Flaneurs kleiner Reisebericht
3 Koffer in Berlin - Retourgekommen.

100 Fotos aus BERLIN. Kreuz und quer ...
Fotonachweis alle Fotos: Herbert Waltl
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Woche 44. Wir schreiben das Jahr 2022.

Das ist auch unsere Geschichte. Vom Herum-koffern. Zuerst drei mal 30 Tage in Spanien, jetzt 61 Tage in Berlin. Wir sind herumgekommen. Wie so kreuzfidele Einkaufstaschen. Ein-ausgepackt. Herumgekoffert, sozusagen. Ich, ein quietschroter mit einem retroliken Festivalaufkleber erkennbar, die anderen - zwei schwarze Mitkofferer, ein Kollege kleiner und einer größer. Weiblicher Koffer, wie noch immer in Tirol üblich- keine dabei. Queer - immerhin - wir alle - die Koffer. Und glauben Sie uns, Koffer sind redselig und haben viel zu erzählen.

Wenn man 61 Tage weg

und dort ist, muss man eine Rezension darüber schreiben. Im Ausland. Manche schreiben und sprechen von „Der hipsten Stadt der Welt“. Berlin. Winsviertel/Prenzlauer Berg. Mitten drinnen, Airbnb-Dachgeschoß, Altbau, im 5. Stock, ohne Lift, über 100 Stufen täglich rauf-runter-rauf-runter. 3 Koffer weil OMArlis: „ Wir wissen nicht wie das Wetter in Berlin sein wird! - Herbst? Kalt, Sonnig, warm?“ Es war der schönste Herbst, was weiß ich, aller Zeiten.

Weltstadt - . 

Ja - bestimmt. Jeder Tag eine Überraschung. 59 Tage waren wir täglich unterwegs. Hat Kopfkino und Briefbörse ungemein belebt. Im November ist wohl vorerst „Verarbeiten“ angesagt. Schnelllebige Stadt, Hektik, Eile, hetzende Menschen, Junge, Touristen treffen auf ruhige Stadtteile, grüne Lungen, viel Wasser, spürbare Toleranz von Queer bis knorrigen Alten, von hippen Retro-wohnzimmer, getarnt als Cafehäuser, Kneipen, Bars und weltoffenen Restaurants, wie von Spanien, Nepal, Griechenland über Italien, Korea, Vietnam bis nach Österreich. Apropos Österreich - ein Axamer Geschwisterpaar führt den „Hirschen“, ein angesagtes Lokal mit schwäbischen und österreichischen Spezialitäten in Friedrichshain-Kreuzberg.

Unter der Oberfläche schwillt und brodelt Berlin.

Viele Bettler und Obdachlose, Verwirrte und verirrte Seelen, sichtbare Schicksale zuhauf, überall begegnet man Gestrandeten und Verletzten. Unsere bekannten Krisen sind in den Mienen und Erscheinungen der Menschen sichtbar. Drastischer, deutlicher als wir es von zuhause gewohnt sind. Verkehrschaos - Durcheinander, Radfahrer, Skaten, Rollerfahrer in allen Facetten, gegen und mit der Einbahn, kreuz und quer, kommen am Gehsteig entgegen, das Rad durch die Passanten jonglierend, rasant, Strassenbahnen, Autofahrer, mehrspurig, „Tatü-Tata, Tatütata“ - dazwischen, alle in Eile, Gesprächsfetzen, Tonalitäten aus der ganzen Welt - ICH: „ Bei dem Tempo, das die alle haben. Bin gespannt, ob ich einmal jemanden auf der Nase liegen sehe!“ In den beiden Monaten nix derartiges gesehen. Die Brett-Roller-Radartisten sind eben auch Weltstadt“ - Staus. Immer wieder. Die umweltkämpfenden Menschen, die sich auf der Straße mit Superkleber befestigen, weniger. Zwei Seiten. Erst vor kurzem ist ein Rettungswagen nicht rechtzeitig zu Hilfe gekommen. Der verünglückte Radfahrer ist tags darauf verstorben. 

