Seelsorge für Menschen, die nicht alles hören und nicht alles verstehen

Hörschwächen sind wie ein Fingerabdruck | Foto: pixabay
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(dibk). Gehörlose und Hörbeeinträchtigte haben ein Recht auf einen eigenen Seelsorger, der ihre Sprache, also die Gebärdensprache, versteht und der von ihnen verstanden wird. In der Diözese Innsbruck gibt es zwei Ansprechpartner: Manfred Pittracher für die Gehörlosenseelsorge und Reinhold Pölsler für die Schwerhörigenseelsorge. So eng die beiden Gebiete auch miteinander verknüpft sind, hat jeder seine speziellen Aufgabenbereiche.

Gehörlosenseelsorge in Gebärdensprache

Die Gruppe der Gehörlosen ist auf einen Seelsorger angewiesen, der ihre Sprache, also die Gebärdensprache kennt und mit ihnen auch auf diese Weise kommunizieren kann. Seit 1993 hat die Diözese Innsbruck mit Manfred Pittracher einen eigenen Gehörlosenseelsorger. Pittracher ist überzeugt, dass man nur über die Gebärdensprache Zugang zu Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Gehörlosen findet.

Gebärdensprache seit Ende 18. Jahrhundert in der Kirche eingesetzt

Kirchenvater Hieronymus (347 – 420 n.Chr.) war einer der ersten, welcher Überlegungen für eine religiöse Bildung für Gehörlose hatte. Sein Gedanke: es müsste doch möglich sein, die Botschaft der Bibel mittels der Gebärdensprache für die Gehörlosen verständlich zu machen. Doch erst 1755 wurde dieser Gedanke durch den französischen Priester Abbé Charles Michel de l'Epée in die Tat umgesetzt.
Der Patron für die Gehörlosenseelsorge ist der heilige Franz von Sales, er hatte einen gehörlosen Mitarbeiter. Nach ihm wurde auch die Zeitschrift für die katholischen Gehörlosen von Österreich und Südtirol benannt. Sie trägt den Name „Salesbote“.

Rund 350 Gehörlose in Tirol, welche die Gebärdensprache gelernt haben

In Tirol gibt es etwa 350 Gehörlose, die die Gebärdensprache gelernt haben und immer wieder Kontakt mit anderen Gehörlosen pflegen. Darüber hinaus gibt es noch andere Gehörlose, die die Gemeinschaft der Gehörlosen ablehnen. Diese leben oft sehr isoliert und sprachlich verarmt in ihren Häusern.

Während andere Schicksalsgemeinschaften, wie Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung oder Blinde und Selbsthilfegruppen, primär dadurch entstehen, dass sie von Zeit zu Zeit die Gemeinschaft mit Menschen gleicher Probleme suchen und sich gegenseitig unterstützen, so ist die Gehörlosengemeinschaft zusätzlich durch die gemeinsame Sprache und die Kommunikationsprobleme mit den Hörenden noch enger miteinander verbunden. Sie sind also eine eigene „Sprachgemeinschaft“.

„Gehörlos“ statt „Taubstumm“

Unter dem Begriff „Gehörlose“ versteht man jene Gruppe von Menschen, die von Geburt an, bzw. vor dem 4. Lebensjahr, taub beziehungsweise schwerhörig sind und deshalb die Gebärdensprache erlernt haben. Sie wehren sich gegen die alte Bezeichnung „Taubstumm“, da diese Bezeichnung mit der früheren Geschichte verbunden ist, in der sie oft Diskriminierung erlebt haben.

Pittracher: Nur über die Gebärdensprache kommt es zu echter Kommunikation

„Nur über die Gebärdensprache kommt es zu jener echten Kommunikation von Mensch zu Mensch, bei der auch Gefühle, Stimmungen und andere Feinheiten der mitmenschlichen Kommunikation sowie Ironie, Witz und Mitgefühl übertragen werde“, so Gehörlosenseelsorger Manfred Pittracher.

