Das Insektensterben in Österreich geht rasant weiter

Eintagsfliegen sieht man immer seltener, sie zählen weltweit zu den gefährdetsten Insekten. | Foto: © Naturschutzbund/Johannes Gepp
  • Eintagsfliegen sieht man immer seltener, sie zählen weltweit zu den gefährdetsten Insekten.
  • Foto: © Naturschutzbund/Johannes Gepp
  • hochgeladen von Waltraud Fischer

Die neueste und alarmierende Botschaft australischer Wissenschaftler, die 73 Studien zum Insektensterben ausgewertet haben, sagt es ganz deutlich: Das Insektensterben ist ein weltweites Phänomen!
Es läuft um vieles rasanter ab, als bisher befürchtet. 41% der Insektenarten sind allein in den vergangenen 10 Jahren in die Gefährdungsklasse gerutscht. In den nächsten fünfzig Jahren könnte nach pessimistischen Studien die Hälfte der Arten verschwinden. Es droht der größte Artenverlust seit 400 Millionen Jahren, seit dem Devonischen Massensterben. Die Hauptfaktoren dafür sind Lebensraumverlust und Verstädterung, Vergiftung der Umwelt mit synthetischen Pestiziden und Hormonen, Einschleppung von fremdländischen Arten sowie der Klimawandel. Zentral problematisch ist die industrielle Landwirtschaft.

Neue Erkenntnis: Auch wasserbewohnende Insekten sind gefährdet
Neu ist die Erkenntnis, dass nicht nur Landinsekten gefährdet sind, sondern besonders die in Gewässern lebenden Eintagsfliegen, Libellen, Köcherfliegen etc. – also die als Larven wasserbewohnenden Insekten. Das entspricht auch den Beobachtungen bei uns, zumindest in den Gewässern der Agrikulturlandschaft. Wo Düngemittel und Pestizide eingeschwemmt werden, verschwinden die Insekten. So zieht das Insektensterben das Verschwinden anspruchsvoller Wiesenvögel und auch Fische nach sich.

Insektensterben bei uns

Unglaubliche 37.600 Insektenarten wurden in Österreich von den Entomologen (Fachbezeichnung für Insektenkundler) bisher nachgewiesen. Insekten sind damit die mit Abstand artenreichste Gruppe aller Lebewesen. Alarmierende Bestandsrückgänge, die letztes Jahr aus Deutschland berichtet wurden, sind zumindest für die Agrikulturlandschaften Österreichs im ähnlichen Ausmaß zu befürchten. Auch die Roten Listen gefährdeter Insektenarten Österreichs sind in den Gefährdungsausmaßen mit jenen Deutschlands vergleichbar. Die Häufigkeit an Tagfaltern ist in vielen Landwirtschaftsgebieten Österreichs innerhalb der letzten 100 Jahre auf 1 bis 0,5 % gesunken! Nur die weniger erschlossenen Alpenanteile gelten noch als Rückzugsgebiete für dort angepasste Arten.

Mit den Arten- und Häufigkeitsverlusten bewegen wir uns in Richtung eines Systemversagens, das vor allem die Land- und Forstwirtschaft trifft. Bisher von „Mutter Natur“ kostenfrei erbrachte Leistungen werden zunehmend fehlen. Die Bestäubung von Nutzpflanzen ist dabei nur ein Aspekt. Wesentlich ist auch die natürliche Regulierung potentieller Schädlinge oder die Erhaltung von Kreisläufen, wie etwa beim Abbau biologischen Materials und der Humusbildung.

Durch die vielschichtigen Probleme mit unserer Honigbiene hellhörig, schlug eine jüngst publizierte Langzeitstudie über die Häufigkeit von Insekten wie eine „Bombe“ ein. Die Insektenhäufigkeit Mitteleuropas nahm in den vergangenen 27 Jahren um 75-80 % ab! Für Experten keine absolute Neuigkeit – für die Öffentlichkeit ein ernüchterndes Erwachen. Wir Menschen verändern nicht nur die Atmosphäre, wir beeinflussen allzu viele Ökosysteme in alarmierendem Ausmaß.

14.000 Insektenarten nehmen im Bestand ab

Schon 1981 listete der Steirische Naturschutzbund in Roten Listen nicht weniger als 955 gefährdete Insektenarten auf. In ganz Österreich waren es im Jahr 1983 2.100 Arten. Allerdings sind die obigen Einschätzungen schon mehr als 35 Jahre alt. Nach grober Einschätzung unserer heutigen Umweltsituation rechnet der renommierte Entomologe und Vizepräsident des Naturschutzbundes Johannes Gepp für Österreich mit 14.000 im Bestand abnehmenden Insektenarten! Viele davon sind bereits so selten, dass ihre ökologischen Funktionen nicht mehr wirksam sind. Die Mehrzahl der heimischen Insektenarten hat unterschiedliche Funktionen, viele davon halten Schädlinge als deren natürliche Feinde in Zaum. Die Reduktion von insektenverzehrenden Insekten sowie von Parasiten an Schadinsekten begünstigt das Erstarken von baumtötenden Insekten wie Borkenkäfern oder samenfressenden Insekten.