Ruhige Plätze.

Gibt es genug. Rückzugsoasen im Überfluss. Viel Wasser. Man sagt: „ Mehr als in Venedig oder Hamburg“. Kann man glauben. Wannsee, die Spree mit ihren Seitenarmen die Insel der Jugend, die Havel - grüne Lungen überall, Parks in allen Facetten, ein ganzes ehemaliges Flugfeld als Austobfläche - Tempelhofer Feld. Skurriles wie Friedhöfe, ein Krematorium als Kulturzentrum mit Cafe und mehr. Unter der Erde - U-Bahnen und Berliner Untergrund.

Kultur

Ein Überangebot, bunter Stilmix von alternativen Museen, über klassische Kultureinrichtungen. Herausstechend, „Jüdisches Museum“ und das „Boros-Museum“ im Bunker. Fotoausstellungen, Spezialschauen aus der Queeren- und der Graffiti-Szene, neben Berlinischen Museum und Gropius-Bau Spionagemuseum. „The Mirror“ im Chamäleon auch für uns mehr als ein kleiner Höhepunkt im schon reichen lebenslang gesehenen Metier „Neuer Zirkus“.

Koffergeflüster zwischen rotem Festivalkoffer und schwarzem Ersatz: "Als Koffer wird man gebraucht, hin- und wieder abgestellt. Gezerrt, getragen und danach wochenlang nicht beachtet. Seit knapp 8 Wochen stehen wir dumm herum. Im 5. Stock von einem alten DDR-Haus mit 100 Stiegenstufen. Kriegen nix mit von Berlin, seinen schönen und interessanten Seiten, den Abgründen und Einsichten. Nix. Nur stummes Warten auf den Einsatz. So schaut´s aus!"

Kino

Zwei Stummfilmklassiker im Babylon Berlin mit 30köpfigen Orchester, laut Dirigent, derzeit noch weltweit einmalig - Fritz Langs „Metropolis“ und „Nosferatu“, die Mutter aller Blutsaugerfilme. Schaurig-schön.

Kulinarik

Wie eine Weltreise mutet der 60tägige Speiseplan an. Gut wir haben ein paarmal im 5. Stock gegessen, aber zumeist, täglich nur einmal, irgendwo auf der Welt und doch in Berlin. „Sauerteigpizza“ - Köstlich, besonders fluffig steht ganz vorne, griechisch, italienisch, vietnamesisch, spanisch, thailändisch, jüdisch-israelisch, russisch, schwäbisch, französisch, spanisch-koreanisch, Berliner-Currywurst-isch! … unsere Favoriten bleiben geheim. Es war ein Festival des guten Geschmacks, innovativ und belebend. Hineingefallen? Zweimal war uns das Glück nicht hold, ein Pizza hat sich nächtens im Magen verfangen und nachgegärt, - und ein spanisches Tapaslokal wurde seiner Nationalität auch nicht gerecht.
OMArlis hat einen Favoriten - „basil“ im Winsviertel. Geschmacklich bleibt mir die Sauerteigpizza im „Pazzo“ im Gedächtnis.

Bar. Wunderbar. 

