Wiener Studie
Große Mehrheit an Geflüchteten wünscht sich Wahlrecht
Wie steht es um das politische Verhalten von geflüchteten Menschen in Wien? Dem ist eine Studie des Vereins "Fremde werden Freunde" und Universität Wien nachgegangen. Die Ergebnisse sind überraschend.
WIEN. "Menschen mit Fluchtgeschichte sind keine homogene Gruppe" – das mag zwar banal klingen, ist aber eine der wesentlichen Ergebnisse einer neuen Studie zum politischen Verhalten von geflüchteten Menschen in Wien. Durchgeführt wurde das Forschungsprojekt "Inclusive Districts of Democracy“ von "Fremde werden Freunde", einer Initiative zur gesellschaftlichen Inklusion, und der Universität Wien. Befragt wurden 436 Personen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Herkunftsländern, die seit 2014 in Österreich angekommen sind. Die Ergebnisse wurden am Dienstag, 9. April, am Alsergrund vorgestellt.
Einen Einfluss hat die Vielfältigkeit der Menschen mit Fluchtgeschichte in Wien in vielerlei Hinsicht. So unterscheidet sich etwa das politische Engagement im jeweiligen Herkunftsland sowie in Wien bzw. Österreich. "Diese Vielfalt zeigt sich auch in ihrem Informationsverhalten über Politik und Österreich", erläutert die Studienautoren Kathrin Braun und Tobias Spöri.
Es zeigt sich, dass sich die Befragten auf verschiedene Weise politisch engagieren, etwa durch ehrenamtliche Arbeit, unkonventionelle Beteiligungsformen oder Teilen politischer Inhalte online. Interesse besteht an einer Vielzahl an Themen, wobei der Wunsch nach mehr politischer Mitbestimmung groß ist.
Staatsbürgerschaft hat positiven Einfluss
"Ein Großteil der Menschen, die seit 2014 aus Drittstaaten nach Wien gekommen sind – rund 14.000 Personen – haben Fluchterfahrung", erläutern die Autoren. Die meisten seien aus wenig demokratischen Staaten geflohen, weshalb die Teilnahme an demokratischen Prozessen und die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung an Politik und Gesellschaft nicht selbstverständlich seien.
Laut der Studie finden es nur 20 Prozent der Befragten „leicht“ oder „eher leicht“, am politischen Geschehen in Österreich teilzuhaben. Hingegen fällt dies 38 Prozent „schwer“ oder „sehr schwer“, die restlichen 43 Prozent können dies erst gar nicht einschätzen. "Viele Menschen mit Fluchtgeschichte beteiligen sich jetzt schon in Wien, auch auf Bezirksebene, vor allem ehrenamtlich und in der Nachbarschaftshilfe", erläutert Braun. Die große Mehrheit würde sich auch gern an Wahlen beteiligen.
Eine Rolle hinsichtlich der politischen und gesellschaftlichen Integration ist die Aussicht auf die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Möglichkeit darauf bzw. ihre Erlangung würden sich positiv auf das politische Engagement auswirken. „Staatsbürgerschaft gibt einem erst das Gefühl, richtig dazuzugehören“, stellt der Betroffene Majd Madani fest. Allerdings betonen Braun und Spöri: "Der Weg zur Staatsbürgerschaft ist teuer und langwierig und das Wahlrecht ist deshalb für viele in weiter Ferne."
Wenig Vertrauen in Bezirksvorstehung
Das Vertrauen in demokratische Institutionen ist insbesondere bei Neuankömmlingen hoch. Allerdings nimmt dieses mit der Zeit ab und gleicht sich der Gesamtbevölkerung an. Das größte Vertrauen haben Menschen mit Fluchtgeschichte in die Polizei (64 Prozent) sowie Gerichten und staatlichen Behörden (jeweils 56 Prozent). Dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vertraut ebenfalls noch eine Mehrheit von 54 Prozent. Schlechter sieht es hingegen bei der Bezirksvorstehung aus, der nur 37 Prozent der Befragten vertrauen. Das kann aber auch daran liegen, dass nur 26 Prozent wissen, welche Person dem jeweiligen Bezirk vorsteht.
„Durch die Studie lassen sich viele, teils politisch motivierte, Vorurteile widerlegen. Menschen mit Fluchtgeschichte identifizieren sich beispielsweise stärker mit Wien als mit ihrem Herkunftsland", stellt Spöri abschließend fest. Basierend auf den Studienergebnissen gibt es laut den Autoren Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen. So sollte die Politik den Prozess der Staatsbürgerschaftsvergabe vereinfachen und bürokratische Hürden reduzieren. Dabei gelte es auch, das Wahlrecht inklusiver zu gestalten, auch wenn dies auf Bundesebene entschieden werden müsste.
Information und Dialog nötig
Betont wird auch, dass Geflüchtete zu Beginn ihres Aufenthalts nicht überfordert werden sollten. Denn würde sich das Interesse an der Politik und die Beteiligung erst mit der Zeit entwickeln. Laut Braun und Spöri ist es wichtig, dass Politik und Zivilgesellschaft bereits zu Beginn des Aufenthalts auf Geflüchtete zugehen – etwa durch Informations- und Dialogangebote.
"Um politische Teilhabe zu fördern, sollten passende Sprachkurse und politische Bildungsangebote angeboten werden", stellen die Forscher fest. Diese gelte es von Personen mit Fluchterfahrung abzuhalten, um das Verständnis für das politische System und die Beteiligungsmöglichkeiten zu vertiefen. Dies würde für eine Stärkung der Gruppe sorgen, sich in Zukunft aktiv an politischen Prozessen in Wien zu beteiligen.
Der Verein "Fremde werden Freunde" ist am Alsergrund ansässig, von wo er sich für die gesellschaftliche Inklusion in Wien einsetzt. Die ganze Studie gibt es direkt hier online nachzulesen.
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