahre in tirol? versuch einer annäherung • Cam nhi Quach so weit die straßen reichen ... ein weg zurück in die zukunft. die bedeutung des tiroler straßenbaus in den 1970er-jahren"

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