Gedenkkultur
Zerstörte Kunst, Wanderausstellung und Ausstellung im Hofgarten

Das Projekt Wortdenkmal musste von Christine und Andreas Pavlic abgebaut werden.
 | Foto: Pavlic
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Bis Anfang Juni sollten vier aus Karton gefertigte Wortdenkmäler im öffentlichen Raum stehen und eine Erinnerung an die NS-Zeit in Innsbruck ermöglichen. Das Siegerprojekt 2024 in der erinnerungspolitischen Reihe „gedenk_potenziale“ wurde jedoch vorzeitig abgebaut. Ab 24.5. ist in der Schule für Sozialbetreuungsberufe die Wanderausstellung zum Thema „Gewalt gegen ältere Menschen“ zu sehen. Im Hofgarten stellt der deutsch-italienische Fotograf Luigi Toscano 80 großformatige Porträts von Überlebenden der NS-Verfolgung im Innsbrucker Hofgarten aus.    

INNSBRUCK. Christine und Andreas Pavlic geben anlässlich des Abbaus der Wortdenkmäler folgende Stellungnahme ab:

"Bunt und anziehend sollten sie sein. Einladend sollten sie wirken. Eine Form des Erinnerns und Gedenkens der etwas anderen Art sollten sie darstellen. Das war die Idee. Vier aus Karton gefertigte, monumentale Wortdenkmäler hatten wir in Innsbruck aufgestellt. Jedes mit einer Hinweistafel und einer Box für Postkarten, auf der erste Informationen zur Geschichte hinter dem Wort zu finden waren."

Interessierte konnten über einen QR Code direkt zur Homepage gelangen, wo die Texte in einer Langversion gehört oder gelesen werden konnten. So standen die Wörter „Kultur“, „Forschung“, „Marmelade“ und „Provokation“ in verschiedenen Teilen der Stadt Innsbruck und sie waren ob ihrer Größe und Farbigkeit kaum zu übersehen. Warum wir die Vergangenheitsform verwenden? Wir mussten die Wortdenkmäler aufgrund der massiven Beschädigungen abbauen. Beim Aufbau der Wortdenkmäler bekamen wir sehr viele schöne und positive Rückmeldungen. Die Menschen zeigten Neugier, lauschten unseren Ausführungen, es entstanden interessante Gespräche, manche nahmen sich einfach eine Karte und lasen. Die negativste Reaktion war ein – „interessiert mi nit!“ Das ist okay, nicht jeder Mensch muss sich dafür interessieren.

Wortdenkmal war das Siegerprojekt 2024 in der erinnerungspolitischen Reihe „gedenk_potenziale“  | Foto: PAvlic
  • Wortdenkmal war das Siegerprojekt 2024 in der erinnerungspolitischen Reihe „gedenk_potenziale“
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Laufende Zerstörung

"Was uns jedoch überrascht und ein Stück weit ratlos macht, ist der leichtsinnige bis aggressive Umgang mit den Wortdenkmälern." Noch vor der Eröffnung wurde das Wort „Provokation“ – mit dem wir an die Geschichte der Höttinger Saalschlacht erinnerten und von einer Widerstandskämpferin erzählten – zerstört. Auch wurden einige Buchstaben entwendet, sodass ein erneuter Aufbau nicht möglich war. In den Zeitungen und den sozialen Medien wurde darüber berichtet und diskutiert. Die Aufmerksamkeit freute uns, dass diese auf Kosten eines der Wortdenkmäler ging, weniger. Doch auch an den darauffolgenden Tagen wurden die Wörter beschädigt, Buchstaben wurden aus ihrer Verankerung gerissen und umgestellt. Die erste Vermutung ist, dass diese Zerstörung nicht politisch motiviert ist, sondern andere Gründe haben wird – vielleicht von Alkohol durchtränkte, hormonell gesteuerte oder irgendwelche andere. Wir wissen es nicht.

Auffällig ist, dass gerade diese skulpturalen und poppigen Wortgebilde die Aggressionen dermaßen anzogen haben. Als hätten diese Wortdenkmäler nicht nur dazu eingeladen, über den dahinter liegenden NS-Bezug nachzudenken, sondern über sie eigenmächtig und rücksichtslos zu verfügen. Dass Kunst im öffentlichen Raum diesem auch ausgesetzt ist, war uns von Anbeginn bewusst. Mit Schmierereien und mit Beschädigungen haben wir gerechnet, dennoch überrascht uns die Vehemenz und Heftigkeit.

Was bedeutet das in Bezug auf Erinnerungs- und Gendenkpolitik? Wir wissen es nicht. Wir wollen keine übereilten Rückschlüsse ziehen und die Ereignisse der letzten beiden Wochen auch nicht zu sehr mit Bedeutung aufladen. Vielleicht ist es einfach so. Vielleicht ist es aber auch ein Ausdruck einer Gegenwart, die so gespannt und unter Druck steht, dass Gegenstände im öffentlichen Raum dankend als gesellschaftlicher Boxsack angenommen werden. Je wehrloser, desto willkommener werden sie für das Ausagieren gesellschaftlicher oder persönlicher Konflikte verwendet. Vielleicht dienten manche Wortdenkmäler auch nur als Objekte, mit denen man gerne Selfies macht oder sich fotografieren lässt. Das war Teil der Idee. Vielleicht wurde genau dieser Zeitgeist, über alles verfügen und für sich verwenden zu wollen, den Wortdenkmälern zum Verhängnis.

