Entscheid
VfGH hebt Verbot zur Sterbehilfe auf

- "Es ist verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten", entschied der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Freitag.
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Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat am Freitagnachmittag seine Entscheidung über den Antrag zur Aktiven Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) und Mitwirkung am Suizid verkündet. Der VfGH kippt, mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 , die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord. Strafbar bleibt hingegen Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB).
ÖSTERREICH. Der Verfassungsgerichtshof befand es am Freitag als verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Er begründete die Entscheidung aus dem Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung – der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, befand der VfGH.
Verstoß gegen Recht auf freie Selbstbestimmung
Das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung umfasse "das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen", hieß es in der Begründung. "Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren", hieß es. Das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten könne einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung darstellen. Der Suizidwillige habe das Recht auf eine selbstbestimmtes Sterben in Würde, verlas VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter den Entscheid der Verfassungsrichterinnen und Richter.
Aus grundrechtlicher Sicht mache es keinen Unterschied, ob der Patient im Rahmen seiner Behandlungshoheit oder der Patientenverfügung in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizident mit Hilfe eines Dritten in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will. "Entscheidend ist vielmehr in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen wird", heißt es vom VfGH.
Verleitung zum Suizid bleibt strafbar
Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten, bleibt hingegen strafbar. Ebenso die Tötung auf Verlangen. "Die Entscheidung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie, wie bereits ausgeführt, frei und unbeeinflusst getroffen wird", betont der VfGH in seiner Entscheidung. Der Verfassungsgerichtshof hatte auf Antrag mehrerer Betroffener, darunter zweier Schwerkranker, jene Bestimmung aufgehoben, die die Hilfeleistung zum Selbstmord unter Strafe stellt.
Die Aufhebung der Beihilfe zum Selbstmord tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Bis dahin habe der Gesetzgeber Zeit, Maßnahmen gegen Missbrauch zu treffen, "damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst", hieß es vom VfGH.
ÖVP und Grüne ablehnend bis zurückhaltend
ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zeigte sich in einer ersten Reaktion überrascht über den VfGH-Entscheid: "Mit dem Erkenntnis zur Sterbehilfe weicht der VfGH von seiner eigenen Rechtsprechung ab, wonach ein Verbot der aktiven Sterbehilfe im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt". Insbesondere der Schutz der Älteren und der Schutz des Rechtes auf Leben seien zentrale Grundwerte unserer Politik, betonte Die Ministerin. " Das Leben ist das höchste Gut und genießt aus gutem Grund verfassungsrechtlich höchsten Schutz. Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass niemand den Wert seines Lebens infrage stellen muss. Daher müssen wir nun prüfen, welche gesetzlichen Schutzmaßnahmen notwendig sind."
Die Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer betonte die Notwendigkeit einer Prüfung. "Die Folgen der Entscheidung des VfGH zum Thema Beihilfe zum Suizid bedürfen einer umfassenden Prüfung. Im Wissen darum, dass das Thema Sterbehilfe gerade auch angesichts Österreichs Geschichte besonders sensibel ist, braucht es aus grüner Sicht eine breite Einbindung von Expertinnen und Experten und der Zivilgesellschaft. Wesentlich wird jedenfalls der weitere Ausbau der Angebote im Bereich der Palliativversorgung und Hospizbetreuung sein", so Maurer.
Kirche warnt vor Lockerung des Verbots
Österreichs Bischöfe , darunter Bischofskonferenz-Vorsitzender Erzbischof Lackner und Kardinal Schönborn, hatten zuvor eindringlich vor einer Lockerung des geltenden Verbots gewarnt: "Das Leben ist wohl die kostbarste Gabe, die sich niemand selbst geben kann. Unser aller Anliegen muss es sein, kranke und sterbende Menschen medizinisch und seelsorglich zu begleiten", so Erzbischof Franz Lackner. Er wies alle Ansinnen einer Lockerung des Strafrechts bei "Tötung auf Verlangen" und "Beihilfe zum Suizid" einmal mehr strikt zurück. "Anfang und Ende des Lebens bedürfen der besonderen Achtsamkeit. Die Allgemeinheit steht hierin in großer Verantwortung", hielt Lackner gegenüber Kathpress fest. Und: "Wir dürfen die Menschen auf ihrem letzten, oft beschwerlichen Lebensweg nicht alleine lassen." Es brauche eine "Kultur der Fürsorge, des Mitleidens und der größtmöglichen Hilfsbereitschaft", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Und nochmals: "Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch dann nicht, wenn er sich selbst aufgegeben hat."
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