Stefan B. sieht in die Vergänglichkeit

Urbexer Stefan Baumann an einem seiner geheimen "lost places" – verlorenen Plätze. | Foto: Julia Brandt
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  • Urbexer Stefan Baumann an einem seiner geheimen "lost places" – verlorenen Plätze.
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Stefan Baumann, ein gebürtiger Stanzer, der jetzt in Wien lebt, ist ein sogenannter "Urbexer". Der Begriff kommt von Urban Exploration und beschreibt die private Erforschung von Einrichtungen des städtischen Raums und verlassener Plätze wie alter Industrieruinen, aufgelassene Hotels aber auch Kanalisationen, Katakomben, Dächern oder unzugängliche Räumlichkeiten ungenutzter Einrichtungen.

Wie sind Sie eigentlich zum Fotografieren im allgemeinen gekommen?


STEFAN BAUMANN:
2011 habe ich mir meine erste Kamera gekauft und mich damit zuerst auf Natur- und Portraitfotografie fokussiert. Mit befreundeten Fotografen aus der Umgebung besuchte ich ein verlassenes Wohnhaus in der Nähe von Bruck an der Mur und entdeckte sofort die Faszination dieser Orte für mich.
Die Hinterlassenschaften der ehemaligen Bewohner, die in Mitleidenschaft gezogene Bausubstanz, die Veränderungen die die Natur an den Orten vornimmt wenn man sie uneingeschränkt wachsen lässt, ließen mich Motive ohne Ende finden. Aber auch der Reiz des Überschreiten von Grenzen, das „eigentlich nicht hier sein-dürfen“, die geforderte Vorsicht beim Besuchen dieser Lost Places zogen mich im allerersten Moment sofort in ihren Bann.

Wie wird man nun zum Urbexer?
Zum Urbexer werden ist schwer. Urban Exploring ist nicht nur ein Hobby, vielmehr ist es eine Leidenschaft, welche sowohl den (physischen) Spieltrieb wie auch das Interesse an historischen Inhalten vereint. Das Interesse an historischen Begebenheiten, an verloren geglaubtem Wissen und vergessenen Orten macht einen Urbexer aus. Ein Urbexer verbringt viele Tage und Stunden mit der Recherche bis ein Ort gefunden und besucht werden kann. (Stadt-) Chroniken, Zeitungsartikel, Fachzeitschriften und -Magazine, Foren unterschiedlichster Art. Das sind die Werkzeuge der städtischen ErforscherInnen.

Was macht nun den Reiz an dieser „Urban Exploration“ aus?
Meine Aufnahmen entstehen zu größten Teilen in Bereichen die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, das Betreten dieser ist zudem meist verboten und mit Sanktionen belegt. Dabei ist hervorzuheben, dass ich mir zu keiner Zeit in irgendeiner Art gewaltsam Zutritt verschaffe, also keinen Einbruch verübe. Meistens ist der Zugang zur Location ein offenes Fenster oder eine offene Türe. Gelegentlich sind die Anforderungen etwas höher, besonders wenn Stacheldraht oder Nato-Draht zum Einsatz kommt oder bereits am Grundstücksrand besonders hohe Zäune oder Tore überwunden werden müssen. Die unbeobachtete Überwindung dieser ersten Barriere kann, besonders in mitten von bewohnten Gebiet, die erste Herausforderung darstellen. Ein weiteres Szenario sind zu erklimmende Regenrinnen um Beispielsweise Fenster im ersten oder zweiten Stock zu erreichen oder der Einsatz von Kameraüberwachung, Bewegungsdetektoren oder Wachschutz, sowohl ziviler wie auch militärischer Natur.

Es steht für mich zwar immer das Motiv im Vordergrund, mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad steigert sich allerdings auch meine Motivation diese Location zu besuchen.

Wie legal ist dieses Erforschen verlassener Gebäude? Bzw. gibt es einen Ehrenkodex für Urbexer?
Urban Explorer verhalten sich immer gemäß dem Verhaltenskodex "Hinterlasse nichts als Fußabdrücke, nimm nichts mit als Bilder". Dies bedeutet, dass nichts verändert oder zerstört wird um sich Zugang zu verschaffen, einbrechen gibts nicht. Man versucht natürlich immer möglichst viel über das Objekt in Erfahrung zu bringen und wenn man mögliche Besitzer/Erben aufstöbert, versucht man natürlich mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Leider gelingt das nur in den seltensten Fällen. Leider kommt es immer wieder vor, dass Orte mutwillig zerstört oder ausgeräumt werden. Ganz gleich ob es "nur" die Dorfjugend ist die ihren Frust an der Einrichtung auslässt, ein Sprüher seine Malereien hinterlässt oder professionelle Kupferbanden das Gebäude illegal systematisch auseinander nehmen, sie alle sind der Grund dafür, dass wir Urban Explorer keinerlei Informationen über Orte preisgeben. Wir versuchen diese Orte möglichst lange zu schützen.

Was war bislang Ihr größter Fisch in der Ruinen-Fotografie?
Ich habe bislang mehrere Orte besucht die mir besonders am Herzen gelegen sind, einer davon war eine stillgelegte Mine in England. Jahrzehntelang haben die Anwohner der Ortschaften im Umkreis der Mine klammheimlich ihre ausrangierten Auto dort verschwinden lassen. Sowohl die monatelangen Recherche- und Vorbereitungsarbeiten, wie auch das Freiklettern an der klitschnassen Schieferwand in der stockdunklen Mine waren besonders große Herausforderungen. Aber das Gefühl nach all den Strapazen und Gefahren vor Ort zu stehen und diesen gewaltigen Anblick genießen zu können war einfach unbeschreiblich. Aber auch das eine oder andere verlassene Schloss in Frankreich oder Italien könnte ich als Highlights meiner Fotorouten bezeichnen.

Was möchten Sie unbedingt noch fotografieren?
Ich habe eigentlich keine großartig lange Liste an "Must Haves" die ich noch fotografieren möchte. Meine unerschütterliche Liebe zum mediterranen Verfall in Italien wird mir beispielsweise immer erhalten bleiben und von daher werde ich in diesem Belang wohl niemals wirklich fertig werden können. Es sind weniger einzelne Locations die mir bei dieser Frage einfallen sondern eher ganze Gebiete oder Kontinente. Der Fernöstliche Raum zum Beispiel wäre ein lang gehegter Traum von mir, ebenso wie einmal auf eine ausgedehnte Fototour durch die USA zu gehen. Auf solchen Reisen würden mir dann auch ein paar Wunschorte einfallen die ich gerne besuchen würde, nichtsdestotrotz sind es eher die Region und andere Faktoren wie die vorhandene Natur oder ländertypische Eigenheiten in der Architektur, die mich eine Tour planen lassen.

Gibt es auch im Mürztal bzw. in unserer Umgebung interessante Objekte für einen Urbexer?

Ja natürlich, gleich am Beginn meiner "Karriere" habe ich die Mur/Mürz- Furche ausgedehnt unter die Lupe genommen und bin auch fündig geworden. Verlassene Objekte findet man nahezu überall, man muss nur ein wenig genauer hinschauen und sich für seine Umgebung deren Geschichte interessieren.

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