Leibnitz als Zuzugsregion
Kommentar von Eva Surma, Geschäftsführerin vom Verein Freiraum, FRAUEN Servicestelle des Bundes - Leibnitz auf Themen der WOCHE in der Ausgabe vom 17./18. September
Schön, dass Leibnitz sich als aufstrebende Region präsentiert und erkennt, dass großes Wertschöpfungspotential uns als LeibnitzerInnen stark macht!
Wenn Leibnitz sich als Zuzugsregion versteht, wie das in der aktuellen Ausgabe der Woche sehr anschaulich dargestellt wird, ist es dringend angeraten, sich über notwenige infrastrukturellen Maßnahmen im Klaren zu sein.
Frauen machen im Bezirk Leibnitz mehr als die Hälfte der ansässigen Bevölkerung aus. Daher ist es wichtig, einen Blick darauf zu werfen, welche Lebenssituationen Mädchen und Frauen im Bezirk vorfinden, denn es geht nicht an, dass Leibnitz auf Kosten der Frauen wächst.
Ein dramatischer Engpass im Hinblick auf eine Zukunftsperspektive ist das Bildungsangebot, das Leibnitz als „Schulstadt“ bietet. In einem Bezirk, der 75.000 EinwohnerInnen umfasst, gibt es tatsächlich nur eine einzige gymnasiale Unterstufe, die auch für SchülerInnen aus dem ehemaligen Bezirk Radkersburg und dem Bezirk Deutschlandsberg fungiert.
Das heißt, dass SchülerInnen aus Leibnitz um einen Platz in der Unterstufe kämpfen müssen.
Zu Recht sagt Direktor Wieser vom Gymnasium Leibnitz: „Wir haben ein großes Einzugsgebiet und können uns die Besten aussuchen.“ Wie wünschenswert das im Hinblick auf mehr qualitative hochwertige Bildung in der Region ist und ob die Situation, dass zwischen 50 und 100 SchülerInnen jährlich abgewiesen werden -wobei gesagt werden muss, dass Volksschulen ohnehin darauf aufmerksam machen, dass nur SchülerInnen mit zwei oder weniger Gut-Benotungen in der vierten Klasse Volksschule eine Chance haben, aufgenommen zu werden - ist eine brisante politische Frage, die sich nicht erst heute sondern schon die letzten 10 Jahre stellt.
Immer öfter sehen wir, dass Familien sich dem Erfolgsdruck, dem ihre Kinder dadurch in der letzten Volksschulklasse unterworfen sind, nicht mehr ausliefern und mit dem Semesterzeugnis eine Anmeldung in einem Grazer Gymnasium oder einer Schule außerhalb von Leibnitz vorziehen. Das führt dazu, dass Züge und Busse in der Früh überfüllt sind und es für Kinder zwischen 10 und 14 zur Normalität des Alltags gehört, um 5 Uhr aufzustehen.
Tatsächlich muss frau im Bezirk Leibnitz früh raus, wenn sie will, dass ihre Kinder im Bildungswettbewerb mithalten können. Mit gutem Grund setzt sich LAbg. Frau Gady für die Beibehaltung bzw. den Ausbau von landwirtschaftlichen Schulen und ihren Großküchen ein. Es lässt sich sicherlich eine wesentlich bessere und günstigere Versorgung unserer Kinder mit gesunden, regionalen Essen realisieren. Auch hier ist es eine politische Entscheidung, ob den Kindern günstige, hochwertige Mittagessen flächendeckend zur Verfügung stehen, oder ob es Sache der Mütter ist, Berufstätigkeit hintanzuhalten und Jahrzehntelang ihre Zeit damit zu verbringen, täglich zu kochen. Diese „Hausfrauisierung“ von gut ausgebildeten Mädchen und Frauen kommt einer Fehlinvestition in die Standortentwicklung gleich.
Traurig ist es auch, dass wir im Bezirk Leibnitz nur eine HTL und keine anderen weiterführenden höheren Schulen haben als die HAK, deren AbgängerInnen kaum mehr Arbeitsplätze in der Region finden, sondern nach Graz zur Weiterbildung auspendeln müssen.
