Analphabetismus
Digitalisierung macht Lücken in der Bildung sichtbar

Zwischen Tabu und Digitalisierung: Auch in Österreich ist Analphabetismus kein Randphänomen. In Basisbildungskursen stehen sowohl Schreiben und Rechnen als auch der Umgang mit dem Computer und Internet am Stundenplan.  | Foto: Pixabay
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Experten gehen österreichweit von rund einer Million Menschen mit Defiziten in der Basisbildung aus. So vielfältig die Gründe dafür sind, so unterschiedlich sind die Hürden im Alltag. Die zunehmende Digitalisierung stellt auch viele Steirerinnen und Steirer vor noch nie dagewesene Herausforderungen. 

STEIERMARK/GRAZ. Weltweit können rund 800 Millionen der über 15-Jährigen nicht richtig lesen und schreiben, in Österreich sind es gemäß Experten-Schätzungen zwischen 10 und 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. "Wenn wir von Analphabetismus in Österreich sprechen, erscheint das den meisten Menschen als exotisch. Dabei handelt es sich hierbei nicht nur um ein Problem von Zugewanderten, sondern auch von Menschen, die in Österreich geboren wurden und zum Teil sogar das Schulsystem durchlaufen haben", erklärt Robert Reithofer, Geschäftsführer des gemeinnützigen Grazer Vereins ISOP ("Innovative Sozialprojekte").

"Wenn wir von Analphabetismus in Österreich sprechen, handelt es sich nicht um ein exotisches Phänomen, sondern es betrifft auch Menschen, die das Schulsystem durchlaufen haben." 
Robert Reithofer, Geschäftsführer ISOP

Verschiedene Formen des Analphabetismus

In der Folge müssen nicht nur die Bevölkerungsgruppen, welchen über ISOP Basisbildung vermittelt wird, differenziert betrachtet werden, sondern auch die Formen des Analphabetismus.

Der Kampf mit den Buchstaben: In der Steiermark gibt es zwischen 50.000 und 70.000 Menschen mit funktionalem Analphabetismus.  | Foto: Pixabay
  • Der Kampf mit den Buchstaben: In der Steiermark gibt es zwischen 50.000 und 70.000 Menschen mit funktionalem Analphabetismus.
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So gehe man in der Steiermark z.B. davon aus, dass die Zahl der Personen, die von funktionalem Analphabetismus betroffen sind, zwischen 50.000 bis 70.000 liegt. Diese Menschen haben in ihrer Schullaufbahn zwar Lesen und Schreiben gelernt, ihre schriftsprachliche Kompetenz reicht aber nicht aus, um z.B. Formular ausfüllen oder Verträge abschließen zu können.

Aber auch Menschen ohne Pflichtschulabschluss, Zugewanderte, die in ihrem Herkunftsland keine Schulbildung durchlaufen haben, aber auch Zugewanderte mit hoher Schulbildung, aber anderer Alphabetisierung sind in ihrem täglichen Leben mit den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen mangelnder Basisbildung konfrontiert.

Neue Herausforderungen am Arbeitsmarkt 

"Unser Tätigkeits- und Kompetenzbereich ist deshalb ein sehr weites Feld, in dem wir mit viel Feingefühl agieren", verweist Reithofer auch auf den psychischen Druck, den Menschen mit Lücken in der Alphabetisierung ausgesetzt sind. "Früher war es mitunter möglich, im Berufsleben zu bestehen, ohne sinnerfassend lesen und schreiben zu können. Aktuell befindet sich der Arbeitsmarkt aber im Umbruch", betont Reithofer.

Die zunehmende Digitalisierung stellt für viele Steirerinnen und Steirer mit Defiziten in der Basisbildung eine große psychische Belastung dar.
  • Die zunehmende Digitalisierung stellt für viele Steirerinnen und Steirer mit Defiziten in der Basisbildung eine große psychische Belastung dar.
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Denn die zunehmende Digitalisierung lasse mangelnde Basisbildung in vielen Lebensbereichen offen und oft schonungslos zu Tage treten. Die damit einhergehenden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konsequenzen sind weitreichend, da Menschen mit Grundbildungsdefiziten in zunehmenden Maße vom Arbeitsmarkt und von Weiterbildungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. 

Mit den steiermarkweiten Angeboten setzt ISOP auf eine Begleitung von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern bei der Umsetzung ihrer Pläne für Beruf, Bildung und bei der Klärung sozialer Themen. "Im Schnitt erreichen wir an unseren Standorten pro Jahr 17.000 Menschen aus über 130 Ländern", informiert Reithofer. 

Alphabetisierung in der Justizanstalt Graz-Jakomini

Einer besonderen Zielgruppe widmen sich die ISOP-MitarbeiterInnen Elke Rainer und Gabriele Nussbaumer im Rahmen des Projektes "Deutsch und Alphabetisierung in der Justizanstalt". Das Thema Analphabetismus präsentiere sich hier in besonderem Maße als Tabu, vor allem, weil es aufgrund der räumlich engen Verhältnisse nicht verborgen werden könne. "Der Bereich, in dem wir hier arbeiten, ist einfach etwas sensibler, sowohl in Hinblick auf die Sicherheitsvorkehrungen als auch mit Blick auf den Datenschutz", erklärt Projektleiterin Elke Rainer. 

Gabi Nussbaumer gibt seit 2019 Deutschunterricht in der Justizanstalt Graz-Jakomini. Ein respektvoller Umgang miteinander sowie die Vermittlung praxisbezogener Kommunikationsgrundlagen liegen ihr besonders am Herzen.  | Foto: ISOP/Martin Bauer
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Das Projekt in der Justizanstalt Graz-Jakomini läuft bereits seit vielen Jahren, die Nachfrage nach den Deutsch- und Alphabetisierungskursen sei groß. "Der Unterricht orientiert sich sehr an der Praxis. Es geht darum, den Menschen Grundkenntnisse in Sprache und Schrift zu vermitteln, sodass es ihnen möglich wird, ihre Bedürfnisse mitzuteilen", gewährt Trainerin Gabi Nussbaumer Einblick in das Klassenzimmer hinter den Gefängnismauern. Juristisches, Medizinisches und der Alltag im Gefängnis stehen daher im Vordergrund ihrer Unterrichtseinheiten.

Die Herausforderung dabei sei, dass es sich in den Kursen um bunt gemischte Gruppen mit sprachlich sehr unterschiedlichen Niveaus handle "und es ein Kommen und Gehen ist". Die Motivation hinter ihrem Engagement? 

"Drinnen wie draußen geht es um Kommunikation. Auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen und der Datenschutz sensibler gehandhabt werden, betrachten wir die Menschen, die an unseren Kursen teilnehmen als Erwachsene mit Basisbildungsbedarf und nicht als Häftlinge. Denn das Recht auf Bildung verstehe ich als Menschenrecht. Und das macht auch vor Gitterstäben nicht Halt."

Die steirische ISOP-Anlaufstelle für Lese- und Schreibschwäche ist unter der Telefonnummer 0316/764646-20 erreichbar.

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