ÖKAS-Lawinenbilanz
Lawinenwarnungen müssen mehr ernst genommen werden

Lawinenabgänge: Die Warnungen der Expertinnen und Experten müssen ernst genommen werden | Foto: Millinger
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Zahlreiche Todesopfer in den Bergen und eine allgemein hohe Lawinenaktivität. In den vergangenen Stunden standen Unglücksmeldung auf der Tagesordnung. Expertinnen und Experten ziehen Bilanz. Ihre Forderung: Warnungen müssen besser wahrgenommen werden und sich auf das Verhalten im Gelände auswirken.

INNSBRUCK. Der Lawinenwarndienst des Landes Tirol gibt  für die kommenden Tage die Lawinengefahrenstufe 3, „erheblich“, aus und warnt einmal mehr, dass man bei Fahrten im freien Gelände bei einer „Stufe 3“ unbedingt entsprechendes Fachwissen und angepasstes Verhalten walten lassen muss. „Viele unterschätzen die ‚Stufe 3‘, da sie sich im Mittelbereich der fünfteiligen Skala befindet. Die Realität ist aber, dass bei ‚Stufe 3‘ die meisten – nämlich etwas über die Hälfte – Lawinenunfälle passieren und viele ihr eigenes Können und Wissen überschätzen", erklärt LR Astrid Mair. Lawinenexperte Patrick Nairz vom Lawinenwarndienst des Landes ergänzt: 

"Gefahrenstellen findet man hierbei weiterhin sowohl auf Schatten- als auch auf Sonnenhängen im freien Skiraum. Schon einzelne Wintersportlerinnen oder Wintersportler können Lawinen auslösen."

Die Gefahr bestehe auch für "Variantenfahrerinnen und -fahrer", betont Nairz, den auch hier ist oftmals keine stabile Schneedecke vorhanden. 

Bergrettung beim Suchen bei einem der vielen Lawinenabgängen im Zillertal. | Foto: zeitungsfoto.at
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ÖKAS-Bilanz

Im Zeitraum von wenigen Tagenn ereigneten sich in vielen Bundesländern Österreichs zahlreiche Lawinenabgänge. In Tirol und Vorarlberg waren Unfälle mit Personenbeteiligung am häufigsten, acht Todesopfer finden sich Zeitraum 3.2. bis 5.2. in den Auswertungen der Alpinunfalldatenbank des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit (ÖKAS) und der Alpinpolizei. Es ist auffällig, dass in wenigen kurzen Perioden eines Winters Ereignis- und Opferzahlen wesentlich höher sind als in den übrigen Zeiträumen. Als „Lawinenzeiten“ bezeichnen Expertinnen und Experten dieses Phänomen. Gleichzeitig erreichen Lawinenwarnerinnen und Lawinenwarner die Grenzen ihrer Möglichkeit, Wissen weiterzugeben und die Wintersportlerinnen und Wintersportler zu erreichen. Ihre Forderung:

Warnungen müssen besser wahrgenommen werden und sich auf das Verhalten im Gelände auswirken.

Mehr zum Thema Lawine finden Sie im Dossier der BezirksBlätter

Ursachen

Fünf der tödlich verunglückten Lawinenopfer waren im Variantenbereich, zwei auf Skitour und einer bei Schneeräumungsarbeiten unterwegs. Es waren alle Altersgruppen zwischen 17 und 62 Jahre betroffen, wobei alle Opfer männlich waren, fünf aus Österreich, eines aus Neuseeland, eines aus China und eines aus Deutschland stammte. Zwei der sieben Unfälle ereigneten sich bei Lawinenwarnstufe erheblich (3), fünf bei Lawinenwarnstufe groß (4). Im 10-jährigen Mittel finden 7 % der Unfälle bei Lawinenwarnstufe groß (4), 54 % bei Lawinenwarnstufe erheblich (3) und 22 % bei Lawinenwarnstufe mäßig (2) statt.

