Umweltministerin Leonore Gewessler
"Wir kämpfen gegen Leerstand!"

"Ich arbeite intensiv am Klimaschutzgesetz, weil es eines der vielen Klimaschutzgesetze ist, die wir brauchen." Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Leonore Gewessler über Pläne 2024. | Foto: Roland Ferrigato
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  • "Ich arbeite intensiv am Klimaschutzgesetz, weil es eines der vielen Klimaschutzgesetze ist, die wir brauchen." Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Leonore Gewessler über Pläne 2024.
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Während im Landwirtschaftsministerium an einer Bodenschutzstrategie getüftelt wird, legt das Klimaschutzministerium einen Schwerpunkt auf Brachflächen, also leer stehende, alte Industriegebäude, die nicht mehr genützt werden, und prämiert Vorbild-Projekte aus ganz Österreich. Darüber, und über ihre erfolgreichen Umweltprojekte und Pläne für 2024 sprachen die RegionalMedien Austria mit der Ministerin.

ÖSTERREICH. Sie ist eine, die für ihre Überzeugung kämpft, sich in der "grünen" Materie gut auskennt, und trotz vieler Seitenhiebe immer Haltung bewahrt und ein Lächeln auf den Lippen hat: Ich treffe Leonore Gewessler (Grüne), zuständig für Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie an einem regnerischen Tag im hässlichsten Ministeriumsgebäude der Stadt am Anfang des Wiener Rings in ihrem Büro. In einem knallblauen Sakko kommt mir die Ministerin wie gewohnt gut gelaunt entgegen.

Frau Bundesministerin, die EU-Kommission will die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat um weitere zehn Jahre verlängern. Sie haben angekündigt, weiter dagegen zu kämpfen. Wie sind die Aussichten auf Erfolg? 
Leonore Gewessler: Glyphosat hat bereits zweimal auf EU-Ebene im zuständigen Ausschuss keine qualifizierte Mehrheit erhalten, weil es genügend Länder gibt, die dagegen sind. Wir dürfen die Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht ignorieren. Die Kommission will trotzdem vorpreschen und die Zulassung um zehn Jahre verlängern. In Österreich dafür zuständig ist das Landwirtschaftsministerium. Wir sind uns innerhalb der Koalition einig und werden weiter dafür kämpfen, dass der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit Priorität hat. 

Behörden weltweit, darunter die US-Umweltbehörde EPA, die Europäische Chemikalienagentur und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben das Herbizid als nicht krebserregend eingestuft. Wieso glauben Sie diesen nicht? 

Da geht es nicht um glauben oder nicht glauben, sondern um ein Abwägen der Risiken versus Anwendung. Wir wollen den Einsatz gefährlicher und riskanter Wirkstoffe bei Pestiziden in der ganzen Europäischen Union reduzieren. Wenn klar ist, dass ein großes Risiko für die Artenvielfalt besteht, dann muss man das auch ernst nehmen. 

Als Sie kürzlich bei der Jugendklimakonferenz LCOY (Local Conference of Youth Austria) eine Rede hielten, haben Aktivist:innen die Bühne gestürmt und gefordert, auf die Empfehlungen des Klimarats (also ein nach einem Volksbegehren per Zufall ausgewählter Ausschuss von Bürger:innen aus den Regionen, die der Bundesregierung im Vorjahr nach monatelangen Tagungen Empfehlungen gegeben haben, Anm.) zu hören. Was davon wurde von den Empfehlungen denn alles nicht umgesetzt? 
Der Klimarat war und ist ein großartiges Projekt, das im letzten Jahr gelaufen ist. 100 Personen aus unterschiedlichsten Lebenssituationen, also von Jugend bis Pensionist:innen, von Landwirtin bis Studierende, quer durch Österreich wurden zufällig ausgewählt, stellvertretend für die Vielfalt der Menschen in diesem Land. Sie haben sechs Wochenenden lang im Konsens Lösungen für den Klimaschutz entwickelt und haben diese an die Bundesregierung herangetragen. Ich nehme diese Vorschläge sehr ernst. Und ich versuche, wo es mir möglich ist, die Themen weiterzutreiben und umzusetzen. Wir haben zum Beispiel eine eigene Stelle und Budget für die Kreislaufwirtschaft erstellt – das war eine Forderung aus dem Klimarat. Auch die Forderung nach einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird vorangetrieben. Nicht alle Themen betreffen mein Ressort. Es ist aber wichtig, wenn auch der Klimarat an die Forderungen erinnert. 

