NS-Zwangsarbeiterlager in Kirchbichl

"Bei den Ausgrabungen wurden neben Knöpfen, Wehrmachtszubehöh und Reichspfennigen auch viele Hygieneartikel gefunden", so Karsten Wink, Geschäftsführer der ARDIS Archeologie.
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  • "Bei den Ausgrabungen wurden neben Knöpfen, Wehrmachtszubehöh und Reichspfennigen auch viele Hygieneartikel gefunden", so Karsten Wink, Geschäftsführer der ARDIS Archeologie.
  • hochgeladen von Melanie Haberl

KIRCHBICHL (mel). Als Vorarbeit zur Kraftwerks-Erweiterung in Kirchbichl beauftragte die TIWAG eine archäologische Grabungsfirma, um das ehemalige Barackengelände am Wehr zu untersuchen. Jetzt sind die Ausgrabungen abgeschlossen und die Ergebnisse wurden am 12. November präsentiert.
Insgesamt 40 Boxen Fundmaterial (u.a. Munition, Knöpfe, Reichspfennige, Porzellan, Hygieneartikel, Schuhe, Werkzeug und militärische Objekte) gingen aus den Ausgrabungen hervor und lieferten zahlreiche Informationen über das Zwangsarbeiterlager.
"In Kirchbichl geht es um die Aufarbeitung der Geschichte des seinerzeitigen Dritten Reiches und die Rolle einzelner Betriebe, Personen und der Gesellschaft im Umgang mit einem totalitären Regime. Im Fokus stehen die Schicksale von Zwangsarbeitern und anderen Menschen, die diesem skrupellosen System zum Opfer gefallen sind", erklärt TIWAG-Vorstandsdirektor Johann Herdina.

Anwesenheit der Wehrmacht bewiesen

Im Zwangsarbeiterlager Kirchbichl waren sowohl zivile Arbeiter als auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern untergebracht. Wie viele Menschen sich im Lager befanden, kann nicht genau belegt werden. "Die Zwangsarbeiter wurden je nach Bedarf auch bei anderen Kraftwerks-Projekten eingesetzt, deshalb lässt sich die genaue Anzahl an Arbeitern nicht klären", so der Historiker Erich Andreas Schreder.
Durch die Ausgrabungs-Funde wurde auch die Anwesenheit der Wehrmacht bewiesen: "Wir haben bei den Ausgrabungen militärisches Zubehör und Munition gefunden, die aufgrund der Gravur eindeutig der Wehrmacht zugeordnet werden kann", sagt Karsten Wink, Geschäftsführer der Grabungsfirma "ARDIS Archaeology".

"Sehr interessantes Material"

Karsten Wink über die Funde in Kirchbichl: "Die archäologischen Hinterlassenschaften und baulichen Überreste aus der NS-Zeit befanden sich seicht unter der Oberfläche. Die Ausgrabungen haben uns sehr viele Informationen über die damaligen Zustände geliefert. Einige Fragen, wie zum Beispiel in wie weit das Zwangsarbeiterlager umzäunt war, sind jedoch noch immer offen". Diese offenen Fragen will man jetzt mit Fotos, schriftlichen Dokumenten und Zeitzeugenbefragungen lösen.

Historischer Hintergrund

In den 1930er-Jahren wuchs der Hunger nach Energie zusehends. Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 übte die nationalsozialistische Machtzentrale in Berlin massiven Druck auf Energieversorgungsunternehmen aus, um den Kraftwerksbau möglichst rasch voranzutreiben und so den großen Energiebedarf im gesamten Deutschen Reich decken zu können. Die Kraftwerke in Tirol standen zur damaligen Zeit im Einflussbereich der 1938 neu gegründeten Alpenelektrowerke AG. Die Mehrheit der einheimischen, arbeitsfähigen Männer war zum Kriegsdienst eingezogen worden, es herrschte großer Arbeitskräftemangel. Um diesen auszugleichen, wurden Zwangsarbeiter – überwiegend polnischer Herkunft – eingesetzt, die in einem Barackenlager nahe der Baustelle festgehalten wurden. Trotz intensiver Nachnutzung der inzwischen abgerissenen Gebäude gelang es, kriegszeitliche Relikte ans Tageslicht zu holen und ausführlich zu dokumentieren.
„Auf diese Weise kann ein Stück Zeitgeschichte vor dem Vergessen und Verdrängen bewahrt werden“, so TIWAG-Vorstandsdirektor DI Johann Herdina.

Wo: Kraftwerk, Viktor Kaplan Str. 10, 6322 Kirchbichl auf Karte anzeigen
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