150 Teilnehmer bei Mahnwache
Nächtliche Abschiebung im Bezirk

Foto: Franz Strasser
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WARTBERG/KREMS. Um 21 Uhr kamen am 1. Oktober Polizeibeamte ins Caritas Gästehaus, um eine tschetschenische Familie abzuholen. Die vier Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren schliefen zu dem Zeitpunkt schon. Auf die Frage, ob es zum Standardprozedere einer Abschiebung gehöre, dass diese nachts durchgeführt werden, antwortet Christoph Pölzl, Ressortsprecher des Bundesministeriums für Inneres: "Der Zeitpunkt hängt davon ab, wann die Chance am größten ist, die Familie auch tatsächlich anzutreffen bzw. wann der Flug geplant ist. Jeder Fall ist daher als individuell zu betrachten." Der in der 30. Woche schwangeren Mutter und ihrem Ehemann wurden, den anwesenden Bewohnern des Gästehauses zufolge, eineinhalb Stunden Zeit gegeben, um das Nötigste zusammenzupacken. Sie beschreiben die Polizisten – sie haben zum Teil zur Fremdenpolizei und zum Teil zur Polizeiinspektion Kremsmünster gehört, waren teils in Zivil und teils uniformiert – als freundlich. Allerdings haben die Polizeibeamten der Familie sofort die Handys abgenommen und erst später wieder zurückgegeben. Das begründet Christoph Pölzl folgendermaßen: "Die Mobiltelefone werden vorübergehend abgenommen, da sich die Personen zu diesem Zeitraum bereits im Stande der Festnahme befinden, bzw. um die geplante Abschiebung nicht zu gefährden. Jedoch wird den Betroffenen ein Telefonat mit Rechtsvertretern oder Angehörigen ermöglicht."

"Situation war bedrohlich"
Mitglieder der Plattform "Vielfalt für Wartberg" sehen zufällig die fünf Autos vor dem Gästehaus und fragen bei den Polizisten nach, ob jemand abgeschoben werde. "Der Polizist, den ich gefragt habe, erklärte, dass er von der Fremdenpolizei sei und nur eine Kontrolle durchführe", erzählt Elke Prenninger, Mitglied der Plattform. Danach gefragt, weshalb ein Beamter der Bevölkerung die Unwahrheit sagt, antwortet Pölzl, der beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Wien für den Kontakt mit den Medien zuständig ist: "Es ist nicht auszuschließend, dass am 1. Oktober vor dem Caritas Gästehaus auch eine Kontrolle stattgefunden hat. Somit darf ich auch die Behauptung zurückweisen, dass ein Polizeibeamter hier nicht die Wahrheit gesagt hätte. Zudem hätte der oder die BeamtIn eine solche Auskunft schon aus datenschutzrechtlichen Gründen (muss im Einzelfall beurteilt werden) mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erteilen dürfen. Ich darf darauf hinweisen, dass Unbeteiligte keine Parteienstellung besitzen."
Um etwa 22:15 Uhr ging die tschetschenische Familie zu den Autos und konnte sich kurz von einigen jener Ehrenamtlichen, die seit vier Jahren engen Kontakt zu ihnen gepflegt hatten, verabschieden. Wohin die Familie gebracht wird, wurde den Wartbergern nicht gesagt, auch die Familie gibt an, das nicht zu wissen. Darauf angesprochen antwortet Pölzl: "Das ist nicht korrekt, da den Personen selbstverständlich mitgeteilt wird, dass sie in ein Polizeianhaltezentrum gebracht werden bzw. wird ihnen auch das nähere Prozedere erläutert." Weshalb die Wartberger in Unwissenheit zurückgelassen wurden, begründet Pölzl erneut mit datenschutzrechtlichen Aspekten. "Es war sehr bedrohlich, wie mitten in der stockdunklen Nacht, Menschen wegtransportiert werden und keiner weiß wohin sie gebracht werden", erzählt Elke Prenninger. 

Freiwillige Rückkehr bewilligt
Die Familie war seit beinahe vier Jahren im Caritas Gästehaus, hatte Deutsch gelernt und das älteste Mädchen hatte vor wenigen Wochen in der ersten Klasse der Volksschule Wartberg begonnen. Die Familie hatte in mehreren Instanzen einen negativen Asylbescheid erhalten und, anstatt mit einem Anwalt weitere Schritte einzuleiten, bei der Caritas Rückkehrhilfe beantragt. Die Caritas hilft in so einem Fall, die Rückreise ins Heimatland zu organisieren und unterstützt während der ersten Zeit nach der Rückkehr. Das Innenministerium hatte dieser selbstbestimmten Rückkehr der Familie offiziell zugestimmt. Trotzdem wurde die Abschiebung letzten Montag von Seiten der Polizei in die Wege geleitet. "Rechtlich ist eine Abschiebung immer möglich, sobald eine Rückkehrentscheidung gefallen ist. Es ist menschlich aber nicht sinnvoll den freiwilligen Rückkehrprozess zu unterbrechen", erklärt Gerlinde Hofinger, die für die Rückkehrhilfe der Caritas zuständig ist. "Bisher war es auch nicht üblich, eine Abschiebung durchzuführen, wenn ein freiwilliger Rückkehrprozess bereits in die Wege geleitet worden ist. In diesem Fall ist es aber leider passiert. Wir hoffen, dass es bei diesem Einzelfall bleibt." Auf die Vorgehensweise der Polizei hat die Zusage, dass eine Familie Caritas Rückkehrhilfe bekommt, laut Pölzl, keinen Einfluss.