Was wäre noch so ein Beispiel?

Eine Forderung des Klimarats war zum Beispiel ein Vernichtungsverbot für neue, aber unverkaufte Waren. Da setze ich mich auf EU-Ebene intensiv dafür ein, dass es EU-Recht wird, dass beispielsweise Gewand nicht vernichtet wird, wenn es über den Online-Handel bestellt und zurückschickt wurde, nur weil man vielleicht die falsche Größe bestellt hat. Für Unternehmen darf es nicht günstiger sein, es einfach zu zerstören, anstatt es wieder zu verkaufen oder weiterzugeben. Diese Praxis muss in ganz Europa ein Ende haben. 

Ihr Erneuerbaren Wärmegesetz ist nur ein Kompromiss geworden – keine Gas- und Ölheizungen mehr in Neubauten. Ursprünglich planten Sie ja den Ausstieg aus Gasheizungen bis 2040 für alle Heizungen mit fossilen Brennstoffen. Für das Umrüsten von Gasheizungen auf nachhaltige Heizsysteme gibt es einen Kostenersatz von bis zu 75 Prozent, für Bedürftige sogar von 100 Prozent. Wie lange wird dieses Angebot gelten? 
Das Ziel ist gleichgeblieben: Wir müssen raus aus den fossilen Heizungen, die unser Klima zerstören, und rein in die Erneuerbaren. Wir haben zu Öl, Kohle und Gas einfach viel bessere Alternativen – mit der Wärmepumpe, der Solarwärme, also mit der Sonnenkraft, oder mit Pellets und mit Heizungen mit Fernwärme. Uns muss klar sein: Ein nicht beschlossenes Gesetz, tauscht keine einzige Heizung. Darum haben wir uns für einen anderen Weg entschieden und schaffen den Heizungstausch auf zwei Säulen. Erstens: Klarheit im Neubau. Es wird in Österreich im Neubau keine Gas, -Öl- oder Kohleheizung mehr geben. Zweitens: Wir erhöhen die Förderungen massiv, so dass es für jeden und jede die logische Wahl wird, umzusteigen und die Heizung zu tauschen. Das ist jetzt im Budget für vier Jahre im Voraus abgesichert. Für 2024 stehen für den Heizungstausch und die Sanierung eine Milliarde Euro zur Verfügung. Das heißt, Heizungstausch und Sanierung zahlt sich jetzt aus wie nie zuvor – sowohl fürs Klima, als auch für die Geldbörse, weil fossile Energien uns sehr teuer kommen. 

Sie konnten das gratis Klimaticket für unter 18-Jährige durchsetzen. Der VCÖ ist für eine Mobiliätskarte mit inkludierter Leihmöglichkeit von Rädern und Autos, also eine Ausbaustufe des Klimatickets. Gute Idee? 
Das Klimaticket war und ist eine Revolution im öffentlichen Verkehr und ich freue mich sehr, wie gut es angenommen wird. Wir haben mittlerweile mit 260.000 Nutzerinnen mehr als doppelt so viele als erwartet. Zählt man die regionalen Klimatickets hinzu, fährt bereits jede:r siebente Österreicher:in mit einem Klimaticket. Fürs nächste Budget konnten wir einen weiteren Schwerpunkt verankern: Alle 18-Jährigen bekommen ab 2024 zum Geburtstag ein Ticket für ein Jahr gratis. Warum gerade zum 18. Geburtstag? Wenn die Schülerinnen- und Lehrlingsfreifahrt endet und sich das Leben verändert, dann entscheidet sich für viele, wie sie in Zukunft mobil sind. Genau da wollen wir den Jugendlichen einen Anreiz bieten, bei den Öffis zu bleiben. Wir arbeiten mit den Bundesländern daran, das Ticket weiterzuentwickeln, zum Beispiel einheitliche Regeln für die Fahrrad-Mitnahme zwischen den regionalen und den österreichweiten Tickets zu schaffen oder On Demand-Services zu bieten, zum Beispiel dass Sammeltaxis bei den Tickets im Verkehrsverbund enthalten sind. 

