Wir sind gekommen, um in Frieden zu leben

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Seit einem Jahr bin ich für die AsylwerberInnen in Wegscheid als Deutschlehrerin bzw. Deutsch "Vermittlerin" tätig. Die Entscheidung mit zukünftigen ÖsterreicherInnen zu arbeiten und ihnen Deutsch beizubringen, war die beste seit Jahren. Die Asylsuchenden sind mit großen Erwartungen hierher geflüchtet, zudem sind sie sehr wissensbegierig. Ich war sehr erstaunt über die Berufe, die sie in ihrem Herkunftsland ausübten. Ich bringe aus Syrien Hochbau Ingenieuren, UNO Mitarbeitern, IT Technikern und Rechtsanwälten die deutsche Sprache bei. Aus dem Irak unterrichte ich einen Zahnarzt. Aus Afghanistan einen Boutique Besitzer, der mit Ehefrau und zwei Kindern hier her geflüchtet ist. Auch aus Afghanistan einen IT Techniker, der für eine amerikanische Telefongesellschaft in Kabul als Ingenieur gearbeitet hat. Aber auch einfachere Berufe wie Landschaftspfleger oder Bauer sind bei mir im Unterricht. Aus Kasachstan ist ein Familienvater mit seinen zwei Kindern hier. Sein Beruf ist KFZ Techniker. Aus der Ukraine ein Tonmeister, der im Eventmanagement tätig war. Und so weiter.

Die Schicksale und Fluchtgründe meiner SchülerInnen sind sehr verschieden. Ein junger Bursche wurde von seinem Vater unter Mordandrohung aus dem Iran verjagt. Der Junge ist zum Christentum konvertiert. Er ist monatelang zu Fuß von der Türkei aus über den Balkan nach Österreich gegangen.
Die Schwester der jungen Afghanin wurde von Taliban aus dem Garten entführt. Sie war in heiratsfähigem Alter.
Ein anderer Afghane wurde von seiner Mutter in den Westen geschickt. Sie hatte Angst um ihn, weil er ebenso von den Taliban bedroht wurde. Die Mutter wollte wenigstens einen Sohn lebend wissen.
Der Zahnarzt aus Bagdad ... seine Familie ist eine angesehene Arztfamilie in Bagdad. Sein Vater hat ein Röntgen Institut. Allerdings ist der Nachname der Familie der Grund für Verfolgung, Entführung und Mord. Sein Onkel und Cousin sind bereits nicht mehr auf der Welt. Erschossen auf offener Strasse.
Ein anderer Afghane ist auf eine Mine getreten. 24 Jahre und ein lahmes Bein. Aufgegeben hat er aber nicht. Er ist einer der erfolgreichsten Deutsch Schüler in meinem Unterricht.
Ein anderer Syrer ist Flugzeugtechniker. Fluchtgrund? Er hat für die Amerikaner gearbeitet und wird seitdem von Regierungstruppen verfolgt.
Ein Staatenloser Familienvater. Staatenlos, weil er Palästinenser ist und in Syrien im Flüchtlingslager verfolgt worden ist.
Der Ukrainische Tontechniker ist von den russischen Rebellen zwei mal gefoltert und danach wiederholt erpresst worden.
Vier Somalier, die mit einem Fischerboot über das Mittelmeer gekommen sind und letztendlich in Italien gestrandet sind.

Das ist nur eine kleine Auswahl von Schicksalen der Asylwerber bzw. Asylwerberinnen. Aber jede Geschichte spricht für sich. Interessanterweise haben meine SchülerInnen ihre Traumata mehr oder weniger bewältigt. Sie werden erst traurig und sehr nachdenklich, wenn sie Neuigkeiten von ihren Angehörigen aus den Herkunftsländern bekommen. Glücklicherweise können sie mit ihren Handys Kontakt halten, wenn das Internet im Heim funktioniert.
So ist die unsägliche Wartezeit auf ein Interview bei der Bundes Asylbehörde für einen Asyl Bescheid eine harte Probe für jede Person. Manchmal dauert es ein paar Wochen, manchmal aber Monate oder ein Jahr.
Der Zahnarzt bangt jeden Tag um seine Eltern und Verwandten. Jede Minute können Truppen in ihr Haus einbrechen und sie entführen oder töten. Ich bewundere seine Haltung sehr, denn er war derjenige der die Idee hatte zu einem Grillfest mit Tanz und guter Laune.

Wegscheid ist ein abgelegener Ort im Mariazellerland. Die BewohnerInnen des Asylheimes müssen mit dem Bus über eine Stunde nach Kapfenberg zum Einkaufen. Nach Graz brauchen sie über zwei Stunden. Dazu sind nur drei Tickets für den Bus da. Für 39 Menschen. Die Einteilung der Bustickets hat der Hausleiter übrig. Es gibt immer wieder Diskussionen über die Vergabe, denn nicht nur einkaufen ist wichtig. Auch Arztbesuche oder der Weg zur Behörde müssen erledigt werden. Aber im Großen und Ganzen funktioniert durch die Disziplin der BewohnerInnen auch diese schwierige Sache. So auch der Einkauf für das Fest. Der Zahnarzt hat mit seinen Freunden den Bus nach Kapfenberg genommen und das Henderlfleisch gekauft ... einige Kilos.
Dann haben alle mit der Zubereitung mitgeholfen. Das Feuer wurde angezündet, Kohle in die Griller gefüllt und das Grillen begann. Während dessen hat die Kasachische Truppe die Musik beigesteuert. Sie legten Hip Hop auf, Rap und Techno. Aber dann, so um die Halbgarzeit des Fleisches, kamen arabische, kurdische und andere folkloristische Musikstücke. Das hat dann die Leute nicht mehr gehalten. Alle haben getanzt. Zu den Liedern ihrer Herkunftsländer und denen anderer Kulturen. Sogar mich hat der Rythmus gepackt. So eine Freude habe ich schon lange nicht erlebt, obwohl da eine gewisse dunkle Wolke auf dem blauen Himmer schwebte, die natürlich an diesem wunderbaren Tag nicht sichtbar war. Bei allem Lachen und der Freude zusammen zu feiern, war die Unsicherheit da: dürfen wir uns freuen? Dürfen wir denn so ausgelassen feiern?

Das wäre doch zu bejahen. Der Zahnarzt hat nämlich nach diesem erfolgreichen Fest vor, die Bewohner und InteressensvertreterInnen des Mariazellerlandes für die nächste Feier einzuladen. Er und seine Mitbewohner wollen Integration (er)leben. Ich hoffe es sind viele beim zukünftigen Fest dabei ...

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