Da gibt es vieles zu entdecken, Bars im Retrolock, klein und abgewohnte Wohnzimmer, hippes modernes Interieur, mehr junges Publikum, als unsere Generation „freundliche Oldies“. Bars die 24 Stunden geöffnet sind, wie das „Schwarze Cafe“, old-style-Klassiker wie die Joseph-Roth-Diele stechen hervor. Unser Fallstrick war immer wieder das einfache, zwei-Zimmer-große „Sorsi e Morsi“ in der Nachbarstrasse. An die achtmal haben wir hier die „Ältesten“ gegeben. Leider auch immer wieder auf die Promilleattacken von „Johnny und Maximilian“ hineingefallen. OMArlis: „ Die haben etwas in den Wein, in den Negroni, in den Grappa getan, das gibts sonst nicht!“ ICH: „ Was möchtest Du erwarten, wenn jedes Teil nur 5 Euro kostet!“ - puh! Natürlich war der Stoff beste Qualität. Italienische Bar mit Kultstatus im Kiez. Ein paar verlorene Zellen grüßen diese Bar. International. Linzer, Grazer, Argentinier, Spanier und viele mehr. Zweimal wurde ich mit jemanden verwechselt, oder habe jemanden ähnlich geschaut. Einmal ein Berliner Freund, ein anderes Mal ein Grazer. Flaneurdoppelgänger scheint es überall zu geben. Und den Kurt. Innovativer Glasspezialist. Weitere Bars zuhauf: -, "Wohnzimmer" oder "An einem Sonntag im August", "Schwarzes Cafe", "Weinberg", "Datscha" ... uvm.

Musik

Acht Konzerte in unterschiedlichen Locations. Bezaubernd. Erlebenisreich. Gute Wahl. Xavier Rudd aus Australien sticht hervor, unser All-Time-Liebling Nick Lowe knapp dahinter, nicht vergessen das Abenteuer Waldbühne und den fulminanten Auftritt von Seeed, im Vorprogramm Bilderbuch. Was noch: Mo Torres, ein Kölner Newcomer (Rap-tip-top!), Felix Meyer (Berliner), Donavon Frankenreiter, Marty Stuart (Ex Schwiegersohn von Johnny Cash) und Fanfare Ciocarlia im Heimathafen Neukölln.

Fußball

Zwei Bundesligisten, die Hertha im Olympiastadion vor 42.000 Zusehern gegen Freiburg. „Nach Hause, nach Hause gehn wir nicht …“ von Frank Zander als bleibende Erinnerung - und ein 2:2. Die Alte Försterei als „ein Erlebnis“, das man nicht vergisst. Stehplatz mit 100 Minuten Unterhaltung pur, Einführung in die Welt der „Eisernen“ und die Fankultur. Der BVB muß humorlos wieder heimfahren. 2:0 gewinnen die Eisernen. Unvergleichbar, die beiden Spiele. Bei der Alten Dame schwingt im Vor- und Nachklang auch Gewaltbereitschaft unter den Fans mit, in der Försterei ist alles einfach, familiär und bescheiden. Wir sind begeistert und haben auch einen „Botschafter der Eisernen“ (Einer von vielen, ein Sponsor der Union) für die Tiroler Fanszene kennengelernt, sozusagen gefunden. Danke Frank Schacht für Deine "Gastfreundschaft" auf der Eisernen Tribüne, Sektor 3, Rang P. „Er kann uns ein wenig was über Fankultur, Werte und so - erzählen. Aus erste Hand!“  (siehe eigene Geschichte auf leflaneur.at) Heute am Weltspartag, 31.10.2022 sind die Eisernen immer noch Tabellenführer in der Deutschen Bundesliga.

Berliner Schmuddel Wetter.

Iwo. Papperlapapp. Wie überall. Ein bißchen Wind und sonst - wunderschön. Bis zu 24 Grad im Oktober. Im September waren wir noch im Wannsee. Und im Oktober hatte die Sonnenbrille Dauereinsatz. Schade, dass nicht mehr alle "Bade"- und Sonnenanbetungsplätze geöffnet waren. "Freischwimmer" - "Deck 5" und so. Aber eben - Wetter - wunderschön. Spätsommer-Herbst von seiner besten Seite ...

Die Berlinerin und der Berliner.

Der und die Berliner sind einfach, tragen ihr Herz auf der Zunge, reden gerne, Berliner Witz, im Dialekt, sind kommunikativ, oft ein wenig mürrisch, Gesichtsausdruck „sauer“, ihnen ist wichtig, dass man die Stadt mag, so wie sie ist, dabei schimpfen sie über die eigene Stadt um gleichzeitig eine Liebeserklärung abzugeben. Personal fehlt an allen Ecken und überall. Wenn man mit ihnen redet, letztlich sympathisch und gute Gastgeber.

