Tiroler Irrwege
Schafe schützen mit der Waffe?

Sind Weidetiere ungeschützt, steigt das Risiko, Beutegreifern zum Opfer zu fallen. Durch Herdenschutzmaßnahmen können die Tiere nicht nur vor Wölfen, sondern auch vor (zahlenmäßig weit höheren) Todesfällen durch Krankheit oder Absturz geschützt werden. | Foto: Philippe Serrand via pexels.com
  • Sind Weidetiere ungeschützt, steigt das Risiko, Beutegreifern zum Opfer zu fallen. Durch Herdenschutzmaßnahmen können die Tiere nicht nur vor Wölfen, sondern auch vor (zahlenmäßig weit höheren) Todesfällen durch Krankheit oder Absturz geschützt werden.
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Das kürzlich im Tiroler Landtag beschlossene Konstrukt zur "Legalisierung" von Wolfstötungen ist - gemessen an wissenschaftlich belegbaren Fakten - ein Schuss ins Blaue und zeugt von einer Kultur der Entscheidungsfindung, die mehr mit Storytelling als mit faktenbasierten Überlegungen zu tun hat.

Weidetiere schützen geht anders. Dass Wolfsabschüsse als Fünf-Sterne-Universallösung propagiert werden, sorgt in Fachkreisen - gelinde gesagt - für Kopfschütteln. Beutegreifer-Kontrolle mit dem Gewehr ist nämlich umstritten, die Datenlage uneindeutig. Vorhandene Forschungsergebnisse deuten eher darauf hin, dass der Griff zur Waffe sinnlos bis kontraproduktiv ist. Deutlich besser durch Evidenz gestützt ist hingegen die Effektivität von Herdenschutzmaßnahmen. In dieser Hinsicht gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens. Zudem können Maßnahmen wie Behirtung oder der Einschatz von Herdenschutzhunden die zahlenmäßig viel dramatischeren Todesfälle durch Absturz, Unwetter oder Krankheit verhindern.

Erkenntnisse aus der Praxis. Aktuelle Studienresultate aus der Schweiz zeigen, dass auf Almen mit Herdenschutzmaßen weitaus weniger Schafe gerissen wurden, besonders dann, wenn Herdenschutzhunde im Einsatz waren. Keinen eindeutigen Zusammenhang fanden die Forschenden zwischen der lokalen Wolfsdichte im Sinne einer Rudelbildung vs. der Anwesenheit von Einzelwölfen und dem Schadensausmaß. Dies könnte daran liegen, dass Herdenschutz besser planbar wird, wenn Rudel über mehrere Jahre im selben Gebiet präsent sind. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass etablierte Wolfsrudel eine gute Kenntnis der Verteilung und Gewohnheiten ihrer wild lebenden Beutetiere haben, diese in der Folge effizienter jagen können und somit weniger auf Weidetiere abzielen.

Ungleich verteilte Risiken. Auch die Art des Terrains scheint einen Einfluss zu haben. Auf großen Sömmerungsgebieten in zerklüftetem Gelände kam es am ehesten zu Schäden an den Almtieren. Doch auch in solchen Gebieten konnten Herdenschutzhunde die Schäden reduzieren. Umgekehrt zeigte sich aber auch, dass die Schweizer Weidetiere mehrheitlich verschont blieben: So kam es in 83% aller untersuchten Alpjahre zu keinerlei Schäden. Und das trotz Wolfspräsenz und ohne Herdenschutzhunde! Dennoch ist Herdenschutz relevant: Generell ließ sich beobachten, dass sich Wolfsangriffe von Weiden mit Herdenschutz-Intervention hin zu Weiden ohne Herdenschutz oder mit ungenügenden Maßnahmen verlagerten.

"Zu Übergriffen durch Wölfe auf geschützte Herden kommt es oftmals in sogenannten 'ungeschützten Situationen', also in Situationen, wo die Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen nicht einwandfrei funktioniert hat (z.B. bei unzureichender Umzäunung, einzelnen Schafen außerhalb des Nachtpferchs, sehr ungünstigen Wetterbedingungen, Einsatz von unerfahrenen Hunden oder wenn Herden auf zu großer Fläche verteilt sind)."