Wir hoffen jedoch nicht, dass Kunst und Erinnerungsprojekte im öffentlichen Raum zukünftig nur mehr in Beton gegossen sein können, um Bestand zu haben. Im Gegenteil.
Wir glauben weiterhin, dass sowohl die Kunst als auch die Gedenkkultur anziehend und einladend sein können. Warum? Weil Gedenken mit dem Nachdenken in Verbindung steht und letzteres nur dann sein Potenzial entfalten kann, wenn wir dem Denken Zeit und Raum geben. Und dafür benötigen wir Objekte im öffentlichen Raum oder Geschichten, die uns zum Nachdenken einladen.

Ob uns dies mit dem Projekt Wortdenkmal gelungen ist? – Ja, wir denken schon. Leider werden die Denkmäler diesen Dienst nicht mehr länger verrichten können. Die massiven Zerstörungen führten zum Entschluss, in Absprache mit allen Verantwortlichen der Stadt Innsbruck die Wortdenkmäler abzubauen. Weiter bestehen wird auf jeden Fall unsere Website, auf der die Geschichten zu den vier Wörtern nachgelesen und angehört werden können. Nach dem Abbau warten die Buchstaben darauf, dass sie sich in neuen Formationen wieder zeigen können. Denn wenn es um Gedenken geht, das sich gegen Rassismus und Gewalt wendet, wollen wir um keine Wörter verlegen sein. Daher arbeiten wir gerade an einem Nachfolgeprojekt über Erinnerungs- und Gedenkkultur im öffentlichen Raum. Weitere Informationen folgen auf wortdenkmal.at und instagram.

Christine und Andreas Pavlic: "Was uns jedoch überrascht und ein Stück weit ratlos macht, ist der leichtsinnige bis aggressive Umgang mit den Wortdenkmälern." | Foto: Pavlic
  • Christine und Andreas Pavlic: "Was uns jedoch überrascht und ein Stück weit ratlos macht, ist der leichtsinnige bis aggressive Umgang mit den Wortdenkmälern."
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Wanderausstellung

Eine Wanderausstellung zum Thema „Gewalt gegen ältere Menschen“ tourt derzeit quer durch Österreich. Sie informiert niederschwellig über die vielfältigen Formen von Gewalt im Alter, ihre Ursachen und schafft damit ein stärkeres Bewusstsein in der Bevölkerung. Die Prävention von Gewalt im Alter bildet seit Jahren einen Schwerpunkt in der Arbeit des Sozialministeriums. Um Betroffene bestmöglich zu unterstützen, wurde unter anderem das anonyme Beratungstelefon „Gewalt und Alter“ ausgebaut. Betroffene erhalten dort kostenlose Beratung, Informationen zu Hilfsangeboten und Unterstützung bei der Falldokumentation. Seit Anfang 2023 zieht sie als Wanderausstellung „hALT – keine GewALT“ durch Österreich. In 11 Stationen vermittelt „hALT – keine GewALT“ verschiedene Alltagssituationen, in denen Gewalt passiert - zum Teil über Videos und interaktive Ausstellungselemente. Thematisiert werden dabei physische, psychische und finanzielle Gewalt. Die Gewaltarten sind zusätzlich aufgeteilt in Orte, an denen ältere Menschen Gewalt erleben, wie etwa dem Eigenheim, dem öffentlichen Raum und Institutionen wie Alten- und Pflegeheime.

„Gewalt ist niemals hinnehmbar, egal, in welchem Alter sie passiert. Insbesondere Gewalt gegen ältere Menschen ist aber nach wie vor ein Tabu-Thema. Neben geeigneten Unterstützungsangeboten braucht es ein stärkeres Bewusstsein in unserer Gesellschaft“, betont Sozialminister Johannes Rauch. „Das ist das Ziel der Wanderausstellung: Sie fördert Fremd- und Selbstreflexion, informiert gleichzeitig aber auch über Präventionsmaßnahmen und Hilfsangebote für Betroffene.“

Gewalt hat viele Gesichter und betrifft alle Altersgruppen. Ältere Menschen, vor allem wenn sie hilfsbedürftig oder an Demenz erkrankt sind, sind besonders verletzlich, da sie sich nur selten wehren oder über ihre Erfahrungen nicht sprechen können und wollen. Häufig schämen sie sich für das, was ihnen geschieht. In Innsbruck ist die Ausstellung vom 25. Mai bis 2. Juni in der SOB Tirol - Schule für Sozialbetreuungsberufe, Maximilianstraße 41 von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr zu sehen.

Lisa Bogart | Foto: Luigi Toscano

Gegen das Vergessen

Bis zum 2. Juni 2024 stellt der deutsch-italienische Fotograf Luigi Toscano 80 großformatige Porträts von Überlebenden der NS-Verfolgung im Innsbrucker Hofgarten aus. Luigi Toscano, der vor mehr als zehn Jahren mit diesem begonnen hat, konnte bereits mehr als 400 Personen porträtieren. Seine Ausstellung war mittlerweile in Wien, in Deutschland, den USA, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden sowie in Weißrussland zu sehen und erreichte mehr als eine Million Besucherinnen und Besucher. Die Präsentation in Innsbruck organisiert die Initiative Minderheiten.

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