Neue Kassenstelle in Leoben
"Kinder und Jugendliche erleben viel Druck"
Eine von fünf steirischen Kassenstellen für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist neuerdings in Leoben angesiedelt: In der Praxis "Zur Mitte Leoben" haben sich die Kinder- und Jugendpsychiaterin sowie -therapeutin Eva Maria Haring, Psychotherapeutin Sophia Leithold und die klinische Psychologin und Psychotherapeutin Gudrun Pichler zusammengefunden, um Kindern und Jugendlichen ebenso wie Erwachsenen in herausfordernden Zeiten Stütze zu sein.
LEOBEN. Die Nachfrage im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Steiermark ist erschreckend hoch, nicht so jedoch die Zahl der Kassenstellen. Bis April 2022 gab es landesweit keinen einzigen Kassenarzt beziehungsweise keine Kassenärztin, dann wurden zwei Stellen geschaffen und erst im vergangenen Sommer entschied die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), weitere drei Stellen auszuschreiben.
"Schade, dass es so lange gedauert hat, aber umso schöner, dass es diese Kassenstelle jetzt gibt", freut sich Eva Maria Haring. Nachdem sich für die ursprünglich in Bruck ausgeschriebene Stelle kein Facharzt beziehungsweise keine Fachärztin gefunden hatte, ergab sich für die Kinder- und Jugendpsychiaterin sowie -psychotherapeutin die Möglichkeit, ihre eigene Praxis mit Kassenstelle in der Leobener Langgasse 6 zu eröffnen.
Bei einem Gespräch mit MeinBezirk.at sitzt Haring mit einer Tasse Kaffee in der Hand in einem der drei Behandlungszimmer. Es sind helle, freundliche Räume, die eine angenehme Ruhe ausstrahlen. Neben Haring hat Kollegin Sophia Leithold Platz genommen. Die Leobenerin ist Psychotherapeutin und Teil der neuen Praxisgemeinschaft "Zur Mitte Leoben", die zudem aus der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin Gudrun Pichler besteht. Unterstützt wird das Trio von Herta Müller, der guten Seele und wichtigen Stütze der Praxisgemeinschaft.
Vernetzung zählt
Gerade im Kinder- und Jugendbereich sei "die Vernetzung, die Interdisziplinarität, die systemische Arbeit" enorm wichtig, erklärt Haring den Grund für die gemeinsame Praxis. Wichtig sei auch die enge Zusammenarbeit mit anderen Institutionen – etwa Schulen und Kindergärten, Kinderärtzinnen und -ärzten sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern oder auch dem Kinderschutzzentrum.
"Wir sehen die Kinder in so vielen Abhängigkeiten eingebettet. Ganz klar, sie leben mit den Eltern, das heißt es geht auch immer um die Familie, um die Schule – das sind viel mehr Systeme, die bespielt werden müssen."
Sophia Leithold, Psychotherapeutin
Darin spiegle sich auch der große Unterschied zur klassischen Erwachsenentherapie oder -psychiatrie wider, meint Leithold. "Vorstellig wird das Kind, aber eigentlich ist die Familie oder das System im Auge zu haben", fasst Haring zusammen. Je nach Alter des Kindes würden daher auch immer wieder die Eltern in die Therapie miteinbezogen.
Kinder und Jugendliche unter großem Druck
Dass es die Praxis beziehungsweise das Angebot braucht, stehe außer Frage. Es sei generell eine sehr angespannte Zeit, betont die Kinder- und Jugendpsychiaterin Haring. Jugendliche würden von vielen Seiten Druck und Spannung erleben.
"Ich finde, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen depressive und Angstsymptome extrem zugenommen haben. Das betrifft Leistungsängste, ganz viele soziale Unsicherheiten, aber auch Ängste, was in der Welt passiert, Zukunftsängste und eben depressive Verstimmungen – und das schon sehr früh."
Eva Maria Haring, Kassenärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie Wahlärztin für psychotherapeutische Medizin
Aggressives Verhalten, Mobbing und Suchtgift seien weitere Themen, mit denen sowohl Haring als auch Leithold in ihrer Arbeit immer stärker konfrontiert würden. Die Ursachen dafür seien komplex. Nicht herunterspielen dürfe man Leithold zufolge die Folgen des uneingeschränkten Medienzugangs – dieses "direkte Ausgesetztsein", das es laut Expertin früher in dieser Form nicht gegeben habe. "Und natürlich ist es schon so, es wird einfach sehr viel über Krisen gesprochen."
Probleme frühzeitig in Angriff nehmen
Umso wichtiger sei es, Probleme frühzeitig zu adressieren, nicht auf die lange Bank zu schieben, rechtzeitig Hilfe aufzusuchen. Auch – oder gerade – für Eltern sei es wichtig, eigenen Themen anzupacken und an sich selber zu arbeiten. "Sich wirklich frühzeitig um die eigene psychische und seelische Gesundheit zu sorgen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Das bedingt automatisch, dass man als Elternteil offener, zuhörender, unterstützender wird, weil man weniger im Weg steht", führt die Leobenerin aus, die ursprünglich Musikwissenschaften studierte und gegen Ende dieses Studiums parallel mit der Ausbildung zur Psychotherapeutin begann.
"Ich habe so ein Bedürfnis gehabt, mit Menschen tiefergehend zu arbeiten und wirklich zu verstehen, was hinter den vielen Vorgängen liegen kann."
Sophia Leithold, Psychotherapeutin
Dies sei nach wie vor der Grund, warum sie die Arbeit so gerne mache. "Also ich finde, wir lernen Menschen wirklich auf eine sehr besondere Art und Weise kennen – und das ist einfach sehr schön. Was wir zum Beispiel gerade bei den Kindern und Jugendlichen oft erleben, also wenn man sich die Zeit nimmt, sie ein bisschen genauer anzuschauen oder sie so zu erleben, ist, was sie für versteckte Talente haben", betont die Psychotherapeutin. Schön sei es darüber hinaus, wenn jemand den Mut habe, "sich dem Schmerz oder dem, was schwierig ist, zu öffnen", ergänzt Haring. So erlebe sie immer wieder, wie jemand über sich hinauswachse, es Besserung gebe, wenn Veränderungen dann anschlagen würden. Trotz aller Herausforderungen sei es eine sehr hoffnungsvolle Arbeit, sind sich die Frauen einig. "Es ist so das Gefühl, wenn man in diesem Alter den Fuß in die Tür kriegt, dann gibt es wirklich Chancen", betont Haring.
Über die Praxisgemeinschaft "Zur Mitte Leoben":
Das könnte dich auch interessieren:
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.