150 Teilnehmer bei Mahnwache
Die Plattform "Vielfalt für Wartberg" rief aufgrund der Vorgehensweise bei dieser ersten Abschiebung in Wartberg zu einer Mahnwache  vor dem Gästehaus auf. Etwa 150 Personen beteiligten sich, den Mitgliedern der Plattform zufolge, daran. Nicht die Abschiebung selbst, sondern die Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, wird von ihnen kritisiert. "Nicht der negative Asylbescheid ist der Punkt unserer Kritik, sondern die herrschende, unwürdige Abschiebepraxis. Wir üben Kritik am nächtlichen, unvermuteten Vorgehen der Polizei", betont Annina Hubinger, ebenfalls Mitglied der Plattform. "Das Schlimme an dieser Abschiebung war die Respektlosigkeit gegen all jene, die sich in den letzten Jahren engagiert haben, aber auch gegen die Asylsuchenden. Ich mache den Polizisten selber keine Vorwürfe, die haben ihre Weisungen, aber den Politikern, die solche Weisungen ausgeben schon", so Elke Prenninger. Sie hebt außerdem hervor: "Was noch dazukommt, ist, dass Wartberg nicht Linz ist. Da ist nicht immer jemand auf der Straße. Wenn also eine solche Aktion mitten in der Nacht in Wartberg gemacht wird, kann es sein, dass es wirklich niemand mitkriegt und am nächsten Tag in der Früh die Familie einfach weg."
An der Mahnwache nahm auch Bürgermeister Franz Karlhuber teil. Er sagt: "Ich habe das Caritas Gästehaus und die Asylwerber in Wartberg von Anfang an unterstützt. Im Fall dieser Familie waren alle Rechtsmöglichkeiten ausgeschöpft. Der Rechtsstaat kann auch nicht außer Kraft gesetzt werden. Was die Mitglieder der Plattform kritisieren, ist die Vorgehensweise, wie diese Abschiebung durchgeführt wurde. Darüber kann man diskutieren." Er hielt am Montagabend vor den versammelten Teilnehmern, die auch aus Nußbach, Kirchdorf und Schlierbach gekommen waren, eine Rede. "Danach kam es zu einer sehr angeregten Diskussion zwischen den Teilnehmern und dem Bürgermeister. Viele der Anwesenden waren selbst bei den Interviews, die im Zuge des Asylverfahrens stattfinden, dabei und haben berichtet, wie menschenunwürdig die Beamten nicht nur mit den Asylwerbern, sondern auch mit den Begleitern verfahren", erzählt Otmar Kriechbaumer, Mitglied der Plattform und einer der Redner am Montagabend. am 8. Oktober
Die Mitglieder der Plattform "Vielfalt für Wartberg" wollen längerfristig ein Zeichen gegen die derzeitige Abschiebepraktik setzen und organisieren am 25. Oktober um 17 Uhr eine weitere Mahnwache vor dem Caritas Gästehaus in Wartberg.

Frau mit Kindern zurück in Tschetschenien
Anke Bähr, auch Mitglied der Plattform, konnte die tschetschenische Familie am Tag nach der Abschiebung in der "Familienunterbringung Zinnergasse" in Simmering ausfindig machen. Am 5. Oktober erhielt sie von der Mutter der Familie selbst die Nachricht, dass sie in Moskau angekommen seien und ihr Mann bereits am Flughafen stundenlang verhört worden war. Mittlerweile befindet sich die Frau mit ihren Kindern wieder in Tschetschenien. Da ihr Mann dort verfolgt wird, blieb er in Moskau. "Die Mutter der Familie ist sehr verzweifelt und muss sich in der 30. Schwangerschaftswoche nun eine Arbeit suchen, weil sie sonst nicht überleben können. Die Familie wurde ohne den vollständigen Dokumenten abgeschoben, was konkret für die älteste Tochter bedeutet, dass sie nicht zur Schule gehen kann, weil sie keine Geburtsurkunde vorzeigen kann", erzählt Anke Bähr, die mit der Familie weiterhin in Kontakt ist. Darauf angesprochen verweist Christoph Pölzl auf die Regelung zur Sicherstellung von Beweismitteln gemäß § 39 Abs. 3 BFA-VG und darauf, dass er im Bezug auf diesen konkreten Fall keine Auskunft erteilen darf.

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