Ein Jahr Ruhe und was dann? Abschüsse hingegen erwiesen sich den Schweizer Fachleuten zufolge höchstens als kurz- bis mittelfristig wirksame Methode zur Eindämmung des Rissgeschehens. Ein Jahr nach vollzogenen Abschussbewilligungen kam es zwar zu keinen Schäden. Allerdings kam es auch bei nicht vollzogenen Abschüssen zu einer Schadensreduktion im Folgejahr, obwohl die Herdenschutzmaßnahmen nicht unbedingt verstärkt wurden. Entweder waren die betreffenden Wölfe nachweislich abgewandert oder auf ungeklärte Weise verschwunden.

"Insbesondere bei transienten Wölfen ist es also möglich, dass der schadenstiftende Wolf nach kurzer Zeit von selbst aus dem Gebiet verschwindet." Abschüsse von
Einzelwölfen, so die Studienautor:innen, könnten sich zukünftig sogar als noch kurzfristiger wirksam erweisen, "da durch die wachsende Wolfspopulation in der Schweiz mehr abwandernde Jungwölfe unterwegs sind, die ein leeres Gebiet rascher wieder besetzen können. In gesättigten Großraubtierpopulationen können Abschüsse von
residenten Tieren sogar zu einer vermehrten Einwanderung von Jungtieren auf der Suche nach einem eigenen Territorium führen."

All diese Erkenntnisse scheinen durchaus auf Tirol übertragbar zu sein. Abzuleiten wäre jedenfalls die Notwendigkeit einer raschen Umsetzung möglichst flächendeckender Herdenschutzmaßnahmen. Liest man im Landtag eigentlich auch Studien oder entscheidet man primär aus dem Bauch heraus?

Knapp daneben ist auch tödlich. Vorbild für die Tiroler Schnellschuss-Politik war offensichtlich Kärnten, wo vergangenen Herbst mithilfe kreativer Gesetzgebung eine Wölfin per Verordnung getötet wurde. Leider erschoss man das "falsche" Tier. Das erste offizielle Todesopfer der österreichischen Schießwut war nämlich laut DNA-Test gar nicht für die erfolgten Risse verantwortlich.

Umsetzung fraglich. Während sich die Regierenden in Österreichs Wildem Westen selbst feiern, bleiben viele Fragen offen. Wie stellen sich die Verantwortlichen die genaue Umsetzung ihrer gewaltsamen Anti-Wolf-Strategie vor? Wird man weiterhin auf Herdenschutz verzichten, tote Schafe zählen und dann als "neue Lösung" posthoc ins Blaue schießen? Wird man also zulassen, dass Schafhalter:innen weiterhin Jahr für Jahr Tiere verlieren, statt präventiven, gewaltfreien Herdenschutz zu forcieren?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Tiroler Schafhalter:innen bald durchschauen, wie sie von ihren gewählten Volksvertreter:innen und ihren Branchenvertretungen an der Nase herumgeführt werden. Wenn die Entscheidungsträger:innen es mit ihrer Liebe zu den Bauernfamilien wirklich ernst meinen, dann sollten sie schleunigst echte Verantwortung übernehmen und die Landwirt:innen bei der Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen (ausreichend!) finanziell und organisatorisch unterstützen.

Ein Tirol, in dem Almwirtschaft und Artenschutz friedlich koexistieren: Das wäre einmal eine politische Vision, die diesen Namen auch verdient.

Quellen:
> "Parasiten verursachen mehr tote Nutztiere als der Wolf." Bauernzeitung, 20.06.2020
> "Erlegte Wölfin riss keine Schafe." ORF Kärnten, 30.11.2022
> Adrian Treves et al. (2016): "Predator control should not be a shot in the dark." In: Frontiers in Ecology and the Environment Vol. 14/7. 380-388.
> Vogt K. et al. (2022): "Wirksamkeit von Herdenschutzmassnahmen und Wolfsabschüssen unter Berücksichtigung räumlicher und biologischer Faktoren. Bericht in Zusammenarbeit mit AGRIDEA." KORA Bericht Nr. 105, kora.ch/de/allgemein/bibliothek/wolf
> Robert B. Wielgus et al. (2014): „Effects of wolf mortality on livestock depredations.” In: PLoS ONE 9(12)

Informationen zum Thema Herdenschutz:
> Land Tirol: Herdenschutz-Pilotprojekt
> LIFEstockProtect: Herdenschutz Österreich, Bayern und Südtirol

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