Weitere Verfahren laufen
Freispruch für Sebastian Kurz nur ein Teilsieg

- Ex-Kanzler Sebastian Kurz wurde vom Oberlandesgericht Wien vom Vorwurf der Falschaussage am Montag freigesprochen. Die Ermittlungen in der Inseratenaffäre gegen ihn laufen jedoch weiter.
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Ex-Kanzler Sebastian Kurz wurde vom Oberlandesgericht Wien vom Vorwurf der Falschaussage am Montag freigesprochen. Die Ermittlungen in der Inseratenaffäre gegen ihn laufen jedoch weiter. Dabei steht der Verdacht im Raum, dass mithilfe öffentlicher Gelder parteipolitisch motivierte Umfragen finanziert und in bestimmten Medien platziert wurden. Nach seinem Freispruch kritisierte Kurz das Vorgehen von Medien und Justiz in einer Pressekonferenz.
ÖSTERREICH. Kurzes Aufatmen: Der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde am Montag vom Oberlandesgericht Wien vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen. Damit hob die zweite Instanz ein früheres Urteil des Landesgerichts Wien auf, das Kurz noch für schuldig befunden hatte. Der Freispruch löste einiges an Reaktionen aus – insbesondere in Hinblick auf die Bewertung von Aussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.
Strafrechtsprofessor Robert Kert erklärte in der ZIB 2 am Montag, dass das abweichende Urteil des Oberlandesgerichts keine Kritik am erstinstanzlichen Urteil darstelle: "Es ist eine andere rechtliche Beurteilung, aber das gehört zu unserem Rechtsstaat." Auch die ehemalige NEOS-Abgeordnete und Juristin Irmgard Griss stellte im Ö1-Morgenjournal klar: "Gott sei Dank gibt es ein Rechtsmittelverfahren." Die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Gerichte – einmal auf den Gesamteindruck, einmal auf eine einzelne Aussage gestützt – sei möglich, eine Falschaussage jedoch nur nach einer Aussage zu beurteilen sei jedoch "gewöhnungsbedürftig", so Griss.

- Der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde am Montag vom Oberlandesgericht Wien vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen.
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Unterschiedliche Urteile in derselben Causa
Im Gegensatz zum freigesprochenen Ex-Kanzler wurde Kurz’ enger Vertrauter Bernhard Bonelli rechtskräftig zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt – ebenfalls wegen der Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss. Für Griss ist diese Differenz nachvollziehbar: "Es ist durchaus möglich, dass man zur Ansicht kommt, dass Kurz die Wahrheit gesagt hat, Bonelli aber nicht." Bei dem Verfahren ging es nicht darum, ob Kurz mehr beteiligt war, als er behauptet hatte, sondern nur um die Aussage im U-Ausschuss, so Griss weiter.
Kritik an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die durch den Freispruch von Kurz "blamiert" worden wäre, weist Griss im Ö1-Interview entschieden zurück. Die Staatsanwaltschaft müsse Anklage erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheine als ein Freispruch. "Wenn das so wäre, dass mit der Anklage schon endgültig feststünde, wie ein Fall ausgehen muss, könnten wir uns das Gerichtsverfahren sparen."

- Auch die ehemalige NEOS-Abgeordnete Irmgard Griss stellte im Ö1-Morgenjournal klar: "Gott sei Dank gibt es ein Rechtsmittelverfahren."
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Folgen für U-Ausschüsse
Ob der Freispruch die Bewertung von Aussagen vor U-Ausschüssen grundlegend ändern wird, wie Kert in der ZIB 2 angedeutet hatte, lässt Griss offen. Für die ehemalige Abgeordnete liegt die notwendige Reform eher bei der Befragungspraxis: Die strikte Zeitaufteilung im Ausschuss erschwere es, tiefgreifende Antworten zu erhalten. "Das ist unvereinbar mit dem Zweck eines U-Ausschusses", so Griss, die eine flexiblere Handhabung vorschlägt, um "herauszufinden, was wirklich geschehen ist."
Weitere Verfahren gegen Kurz laufen
Der juristische Weg für Sebastian Kurz ist mit dem Freispruch im Falschaussage-Prozess allerdings nicht zu Ende: Bei der WKStA laufen weiterhin Ermittlungen in der sogenannten Inseratenaffäre. Dabei geht es um den Verdacht, dass Umfragen mit Steuergeld aus ÖVP-geführten Ministerien bezahlt und strategisch in bestimmten Medien platziert worden seien, um der ÖVP politischen Vorteil zu verschaffen.
Diese Vorwürfe stützen sich unter anderem auf Chatnachrichten von Thomas Schmid, ehemals Generalsekretär im Finanzministerium, der inzwischen Kronzeugenstatus besitzt. Dieser sagte aus, dass er die Grundidee des sogenannten "Beinschab-Tools" erstmals mit Kurz in seiner Zeit als Außenminister besprochen habe.
Die Ermittlungen dazu sind noch im Gange. Derzeit laufen gerichtliche Sichtungsverfahren zu Unterlagen, die bei Medienhäusern beschlagnahmt wurden. Ein Sprecher der WKStA sagte gegenüber Ö1, dass bei einem Medienhaus das letzte Datenpaket, beim zweiten sei sogar ein Großteil der Daten noch ausständig - ein Ende der Ermittlungen in der Inseratenaffäre ist daher noch nicht absehbar. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Kritik von Kurz
Am Dienstag, am Tag nach seinem Freispruch, trat der Ex-Kanzler erneut vor die Medien, um sich zu erklären. Ohne "abzurechnen", aber mit deutlicher Kritik in Richtung der Justiz sprach er von einer "vierjährigen Verfolgung", die für ihn persönlich belastend gewesen sei. Viele zerbrächen an solchen Verfahren, Karrieren würden dadurch zerstört, egal ob an den Vorwürfen schließlich etwas dran sei oder nicht.

- Am Dienstag, am Tag nach seinem Freispruch, trat der Ex-Kanzler erneut vor die Medien, um sich zu erklären. Ohne "abzurechnen", aber mit deutlicher Kritik in Richtung der Justiz sprach er von einer "vierjährigen Verfolgung", die für ihn persönlich belastend gewesen sei.
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Seiner Meinung nach gibt es zwei systemische Probleme: eine politische Kultur, die sich zunehmend auf Skandale statt Inhalte fokussiere, sowie eine unverhältnismäßige Verfahrensführung. Ermittlungen würden zu oft aufgebläht und über Jahre geführt, was dem Rechtsstaat schade. "Nicht jede politische Anzeige sollte wie ein Heißluftballon aufgeblasen werden", erklärte der Ex-Kanzler in seinem Pressestatement. Man müsse sich auch den Folgen bewusst sein, stellte Kurz in den Raum: Bei künftigen U-Ausschüssen würden es sich die Beteiligten nach seinen Vermutungen wohl gut überlegen, ob sie überhaupt Aussagen, wenn ihnen das gleiche Schicksal droht.
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