Afghanistan
Mein Glück und die Anderen
Freilich beunruhigt mich, was mir Medienleute über Afghanistan berichten. Aber es wäre pure Heuchelei, wollte ich behaupten, das Unglück der Menschen in diesem Land würde mir den Schlaf rauben.
Mich rührt das Elend anderer Menschen vor allem, weil es in mir Zusammenhänge aufrüttelt, die mir klar machen, daß ich mit dem Glück meines Geburtsortes sorgsam umgehen sollte. (Der Untergang Jugoslawiens hatte mir zum Beispiel überaus deutlich gemacht, daß dieses Glück verfliegen kann.)
Welches Glück? Daß ich – Jahrgang 1956 – zur ersten Generation der Menschnheitsgeschichte gehöre, für die Sicherheit, Freiheit und Wohlstand in Wechselwirkung ein Niveau erreicht haben, das es nie zuvor gegeben hat. Nie! Nirgends! Das ist das Glück der Zeit und meines Geburtsortes.
Sorgsamer Umgang? Also zum Beispiel Anmaßung und Arroganz zu meiden, denn von hier aus reden wir leicht darüber, was Menschen tun sollten, die dort gerade nicht aus dem Land kommen. Aber mir mißfällt auch oft, was jenen zugerufen wird, die entkommen konnten.
Was kann ich zu all dem tun, wo einst das hochgerüstete Rußland einen Krieg verlor, Amerika nun abziehen muß, Deutschlands Kräfte eben ihre völlige Überforderung erleben? Was ich immer tun kann, ist an meiner Einstellung zu anderen Kulturen arbeiten. Was die Taliban angeht, habe ich freilich keinen Diskussionsbedarf.
Mein Informationsstand besagt: diese Leute vereinen Qualitäten von Mafia, Gestapo und Terrorkommando. Ein Netzwerk menschenverachtender Männer, die sich per Gewalt nehmen, was ihnen gerade paßt, so lange ihnen keine Macht der Welt in den Arm fallen kann. (Derzeit kann das offenbar keine Macht.)
Es steht auch außer Diskussion, daß sich für Frauen in Afghanistan eben ein Tor zur Hölle aufgetan hat. Nein, das ist mir nicht egal. Es bringt mich zum Nachdenken, was ich selbst tun kann. Das verlangt keinerlei Aktionismus oder Moraltrompeterei.
Ich kann mich darum scheren, welche Standards in meiner eigenen, in meiner unmittelbaren Umgebung Bestand haben und wie von da aus auf die Welt geblickt wird, auf andere Ethnien, auf andere kulturelle Felder. Da beginnt meine individuelle Handlungsfähigkeit.
Wir können hier bei uns klären, wie mit Heuchelei und Anmaßung zu verfahren wäre, welches Menschenbild vorherrschen soll und wie das in der Praxis gesichert werden kann. Wir können uns selbst an unseren geäußerten Ansprüchen messen und rausfinden, wie weit jene Übereinkünfte reichen, tragfähig sind, wuf die wir uns geeinigt haben, um zu belegen, daß wir uns der Menschenwürde verpflichtet sehen.
Naja, das Motiv ist uralt und in unseren Mythen überliefert: der Splitter im Augen anderer, der Balken im eigenen Auge… Dann wäre da noch eine Frage: Erwächst eine Verpflichtung daraus, wenn man in einem Land vom Glück derart begünstigt ist?
+) Einige Glossen zu Afghanistan
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