In den vergangenen vier Jahrzehnten haben wir in Mitteleuropa die auffälligsten Luftschadstoffe reduziert, die Fließgewässer durch Kläranlagen gereinigt, Lärmschutzwände errichtet… Im gleichen Zeitraum wurde die Grünlandwirtschaft in den Tallagen durch Agrartechnologie zu Intensivmais-Steppen umgewandelt. Hunderttausende, vor Jahrzehnten noch artenreiche Wiesen, wurden umgebrochen, wenige verblieben mit exotischen Gräsern durch fünf Mähzyklen artenmäßig völlig monotonisiert.

Die Bayern starten ein Volksbegehren zur Artenvielfalt
In Bayern beginnt die Bevölkerung aufzuwachen. Über eine Million Unterschriften für Artenvielfalt wurden binnen Kurzem gesammelt Es ist dringend an der Zeit, auch im Ökotourismusland Österreich auf breiter Basis zu handeln!

Die Hauptursachen des heimischen Insektensterbens sind hausgemacht!
Nicht einmal ein Tausendstel der österreichischen Fläche verfügt über natürliche Urwälder. An die Stelle artenreicher Wiesen treten seit Jahrzehnten mehr und mehr Äcker. Die Blumenwiesen von einst werden jährlich fünfmal gemäht, lang bevor jedes Blümchen erblühen kann. Nur dort, wo es noch entlegene Blumenwiesen gibt, ist die Insektenvielfalt noch ansatzweise vorhanden. Doch kleinflächige Schutzgebiete reichen nicht aus, um das Überleben der Insekten zu sichern, denn für ihre Vermehrung liegen diese oft viel zu weit voneinander entfernt.

Der Naturschutzbund erarbeitet gerade umfassende Vorschläge, um den Insekten zu helfen und zeigt Möglichkeiten auf, wie sich jede und jeder an der Rettung der heimischen Vielfalt beteiligen kann. Wir brauchen ein ausgewogenes Nebeneinander von Kultur- und Naturlandschaft. Ohne strategischen Naturschutz werden wir bald artenarm erwachen!

Naturschutzbund-Vizepräsident Johannes Gepp:
"In den letzten 100 Jahren haben wir die Tagfalterdichte auf weniger als ein Hundertstel abgewürgt – unbeabsichtigt und unbewusst. Und es sterben nicht nur die Schmetterlinge, das Insektensterben entwickelt sich zum weltweiten Problem. Es läuft erschreckend rasanter ab, als erwartet!
Vor 100 Jahren war noch von ,Wolken' aus Schmetterlingen über unseren Wiesen die Rede. In meiner Jugend gab es im Hochsommer noch da und dort massenhaft Tagfalter an blühenden Wegrändern. Heute trifft man nur noch in entlegenen Berggegenden auf Tagfaltergruppen, selten mehr als ein Dutzend. Ausnahmen zeigen bestenfalls die letzten großen Naturschutzgebiete."

Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Die Gemeinde St. Andrä-Höch.  | Foto: Gemeinde
7

Ortsreportage
St. Andrä-Höch stellt die Weichen für die Zukunft

Die Gemeinde St. Andrä-Höch blickt in die Zukunft und gibt der Tradition dabei viel Raum, wenn es um Infrastruktur, Veranstaltungen und Visionen geht.  An kommunalen Einrichtungen der Freiwilligen Feuerwehr und der Volksschule St. Andrä-Höch wurde eine neue Photovoltaikanlage angebracht, um die Institutionen mit nachhaltigem Strom zu versorgen und um für den Ernstfall vorzuplanen. Die Leistung der beiden Anlagen betragen zusammen 23 KWp. Die Gemeinde sieht die Errichtung der Photovoltaikanlage...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Kerstin Reinprecht
Anzeige

Baureportage E.N.G.E.L. in Arnfels
Elektro Lang setzt Meilenstein auf dem Weg in die Energieautarkie

Nach knapp einem Jahr Bauzeit eröffnet Elektro Lang am 27. April den neuen Firmenstandort in Arnfels. Das Energiegebäude Lang - kurz E.N.G.E.L. - setzt einen neuen  Weg in die Energieautarkie. ARNFELS. Erst knapp vor einem Jahr erfolgte inmitten einer Gemeinschaft engagierter Gäste und Pioniere aus der Green-Tech-Branche in Arnfels die feierliche Grundsteinlegung für das neue Energiegebäude von Elektro Lang. Dieser Tag markierte nicht nur einen weiteren historischen Meilenstein in der bewegten...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Patricia Reiterer
Anzeige
Die Wallfahrtskirche in St. Veit am Vogau ist ein Wahrzeichen des Ortes und wird gerade saniert.  | Foto: Gemeinde
7

Orsreportage
Wachstum und Begegnung in St. Veit in der Südsteiermark

Die Marktgemeinde St. Veit in der Südsteiermark wächst und damit geht viel Potential für die Bevölkerung einher. ST. VEIT IN DER SÜDSTEIERMARK. Ein großes Bauprojekt ist die Erweiterung des Bauhofes in St. Veit und der zweiten Kinderkrippengruppe, die im Herbst eröffnet wird. "Es ist wichtig, ressourcenschonend zu arbeiten und achten darauf, dass keine zusätzliche Fläche verbaut wird. Für den Bau der Kinderkrippengruppe nutzen wir dafür die Synergien, um keine weiteren Flächen zu versiegeln",...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Kerstin Reinprecht

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.