Juliane Werner und Robert Prosser
Ein Sonntag im Krinzinger Lesehaus
Ein sonniger Sonntagnachmittag im Krinzinger Lesehaus
Um 14 Uhr ging es bequem per Bus raus aus Wien und nach Untermarkersdorf in Niederösterreich. Angekommen beim Krinzinger Lesehaus, welches in eine herbstliche Nachmittagssonne gehüllt war, genossen die Besucher:innen zunächst die idyllische Umgebung des Weinviertels bei einem Glas Wein.
Juliane Werner und Robert Prosser präsentierten Ihre neuesten Publikationen. Werner sprach über den Existentialismus in Österreich. Nach einer kurzen Pause bei Kaffee und Kuchen rezitierte Robert Prosser aus seinem Roman Gemma Habibi.
Nach einem faszinierenden und spannungsvollen Nachmittag genoss man bei abendlicher Stimmung ein Gläschen biologischen Wein und köstliche Aufstrichbrote beim Heurigen der Familie Himmelbauer.
JULIANE WERNER
Die Studie „Existentialismus in Österreich. Kultureller Transfer und literarische Resonanz” porträtiert, wie das Denken, Schreiben und Leben des Pariser Kreises um Jean-Paul Sartre nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich aufgenommen wurde. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Maßnahmen alliierter Kulturpolitik wird die Berichterstattung zum Existentialismus in Zeitungen und Zeitschriften beleuchtet, die Präsenz existentialistischer Bühnenwerke an österreichischen Theatern und der Umgang mit der Sartreschen Freiheitsphilosophie an den Universitäten. Den Menschen in die volle Verantwortung für seine eigene Existenz setzend und ihn zum steten Neuentwurf seiner selbst aufrufend, findet der Existentialismus großen Anklang als Lebensstil unter Jugendlichen und in Künstlerkreisen, stößt jedoch auf starke Ablehnung von kommunistischer Seite, die die existentialistische Lehre als zu abstrakt und idealistisch empfindet, ebenso von katholischer Seite, die dem jede festgelegte Essenz negierenden Menschenbild Nihilismus vorwirft. Vor dem Hintergrund dieser komplexen Aufnahmesituation überblickt die Studie schließlich, wie existentialistische Themen, Motive und Theoreme in Werke mehrerer Schriftstellergenerationen einfließen und den Existentialismus auf diese Weise zu einem bis in die Gegenwart reichenden Impuls für das literarische und philosophische Leben Österreichs werden lassen. (Juliane Werner, 2021)
Juliane Werner studierte Kulturwissenschaften und Vergleichende Literaturwissenschaft in Paderborn, Le Mans und Wien, wo sie seit 2015 am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien forscht und lehrt. 2021 wurde ihre Lehre mit dem UNIVIE Teaching Award ausgezeichnet.
Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen österreichisch-französische Kulturtransfers, Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Philosophie, psychiatrische Räume in der Literatur, Literary Animal Studies sowie die internationale Ausstrahlung des Werks Thomas Bernhards, deren Untersuchung sie seit 2020 auch im Vorstand der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft vertritt.
Durch ihre langjährige Tätigkeit als Musikredakteurin und Moderatorin beim Rundfunk in Luxemburg hat sich zudem ein Interesse für die Verbindung von Literatur und Popularmusik erhalten, das zuletzt in die Publikation des Bandes „Popular Music and the Poetics of Self in Fiction” mündete (hg. mit Norbert Bachleitner, 2022). Weitere Publikationen: „Thomas Bernhard und Jean-Paul Sartre” (2016), „The International Impact of Sartrean Existentialism” (hg. mit Alfred Betschart, 2020) und „Existentialismus in Österreich. Kultureller Transfer und literarische Resonanz” (2021).
ROBERT PROSSER
Robert Prosser schlägt die Brücke von der Rezitation zum Roman und bietet Einblicke in die Recherchen, die seinen Büchern PHANTOME (Ullstein 2017) und GEMMA HABIBI (Ullstein 2019) zu Grunde liegen, und etwa nach Bosnien oder in die heimische Kampfsportszene geführt haben. Die frei vorgetragene, rhythmisierte Erzählung wird an diesem Nachmittag im Mittelpunkt stehen und sich besonders auf GEMMA HABIBI konzentrieren. Der Roman, den Kritiker als „große Erzählkunst“ ….. „mit langem Nachhall“, die „tanzt wie ein Schmetterling und sticht wie eine Biene“ bezeichneten, fängt einige Tage im Leben von Lorenz ein, einem jungen Mann, der für die Staatsmeisterschaft im Boxen trainiert. Der Boxclub wird dabei zu einem Abbild für die Herausforderungen, mit denen sich die Gesellschaft im Herbst 2015, am Höhepunkt der sogenannten "Flüchtlingskrise", konfrontiert sah. Ähnlich einem Kampf entsteht die Rezitation aus dem Moment, sie ist fluide, rasant und energiegeladen. Eine intensive Aufführung über Freundschaft, Engagement und Obsession - und über die Ausnahmeerfahrung, die nur im Ring möglich wird. (Robert Prosser, 2021)
Der Autor, Herausgeber, Performance-Künstler und Kurator lebt heute in Alpbach, Tirol und Wien. Robert Prosser studierte Komparatistik sowie Kultur- und Sozialanthropologie. In den folgenden Jahren hielt er sich in Asien, der arabischen Welt und England auf. Sein erstes Buch „Strom” Ausufernde Prosa, erschien 2009. Zuletzt veröffentlichte er das Essay Journal „Beirut im Sommer” (2020) und den Roman „Gemma Habibi” (2019). Migration, politische Konflikte und deren Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft in Zentraleuropa und dem nahen Osten gehören zu zentralen Themen in Prossers literarischem Werk. Dieses Jahr wurde er von Robert Menasse als Writer-in-Residence in die One World Foundation, Sri Lanka eingeladen. Robert Prosser erhielt zahlreiche Preise und Stipendien. Darunter der Priessnitz-Preis 2014, die Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2017 und das Österreichische Projektstipendium für Literatur 2018/2019.
Krinzinger Lesehaus
Kellergasse gegenüber Weinbaumuseum (Hinweis-Schild in der Ortsmitte), 2061 Untermarkersdorf bei Hadres
krinzingerlesehaus@galerie-krinzinger.at
Tel.: +43 0660 5738736
www.krinzingerlesehaus.org
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