Die Legislaturperiode nähert sich dem Ende zu – Österreich hat noch immer kein Klimaschutzgesetz in der Verfassung. Im Juni 2024 solle der Nationale Energie- und Klimaplan an die Europäische Kommission übermittelt werden, der die Zielerreichung sicherstellen soll. Geht sich das für Österreich auch ohne Klimaschutzgesetz aus?
Ich habe in dieser Legislaturperiode noch einiges zu tun. Das Klimaschutzgesetz ist ein Vorhaben davon. Der Bodenschutz ist ein zweites Thema, auf das wir 2024 fokussieren. In den letzten dreieinhalb Jahren ist in Österreich im Klimaschutz viel mehr weitergegangen, als in den Jahren zuvor, etwa der Rekord-Bahnausbau mit 21 Milliarden Euro. In den Supermärkten gibt es immer mehr Rückgabe Automaten, weil ab Jänner die verpflichtende Mehrwegquote kommt. Wir konnten die Infrastruktur, aber auch die Zulassungszahlen der E-Autos ausbauen. Auch an den Treibhausgas-Werten sieht man, dass der Klimaschutz vorangeht: Das Umweltbundesamt zeigt, dass die Emissionen von 2021 auf 2022 um 6,4 Prozent gesunken sind, und zwar in allen Bereichen. Laut Prognosen landen wir mit den aktuellen Maßnahmen 2030 bei minus 35 Prozent. Klimaschutz ist ein Marathon, kein Sprint. Und dieser Marathon dauert bis 2040. Darum macht es auch einen Unterschied, wenn Grüne in einer Bundesregierung sind. 

Wird sich das Klimaschutzgesetz bis Ende der Legislaturperiode ausgehen?
Ich arbeite intensiv daran, weil es eines der vielen Klimaschutzgesetze ist, die wir brauchen. Das ist ein Schwerpunkt im nächsten Jahr. Der zweite Schwerpunkt liegt beim Bodenschutz. Das ist ein Thema, das ganz vielen Menschen unter den Nägeln brennt. Fährt man durchs Land, fällt auf: Ehemals freie Flächen sind nun versiegelt und zubetoniert. Der Landwirtschaftsminister arbeitet ja gerade an einer Bodenschutzstrategie. Meine Priorität dabei ist, dass wir ein verpflichtendes, gemeinsam mit den Bundesländern getragenes Ziel verankern, dass ab 2030 pro Tag nicht mehr als 2,5 Hektar Boden zerstört werden darf. . Im Klimaschutzministerium setzen wir hier einen Schwerpunkt auf Brachflächen, also auf leer stehende, alte Industriegebäude oder große Logistik-Hubs, die nicht mehr gebraucht werden. Wir wollen diese Leerstände wieder in die Nutzung bringen. Daher lade ich Ende November zu einem Brachflächen-Gipfel ein, um zu evaluieren, wie wir diese Flächen nutzen können. Dabei wollen wir jene Gemeinden und deren Projekte vor den Vorhang holen und prämieren, die zeigen, wie Bodenschutz gelingen kann. 

Wien erhält 2022 und 2023 rund 28 Millionen Millionen Euro vom Bund für den Radwegeausbau. Mit wie viel können andere Städte rechnen? 
Zu Beginn meiner Amtszeit hatten wir im Bundesbudget für den Radwegeausbau vier Millionen Euro. Für 2024 haben wir 96 Millionen Euro - und zwar als Förderprogramm, für das Städte und Gemeinden ihre Projekte einreichen können. Radfahren schützt nicht nur das Klima, sondern auch die Gesundheit, und ist gut für die Lebensqualität in unseren Städten - diese Form der Mobilität wollen wir unterstützen.

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