Die Gebärdensprache ist nicht eine Visualisierung der Lautsprache, sondern eine eigenständige Sprache mit einer eigenen Grammatik und eigener Syntax. Der optische Code wurde damit für diese Menschen die Grundlage für die Entwicklung des Denkens. Die Gebärdensprache ist nicht auf der ganzen Welt gleich. Es gibt sogar innerhalb von Österreich Unterschiede. Trotzdem ist die Kommunikation mit anderen Gehörlosen aus anderen Ländern möglich.

Lippenlesen ist kein Ersatz für die Gebärdensprache

Die meisten Gehörlosen können zwar gut Lippenlesen. Doch von den Lippen kann nur ein Drittel abgelesen werden, der Rest muss erraten werden. Dabei gibt es immer wieder Missverständnisse und außerdem funktioniert das Lippenlesen nur bei vertrauten Personen gut und ist sehr anstrengend.

Erzdiözese München-Freising übersetzte Sonntagsevangelien in die Gebärdensprache

Die Erzdiözese München-Freising bietet ein besonderes Service für Gehörlose: die Übersetzung der Sonntagsevangelien in die Deutsche Gebärdensprache unter https://www.erzbistum-muenchen.de/bibel-in-dgs
In Österreich treffen sich die Gehörlosenseelsorger einmal im Jahr zu einem Erfahrungsaustausch.

Zur Person

Manfred Pittracher ist 59 Jahre alt. Ursprünglich war er Hauptschullehrer und Religionslehrer. Zwölf Jahre war Pittracher Lehrer im „Zentrum für Hör- und Sprachpädagogik in Mils“. Er absolvierte ein Theologiestudium sowie eine Ausbildung zum Krankenhausseelsorger. Er selbst lehrt seit dem 30. Lebensjahr die Gebärdensprache.

Schwerhörigenseelsorge in der Diözese Innsbruck

Heute ist jeder fünfte Erwachsene schwerhörig, bereits jeder Dritte ab 60 und jeder Zweite ab 80 muss darunter leiden. Gerade in diesen Altersgruppen befinden sich die meisten Kirchengänger. Inzwischen ermöglichen induktive Höranlagen den Gläubigen mit Hörgeräten eine Teilnahme am Gottesdienst. Anders als über Lautsprecher, die alle Töne gleichermaßen in den Raum abgeben, kann die Verkündigung in der Kirche mit diesen besonderen Höranlagen direkt im Hörgerät empfangen werden - ohne Nebengeräusche und Raumhall.

Rund 20 katholische Kirchen in Tirol, darunter der Dom zu St. Jakob in Innsbruck, sind mit einer solchen induktiven Höranlage ausgestattet. Mit Stand Jänner 2018 gibt es im öffentlichen Bereich von Tirol rund 50 dieser Höranlagen. Sie finden sich unter anderem im großen Saal der Tiroler Landesregierung, in allen Veranstaltungsräumen im Kongresszentrum Innsbruck, in einigen Theatern wie das Freie Theater Innsbruck.

Den Pfarren mit Rat und Tat zur Seite stehen

In der Diözese Innsbruck gibt es seit September 2010 einen eigenen Seelsorger für hörgeschwächte Menschen, Reinhold Pölsler. Mit dem entsprechenden Wissen steht er den Pfarren mit Rat und Tat zur Seite und hilft mit, die Hörbeeinträchtigten in der Pfarrgemeinde besser zu integrieren.

Pölsler: „Als hätte der Bischof mit mir alleine gesprochen.“

Reinhold Pölsler berichtet von einem für ihn ganz besonderem Erlebnis. Er hatte eine Advent-Andacht 2012 im Dom St. Jakob anlässlich des 90. Geburtstages von Altbischof Reinhold Stecher besucht. Mit Hörgeräten ausgestattet, saß er in jenem Bankbereich, der von der induktiven Höranlage im Dom versorgt wird. „Die Stimme von Bischof Stecher während seiner Ansprache und die herzberührenden Worte habe ich im Hörgerät ohne Nachhall und Nebengeräusche in meinen Ohren wahrgenommen“, erzählte Pölsler. Und weiter: „Als hätte der Bischof mit mir alleine gesprochen. Diese glücklichen und heilvollen Momente zählen zu den schönsten in meinem Leben.“

Bürgler: Eine Botschaft kann nur ankommen, wenn sie auch „gehört“ wird

Bischofsvikar Jakob Bürgler forcierte schon als Pfarrer von Wängle den Einbau einer Induktionsanlage: „Ich bin überzeugt, dass eine Botschaft nur dann ankommen kann, wenn sie auch ‚gehört und verstanden‘ wird. Und dass dieses Hören-Können auch technische Möglichkeiten inkludiert.“

Eine induktive Höranlage ist also ein wichtiger Schritt in Richtung Barrierefreiheit in der Kirche.