Kennengelernt:

Viele - zufällig. Auffällig. Beim Konzert Seeed - Waldbühne - ein Berliner Pärchen hinter uns, beim Fußballspiel ebenso, im Olympiastadion, in der Alten Försterei - einen besonderen Fan und "Eiserne-Werte-Erklärer" und Sponsor. Frank Schacht. Ideal für eine Podiumsdiskussion über Fankultur. Und dann Johnny und Maximilian, die beiden Bar-"Roboter" in unser "Versumpfer-Bar", die "Basil"-Bedienung, im "Weingarten", Bruno Touissant. - Experte nicht nur für lichtleitenden Lack, Forscher und Meister der Reflexionskunst, tip-top in Kultur und Beobachtung. – alle zusammen faszinierende Menschen und besondere Begegnungen. Spontan. Kurzzeitig. Mit bleibenden Eindrücken.

Koffergeflüster: "Bei der Rückreise werden wir gewichtig und schwer einsatzfähig. 100 Treppen runter. Huch! Wie die schwitzen. Danach in die Strassenbahn, die S-Bahn, Lift und Rolltreppen runter in den ECE-Zug - nicht nur verstaut angekettet. Wegen der schlechten Erfahrungen mit Bahnreisen nach Berlin, wegen Kofferdiebstahl und so, sagen sie. Dann in München raus - mit der S-Bahn nach Ost - falscher Bahnsteig-treppab und treppenauf - im Laufschritt auf den Bahnsteig 13. Sie streiten und sagen, warum hast Du nicht das app der Deutschen Bahn - ER - am Plan stand aber Bahnsteig 8 ... im Zug werden wir drei getrennt. Stehen sinnlos im Gang herum, einer neben einem Kinderwagen, hinter der Tür und der dritte sonstwo. Zug nach Verona - pumpvoll - auch in der ersten Klasse. Na danke"

Was man so mitnehmen kann:
Toleranz. Weitsicht. Einsicht. Eine Großstadt kann uns Toleranz lehren. Und Vielfalt. Egal ob kulturell, informell, sportlich. Und dass Kleinteiligkeit, wie wir das von uns - zuhause - kennen, auch seine Vorteile hat. Noch exaktere Planung aller Aktivitäten und Flexibilät sind in einer so großen Stadt angesagt. Geduld und „Staus“ omnipräsent. Gegend ohne Berge, ohne Hochhäuser lässt den Blick über den Suppentellerrand hinaus, zu. Die Einsicht, dass es überall schön sein kann, wenn man selber will. Egal ob in - Gran Canaria, in Berlin oder in Innsbruck. Und dass es – dort wo mehrere !! Menschen zusammenleben, immer - von allem noch mehr gibt. Mehr - Ideen. Kreativität. Genialität. : Mehr Schmutz. Armut. Wahn.Sinn.

Koffergedanken: "Wir fahren Taxi. Gezogen und gezerrt. Und wieder rauf in den 3. Stock. Diese Gegend in Völs kennen wir schon. Ich vermute schwer, die motten uns jetzt wieder im Keller ein. Dunkle Zukunft. Was solls. Koffer sein ist kein Zuckerschlecken!".
Also lasst uns gemeinsam rasten und das Kopfkino einschalten.

Ungefragt. Drei Buchtipps hinterher:
"Berlin für alle Lebenslagen" (Berlin mit Vergnügen), dann noch "Berlin in 100 Kapiteln" - Harald Martenstein und Lorenz Maroldt und als Draufgabe - Ronald Keiler alias Roland Kaiser - aus dem Berliner Wedding mit "Sonnenseiten" .

PS: Wer noch nicht genug davon hat, mehr unter www.leflaneur.at
Kaleidoskop an Bildern aus Berlin - Fotonachweis: Herbert Waltl

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