Die Situation

Die Grafik der Landeswarnzentrale Tirol zeigt die räumliche Verteilung der Lawinenereignisse auf. Lediglich der Nordalpenraum war von Geschehnissen weniger betroffen.

Foto: Tiris

Aktuell herrscht in Tirol oberhalb etwa 1.800 m weiterhin erhebliche Lawinengefahr.

„Wir befinden uns dabei noch im oberen Bereich dieser Gefahrenstufe, haben es also unverändert mit einer für Wintersportler heiklen Lawinensituation zu tun“, so Nairz.

Dies bestätigen Stabilitätsuntersuchungen, aber auch Alarmzeichen, wie gehäuft auftretende Wummgeräusche oder Rissbildungen, vereinzelt sogar noch spontane Lawinenabgänge, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lawinenwarndienstes Tirol beobachten bzw. in der Geländearbeit wahrnehmen konnten.

Aktuell herrscht Lawinenwarnstufe 3 | Foto: Knaus
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Tipps ÖKAS & Partner

Das ÖKAS und seine Partner sind tagtäglich damit konfrontiert, wie schwierig es ist, Wintersportlerinnen und Wintersportler eindringlich vor besonders hoher Lawinengefahr zu warnen.

Im Bereich der Lawinenwarndienste werden bereits viele niederschwellige Möglichkeiten genützt, Informationen nach außen zu tragen. Es ist zu hoffen, dass durch vermehrt unterstützende Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Dritter in diesem Bereich ein Fortschritt erzielt werden kann. Das ÖKAS baut insbesondere auf Bewusstseinsbildung und erklärt Eigenverantwortung als Grundvoraussetzung für alpine Sicherheit im Winter.

Für alle Wintersportlerinnen und Wintersportler gilt es, sich ausführlich zu informieren und bei Lawinenzeiten freies Gelände zu meiden.

Lawinenzeiten wird es immer wieder geben. Es ist entscheidend, sie frühzeitig zu erkennen und alpine Ziele sowie auch die eigene Verhaltensweise anzupassen. Besonders bei hoher Lawinenwarnstufe (ab erheblich, 3) können einzelne Wintersportlerinnen und Wintersportler einen Bruch in der Schneedecke leicht initiieren.

Standardmaßnahmen bei Wintersport im freien Gelände sind essenziell. Entlastungs- oder Sicherheitsabstände können zum Beispiel bei geringem Aufwand erheblich weniger Risiko bewirken. Besonders in die Vorbereitung und Planung von Touren und Abfahrten soll investiert werden – diese Phase nämlich hält einem die Gefahren vor Augen und lässt die richtigen Entscheidungen im Vorfeld zu. Wenig erfahrenen Personen kann eine Ausbildung durch Bergprofis oder alpine Vereine empfohlen werden, Erfahrenen dagegen Vorsicht und Zurückhaltung.

Enorme Naturgewalten sind in Bewegung

Herausforderung für Alpinpolizei

Viktor Horvath, Leiter der Alpinpolizei in Tirol, erklärt, dass das vergangene Wochenende auch die Alpinpolizei vor große Herausforderungen stellte. Die Dichte der Lawinenereignisse mit und ohne Personenbeteiligung, aber auch die atypischen Lawinenereignisse und der Grad der Gefährdung der Retterinnen und Retter war derartig hoch, dass die Bewältigung nur unter sehr guter Kooperation aller beteiligten Einsatzorganisationen möglich war. Das beginnt mit der Bergrettung, Pistenrettung, Flugpolizei, Alpinpolizei, allen Rettungsdiensten (staatlich wie privat) und geht hin bis zu den Unfallkliniken, die ebenfalls sehr gefordert waren. Die Leitstelle Tirol sowie die Landesleitzentralen der Polizei bearbeiteten zahlreiche Unfallereignisse. Aus Sicht der Alpinpolizei wurde umfangreich und ausreichend gewarnt und auf die bevorstehenden Gefahrensituationen hingewiesen. Wenn für ein Wochenende Lawinenwarnstufe 4 auf der 5-teiligen Skala ausgegeben wird, gilt das nicht nur für den freien Skiraum (= das alpine Gelände), sondern auch für den Variantenbereich (= freier Skiraum, der innerhalb kurzer Zeit von Liftanlagen aus erreichbar ist).