Arbeitsgemeinschaft „Barrierefreie Kirchen“ der Diözese Innsbruck

Die Arbeitsgemeinschaft „Barrierefreie Kirchen“ der Diözese Innsbruck, in der die Seelsorge für Schwerhörende eingegliedert ist, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Interessen von Menschen mit Behinderung in ihrem Wirkungsbereich zu vertreten. Sie will die breite Öffentlichkeit miteinbeziehen, indem sie mit Informationsarbeit nach außen geht und die Bewusstseinsbildung nachhaltig prägt.

Aus den Berufungen der Gemeinschaftsmitglieder leiten sich einige wegbegleitende Aufgaben ab. Sie wollen Fürsprechende sein für die Betroffenen und BetreuerInnen, für das religiöse Gemeinschaftsleben. Aber sie wollen auch kritische Beobachtende und Impulsgebende in der Gesellschaft sein, die unermüdlich auf Diskriminierungen hinweisen.

Schwerhörigenseelsorger Reinhold Pölsler ist selbst Betroffener der Schwerhörigkeit und leitet diese ökumenische Arbeitsgemeinschaft mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus kirchlichen Einrichtungen.

Die Hörschwäche ist wie ein Fingerabdruck

Jede Hörschwäche ist individuell ausgeprägt, ähnlich wie ein Fingerabdruck. Eine Hörverbesserung kann in der Regel nur durch eine individuelle und mehrwöchige Hörgeräteanpassung erreicht werden. Das Eingebettet-Sein in das individuelle Familienumfeld, in die berufliche Situation und im gesellschaftlichen Raum führt zu einer großen Vielfalt des Angenommen-Werdens der Hörschwäche von den betroffenen Personen selbst und von den Mitmenschen im sprachlichen Austausch.

Trotz der hohen Zahlen von Betroffenen, in Österreich circa 20 Prozent, treten hörbehinderte Menschen nicht gemeinsam auf und fordern den Abbau von Hör-Barrieren. Die Unsichtbarkeit der Hörschwäche, Unsicherheit, Verletzbarkeit, Angst und Scham begründen ihre Zurückhaltung. Stattdessen bemühen sich Schwerhörigenvereine in den Landeshauptstädten, Selbsthilfegruppen und Einzelsprecher, die Interessen von hörgeschwächten Menschen in der Öffentlichkeit mit Nachdruck zu vertreten.

Schwerhörig – Bezeichnung aus der Welt der Guthörenden

Oft werden für die eingeschränkte Hörfähigkeit die Begriffe „schwerhörig“ und „Schwerhörigkeit“ verwendet. Dies sind Bezeichnungen aus der Welt der Guthörenden und bedauerlicherweise negativ besetzt. Pölsler: „Ich verwende das Wort ‚schwerhörig‘ in meiner Seelsorgearbeit nicht mehr.“ Er setzt dafür die Wörter „hörbeeinträchtigt“, „hörgeschwächt“, „hörbehindert“ beziehungsweise „eingeschränkte Hörfähigkeit“ ein.

Zur Person

Reinhold Pölsler hat den Theologischen Kurs und den Lehrgang für die religiöse Begleitung von Menschen mit Behinderung absolviert: Er ist Experte in den Themenbereichen Hörbehinderung im Allgemeinen und mögliche Wege zur Hörverbesserung durch ärztliche Untersuchung, Hörgeräteversorgung, Hörtraining und Hörrehabilitation. Dieses Wissen gibt Pölsler in Hörberatungsgesprächen kostenlos und unabhängig weiter. Pölsler ist Selbstbetroffener seit vielen Jahren.

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