Helga Kromp-Kolb
Der Natur ihren eigenen Rechtsstatus geben!

Die renommierte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb
 | Foto: Mitja Kobal – Greenpeace
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Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist von einem Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf 2,5 Hektar am Tag die Rede, aber gesetzliche Vorgaben fehlen weiterhin. Allein Niederösterreich verbraucht 2,5 Hektar Boden pro Tag, Oberösterreich 2,2 Hektar täglich. Das wären eigentlich die Vorgaben für ganz Österreich. Die RegionalMedien Austria sprachen mit der Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb über die heimischen Böden, und was zu tun ist, um sie zu schützen.

ÖSTERREICH. Der Boden gilt als Ökosystem, in dem viele Lebewesen leben, die wir dringend für den Erhalt unserer Natur, für das gesamte Ökosystem, brauchen.

RegionalMedien Austria: Was kann passieren, wenn die Bodenversiegelung so weit fortgeschritten ist, dass das Ökosystem kippt?
Helga Kromp-Kolb: Naja, wir leben vom Ökosystem, direkt oder indirekt. Unsere gesamte Nahrung kommt aus dem Ökosystem. Wir sind darauf angewiesen, dass dieses funktioniert, um uns Nahrung zur Verfügung zu stellen. Es kann auf verschiedene Weisen kippen, zum Beispiel, wenn die Bestäubung nicht mehr funktioniert - wir reden da von Insekten. Es kann auch dadurch kippen, wenn es zu heiß oder zu trocken wird. Es kippt immer ein Teil dieses Systems zuerst. Es kann dann zu Dominoeffekten kommen – zeitlich oder räumlich. Entfernt man in diesen sehr ineinander verflochtenen und voneinander abhängigen Systemen einen oder mehrere Bausteine, dann kann es passieren, dass das System als Ganzes kollabiert.

Etwa 11,3 Hektar an Fläche wird in Österreich täglich verbraucht, rund die Hälfte davon auch versiegelt. Sie unterstützen die NGO Allrise mit ihrer Staatshaftungsklage gegen die Republik sowie gegen NÖ und OÖ. Was erwarten Sie von dieser Klage?
Ich bin keine Juristin, kann also nicht sagen, ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat, oder nicht. Was ich mir davon erwarte, ist eine Diskussion unter den Rechtsgelehrten, an den Universitäten, aber auch am Obersten Gerichtshof, ob unsere Gesetze darauf ausgerichtet sind, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Wir haben ein Rechtssystem, das sehr stark darauf ausgelegt ist, die persönliche Integrität und das persönliche Eigentum zu schützen, während das Gemeinwohl schwer einklagbar ist. Das muss uns bewusst werden. Das ist mit ein Grund warum ich auch Klimaklagen unterstützt habe und weiter unterstütze. Ich denke, unser Rechtssystem, unser Rechtswesen, muss sich weiterentwickeln. Denn neue Probleme haben sich aufgetan, deren Lösungen derzeit aber nicht einklagbar geschützt sind. Vielleicht sind es nur Lücken, die geschlossen, vielleicht aber auch Grundsatzfragen, die ins Rechtssystem aufgenommen werden müssen.

Zum Beispiel?
Auf internationaler Ebene gibt es jetzt eine breit geführte Diskussion, ob nicht die Natur als Rechtssubjekt in die Verfassung aufgenommen werden müsste, wie es in manchen südamerikanischen Ländern passiert. Spanien beispielsweise hat einer Lagune Subjektstatus eingeräumt. Diese Lagune kann ihr Recht intakt zu existieren vor Gericht mit einem rechtlichen Vertreter geltend machen. Es muss also nicht eine Person auftreten, die zeigt, dass sie geschädigt wird, weil die Lagune verschmutzt ist. Das ist ein wesentlicher Schritt. Das könnte die Richtung nach vorne sein. Solche Diskussionen gehören geführt, davon spüre ich viel zu wenig in Österreich. In Zukunft sollten solche Klima-, Umwelt-, Bodenprozesse geradlinig geführt werden können: Das bedeutet der Natur Rechte geben und Schutzrechte für künftige Generationen schaffen, die dann einklagbar sind und deren Einhaltung erzwungen werden kann.