„Es lässt sich immer wieder feststellen, dass trotz hoher Lawinengefahrenstufen die Varianten „niedergepflügt“ werden. Hier ist zukünftig äußerste Vorsicht und Zurückhaltung gefordert!“, warnt Viktor Horvath.

Warnungen müssen Ernst genommen werden

Die Warnungen der Lawinenwarndienste müssen ernst genommen werden. Diese werden jedoch häufig zu oberflächlich behandelt oder nicht wahrgenommen, was zu verheerenden Konsequenzen führt.

Bei allen negativen Auswirkungen des vergangenen Wochenendes ist auch eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Die Alpinpolizei bekam auch sehr viele Rückmeldungen zu Negativ-Lawinen, wodurch mit geringem zeitlichen und personellen Aufwand Lawinenabgänge abgeklärt werden konnten. Man konnte so die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort einsetzen, wo es dringend erforderlich war.

Österreichischer Bergrettungsdienst (ÖBRD)

„Das vergangene Wochenende stellte vielfache große Herausforderung an die freiwilligen Einsatzkräfte mehrerer Landesorganisationen des Österreichischen Bergrettungsdienstes dar. So galt es, die hohe Anzahl der Einsätze zu bewerkstelligen, dem starken Zeitdruck gerecht zu werden und einhergehend ein Risikomanagement durchzuführen, um die eigenen Mannschaften nicht über das vertretbare Maß hinaus zu gefährden.

Wir beurteilen die Verschuldensfrage nicht, das ist die Aufgabe anderer Organisationen. Dennoch stellen wir uns die Frage, wie es zu der Häufigkeit der Unfälle mit Verletzungen oder tödlichem Ausgang – trotz intensiver medialer Warnungen – kommen konnte. Ein richtiges Erfassen der Situation durch die Inhalte des Lawinenlageberichtes, das Verstehen der Bedeutung der Lawinengefahrenskala und der Auslösewahrscheinlichkeiten, die Kompetenz der Anwendung dieser Informationen im Gelände und die Fähigkeit, auch mit Notfallausrüstungen umgehen zu können, würde eine Vielzahl an Unfällen vermeiden“, resümiert ÖBRD-Präsident Stefan Hochstaffl.

Resümee

Peter Paal, Präsident des ÖKAS: "Expertinnen und Experten warnen eindringlich auf ausgewählten Kanälen, z.B. Lawinenwarndienst-Seiten, vor den Lawinenzeiten. Viele Wintersportlerinnen und Wintersportler halten sich durch entsprechende Tourenplanung oder den Verzicht auf Touren im alpinen Bereich auch an diese Empfehlungen.

Leider erreichen die Warnungen die Risikogruppen allerdings bisher nur in unzureichendem Ausmaß. Insbesondere Jugendliche und andere Unerfahrene, die nur für wenige Tage im Winter im alpinen Gelände unterwegs sind, gilt es, noch besser mit Informationen über die Risiken und Gefahren zu versorgen.

Vorstellbar sind Hinweise über hohe Lawinengefahr bei den Aufstiegsanlagen im Tal und bei besonders gefährdeten Hängen mittels Videos. Im Radio wird seit Jahren auf Unwetter hingewiesen. Wir sollten darüber nachdenken, in regionalen Radio- und TV-Sendern auch die Lawinengefahr mehr zu thematisieren, ganz besonders jedoch in den Skigebieten. Es muss ein Bewusstsein über alpine Gefahren in den betroffenen Talschaften unter Einheimischen UND Gästen entstehen.

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