Besonders Mädchen mit Matura oder abgeschlossenen Hochschullehrgängen können sich im Bezirk Leibnitz nur der Familienplanung widmen oder als Pendlerinnen hier leben.
Es stellt sich daher vehement die Frage nach verwertbarer, weiblicher Bildung.
Frauenarmut wird dadurch zum weiblichen Thema Nummer eins in der Zuzugsregion Leibnitz.Es herrscht ein beinharter Wettbewerb um geringfügige Arbeitsstellen und um Teilzeitbeschäftigungen, die sicherstellen, dass die Frauen weiterhin ihren Pflege- und Versorgungsaufgaben nachkommen. Im Sinne der Armutsbekämpfung wäre es wünschenswert, den Schwarzen Peter hier nicht immer nur dem AMS zuzuschieben, sondern das Ruder in die Hand zu nehmen und eine Akademie für Pflegekräfte anzudenken, da wird einer der Bezirke mit der größten Pflegeheimdichte in Österreich sind. Dass die Schließung der Geburtenstation nicht im Sinne einer Zuzugsregion war, sei nicht unerwähnt.
Neue Care-Konzepte werden auf europäischer Ebene diskutiert. Die Erkenntnisse aus dieser Diskussion scheinen in Leibnitz noch nicht angekommen zu sein.
Die Anbindung an die IT- und Mediengesellschaft ist in Leibnitz gelungen, sollte jemand allerdings von einer der Umlandgemeinden den Wunsch haben, sich regional zu bewegen und etwa in die Bezirkshauptstadt oder nach Mureck oder gar Oberhaag oder Leutschach zu fahren, ist das mit öffentliche Verkehrsmitteln kaum möglich. Außer Schulbussen und Taxis hat der Bezirk nichts Leistbares im Nahverkehr zu bieten.
Ist Leibnitz also ein zufälliges Zuzugsgebiet oder behalten die aktuellen politischen Maßnahmen die Lebensqualität aller EinwohnerInnen im Auge und wirken so einer Entwertung der Region und ihrer Arbeitskräfte entgegen?
Nur tatsächliche Wahlfreiheit, vielfältige Möglichkeiten, Privat- und Familienleben mit dem beruflichen Alltag in Einklang zu bringen, werden die Region langfristig qualitativ aufwerten. Solange Frauen - aber auch Menschen anderer Ethnizitäten oder Menschen aus unteren Einkommenssegmenten - täglich diskriminiert werden und die Möglichkeiten einer politischen Steuerung kaum ausgeschöpft sind ( hier möchte ich nur darauf verweisen, dass es lediglich eine einzige weibliche Bürgermeisterin in 44 Leibnitzer Gemeinden gibt und die Beteiligung von Frauen an Gemeinderatssitzungen gering ist bzw. sich aufs Protokollschreiben und Kaffeekochen beschränkt, anstatt Entscheidungsmacht zu haben) werden wir zwar zahlenmäßig wachsen, aber ökonomisch und in unserem Lebensstandard keine Weiterentwicklung erleben.
Die steirische Gleichstellungsstrategie 2020 formuliert als Handlungsfelder explitzit:
Ökonomische Eigenständigkeit
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Beteiligung, Mitbestimmung und Repräsentanz
Gewaltprävention und Gewaltschutz
Abbau von Geschlechterstereotypen und erweiterte Handlungsoptionen
Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Wohnraum
und zwar gleichermaßen jeweils für Männer und Frauen.
In diesem Sinne werden wir Mädchen und Frauen für öffentliches und politisches Engagement nur dann begeistern und dauerhaft gewinnen können, wenn sich ihr Einsatz lohnt, wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Leistungen erwünscht und wertgeschätzt sind. Alle politischen Parteien sind gefordert, Mädchen und Frauen als Trägerinnen von Lebensqualität im ländlichen Raum sichtbar zu machen und nicht so zu agieren, als wären wir nur Teil eines wachsenden Speckgürtels um Graz, eine Zuzugsregion, die für billige Reproduktion und PendlerInnen sorgt.
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