Wie kann man sich das vorstellen? Die gesamte Natur Österreichs oder bestimmte Gebiete?
Alles ist möglich. Das können zb. einzelne Flüsse sein, wie es gerade beim Ganges in Indien diskutiert wurde, oder Naturschutzgebiete, oder die Natur insgesamt in Österreich. Ich denke nicht, dass es sofort einen Gesetzesvorschlag geben muss, sondern erst einmal eine Diskussion darüber. Man muss künftige Generationen schützen. Wir haben ja ein Recht auf Nachhaltigkeit in der Verfassung stehen, das spiegelt sich aber nicht in anderen Gesetzesmaterien wieder, etwa solchen für Flughäfen oder Bergbau. Da muss viel nachgeschärft werden. Vor einigen Jahren hat eine Regierung begonnen, Gesetze, die nicht mehr sinnvoll sind, über Bord zu werfen. Genauso müsste man systematisch ergänzende Rechte auf den Weg bringen.

Sie haben heuer in St. Pölten gegen Straßenbau protestiert. Straßen haben eine zweifach negative Wirkung, sie sorgen für Bodenversiegelung und befördern CO2-Emissionen von Fahrzeugen. Wie realistisch ist es, dass Ö alle Straßenbauprojekte einstellt und stattdessen in Bahnausbau investiert?
Man muss sich für zukunftsfähige Entwicklungen einsetzen, und eine verantwortungsbewußte, zukunftsorientierte Politik wird solche Entwicklungen vorantreiben. Wir müssen längerfristig denken: Bis 2030 müssen wir ja die Emissionen halbiert haben. Wir haben uns verbindlich dazu verpflichtet. Wir können nicht unsere Treibhausgas-Emissionen durch neue Straßenbauten in die Höhe treiben und gleichzeitig sagen, dass wir sie auf die Hälfte reduzieren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist klar, dass künftig nicht jeder statt mit seinem Benziner oder Dieselauto, eben mit dem Elektroauto herumfährt. Viel mehr muss die Raumplanung in unsere Mobilitätsüberlegungen intergriert werden, sodass man künftig viele Strecken vermeiden, oder diese zu Fuß, mit Rad oder öffentlich zurücklegen kann. Und wenn man für bestimmte Zwecke ein Individualfahrzeug braucht, sollte es ein ausgeborgtes sein, welches mehrere Personen gemeinsam verwenden, etwa Familien, Ortschaften etc. Und diese Gemeinschaftsfahrzeuge müssen dann elektrisch oder mit erneuerbaren Energien betrieben sein. Da wir dann mit weit weniger als einem Drittel der fahrzeige auskommen, geht auch der Ressourcenverbrauch in der Produktion deutlich zurück.

In Brandenburg gibt es ein Projekt, bei dem die lange getrennten Disziplinen Forst, Ackerbau und Viehzucht auf einer Fläche zusammengebracht werden, also Obstbäume neben Getreide, Kräutern und Weidetieren, um die vielfältigen, positiven Wechselbeziehungen zu nutzen. Und neue Ökosysteme entstehen zu lassen, in denen Artenvielfalt gedeiht. Machen unsere Bauern ihre Arbeit falsch?
Die Bauern wurden in eine Richtung gedrängt, die vorgegeben wurde durch das Bemühen, wirtschaftlichen Profit zu maximieren, unabhängig von der Langfristigkeit dieser Ansätze. Bauern reagieren auf das, was ihnen vom Markt aufgezwungen wird. Ich denke, das ist eines der Probleme, dass der Markt Gemeinschaftsgüter, wie etwa Biodiversität oder Klima, nicht schützt. Der Markt ist so beschaffen, dass es um die kurzfristige Optimierung für den Einzelnen geht. Die Optimierung für den Einzelnen ist aber nicht identisch mit dem Optimalen für die Gemeinschaft. Wenn jeder Bauer versucht, möglichst viele Tiere auf einer Gemeinschaftsweide zu halten, wird die Weide übernutzt und sie geht allen verloren. Die gesamte Landwirtschaft und die Ernährung sind ein großer Schlüssel für eine nachhaltige und zukunftsfähige Gesellschaft. Viele Bauern leiden darunter, wie es jetzt läuft. Sie müssen mitreden können, wie sich die Landwirtschaft entwickeln soll. In der Vergangenheit war die Landwirtschaft ja wesentlich nachhaltiger.

Wie kann man die für den Boden so dringend benötigten Kleinstlebewesen, wie Pilze und Bakterien, aber auch Regenwürmer, effektiv schützen?
Indem man ihren Lebensraum erhält. Indem man den Boden nicht mit Giften verseucht, mit denen diese Lebewesen nicht umgehen können. Indem man den Boden nicht oben versiegelt, sodass unten die Luft und das Wasser fehlen, und der Lebensraum einfach verloren geht. Dasselbe gilt für fliegende Insekten, etwa Bienen – der Großteil der Bestäubung passiert ja nicht durch die Zuchtbienen, sondern durch die Wildbienen. Wenn wir ihnen unmöglich machen in Totholz oder Lehm etc. zu überwintern und ihren Zyklus durchlaufen zu können, dürfen wir uns nicht wundern, dass ihre Anzahl abnimmt. Wir müssen ihren Lebensraum erhalten und wir müssen unseren Anspruch auf die Nutzung von Lebensräumen zurücknehmen.

Ist zubetonierte Fläche für immer verlorene Fläche?
Nicht für immer, aber für sehr lange Zeit. Natürlich kann man die Versiegelung – Auflage und Unterbau - wegbaggern. Aber bis sich dort ein gesunder, lebendiger Boden entwickelt, das dauert. Es wird relativ rasch wieder erste Pflanzen geben – man sieht das ja hin und wieder, dass sich eine Pflanze sogar durch den Asphalt durchkämpft – aber es wird lange dauern, bis ein gesundes, vielfältiges Ökosystem entsteht, das wir für eine gesunde, zukunftsfähige Entwicklung brauchen. Wie man das befördern kann, muss man an konkreten Standorten überlegen. Künftig sollten wir bestehende Infrastruktur jedenfalls möglichst gut nutzen, statt neue Flächen zu versiegeln. Wenn Nutzung nicht mehr möglich ist, entfernen, damit man dieser Fläche die Möglichkeit gibt, zu genesen. Renaturierung . nicht nur versiegelter Flächen - ist eine wichtige Maßnahme, die wir mitberücksichtigen, mitbetreiben und mitfinanzieren müssen für eine nachhaltige Zukunft.

Was wünschen Sie sich von der Regierung, damit unser Boden nachhaltig gesund wird?
Erstens, dass kein weiterer Boden zerstört wird. Zweitens brauchen wir dringend eine Bodenstrategie. Diese ist zwar in Arbeit, aber sie muss rascher kommen. Die Strategie muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und stark von Nachhaltigkeitsinteressen, nicht vorrangig von wirtschaftlichen Interessen getrieben sein. Man muss sich genau überlegen: Was braucht die Natur jetzt? Wie kann man dieses Ziel erreichen und trotzdem die Flächen wirtschaftlich nutzen? Es ist wichtig, dass ein gemeinsamer Pfad entsteht, der Teil einer gesamten Nachhaltigkeitsstrategie ist, die mit Klima- und Diversitätsfragen zusammenpasst. Diese Themen sind extrem vernetzt, man darf sie nicht einzeln betrachten.

Zum Thema:

WWF fordert bundesweites Bodenschutz-Gesetz
Diskussion zum Thema: "Bauen wir uns kaputt?"
Unser Lebensraum ist eine enden wollende Ressource

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