Kriegsfolgen
Krisenstab zur Sicherheit der Lebensmittelversorgung tagte

Der Krisenstab ist die zentrale Anlaufstelle für die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, die Interessensvertretungen sowie die Branchen- und Erzeugerorganisationen.  | Foto: BMLRT
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  • Der Krisenstab ist die zentrale Anlaufstelle für die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, die Interessensvertretungen sowie die Branchen- und Erzeugerorganisationen.
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Durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sieht sich der europäische wie auch der weltweite Lebensmittel- und Agrarsektor mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Um die Auswirkungen auf die Agrarmärkte und die Lebensmittelversorgungslage in Österreich, aber auch die EU zu analysieren, wurde ein Krisenstab eingerichtet. Wie die aktuelle Situation aussieht.

ÖSTERREICH. Nachdem das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) Ende Februar einen Krisenstab eingerichtet hat, machte sich Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger am Mittwoch bei den Expertinnen und Experten ein Bild über die aktuelle Situation.

Aktuelle Bewertung des Krisenstabs:

Auswirkungen auf den österreichischen Agrarbereich und die Lebensmittelwirtschaft seien vorerst eher kostenseitig spürbar, so der Krisenstab am Mittwoch. Das betreffe vor allem hohe Treibstoff-, Energie, Futtermittel- und Düngemittelpreise, aber auch steigende Preise bei Transport, Lagerung, Verpackung, Etikettierung und Weiterverarbeitung.

Trotz gestiegener Düngemittelpreise erfolge der Anbau von Getreide und Ölsaaten im üblichen Ausmaß. Die Versorgungslage (z.B. Futtermittel) über den EU-Binnenmarkt sei stabil, die Preise aber hoch. Aber: Aufgrund hoher Futtermittelkosten geraten insbesondere Futtermittelhersteller und der tierische Sektor wirtschaftlich zunehmend unter Druck.

Auswirkungen von Lieferengpässen bei Gas

Eine Verknappung der russischen Gas- und Energielieferungen würden den Agrar- und Lebensmittelsektor stark treffen. Dasselbe gelte für viele vor- und nachgelagerte Bereiche wie etwa Verarbeitung, Verpackung und Kühlung. Zudem seien insbesondere die Milchwirtschaft, Schlacht- und Zerlegebetriebe, die Verarbeitung tierischer Nebenprodukte und der Gemüse- und Gartenbau (z.B. Produktion im geschützten Anbau) vom Rohstoff Gas abhängig.

Die Aufrechterhaltung des EU-Binnenmarktes trägt wesentlich zur stabilen Versorgungslage innerhalb der Europäischen Union bei. Aus diesem Grund sind bereits Maßnahmen auf EU-Ebene beschlossen worden, die einer nationalen Umsetzung bedürfen bzw. bereits umgesetzt werden. Dazu gehört u.a.:

  • Österreichs Vorschlag zur Ausarbeitung einer EU-Eiweißstrategie.
  • Nutzungsfreigabe der Ökologischen Vorrangflächen/Bracheflächen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (1. Säule) zur Steigerung der Versorgungssicherheit.
  • Befristeter Krisenrahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine (Mitteilung der Europäischen Kommission - Agrarbereich).

„In einer Zeit, in der an der Haustür Europas Krieg herrscht, müssen wir auf akute Entwicklungen sofort reagieren können. Darum haben wir im Landwirtschaftsministerium einen Krisenstab eingerichtet, der im Bedarfsfall rasch handeln und notwendige Maßnahmen setzen kann. Das betrifft eine stabile Versorgungslage mit Landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die Abfederung von Kostensteigerungen.“ Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger 

Das ist der Krisenstab

Der Krisenstab ist die zentrale Anlaufstelle für die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, die Interessensvertretungen sowie die Branchen- und Erzeugerorganisationen. Rund 50 Expertinnen und Experten der Sektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des BMLRT, der Agrarmarkt Austria (AMA), der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen (BAB) und des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) bringen langjährige Expertise ein und verfügen über die notwendigen Netzwerke in Österreich und in Brüssel. Der Krisenstab trifft sich einmal wöchentlich, um die Auswirkungen auf die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft und die Versorgungslage zu bewerten. Auch werden Empfehlungen für die EU-Positionierung bzw. für Abfederungsmaßnahmen erarbeitet.

Themenfelder des Krisenstabs

• Ernährungssicherheit: Versorgungslage der österreichischen Bevölkerung mit Agrarprodukten, Lebensmitteln und Trinkwasser
• Energieversorgung: Auswirkungen auf die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft
• Agrarmärkte und Handelsbarrieren: Funktionieren des Binnenmarktes
• Eiweißversorgung: Steigerung der Anbauflächen von Eiweißpflanzen
• Düngemittelpreise und Düngemittelversorgung: laufende Marktbeobachtung und Austausch mit Vertretern der Branche
• Tierproduktion, Fleisch- und Milchmarkt: massive Belastung durch hohe Betriebsmittelpreise (Inputkosten)
• Getreide- und Ölsaatenmarkt inklusive Futtermittel: laufende Marktbeobachtung zur raschen Entscheidungsfindung für die anstehenden und zukünftigen Anbauperioden
• Obst- und Gemüsemarkt inklusive Facharbeitskräftebedarf
• Geplante und mögliche EU-Maßnahmen zur Agrarmarktstützung und Ernährungssicherheit
• Bereitstellung von öffentlichkeitsrelevanten Informationen

Nächste Woche laden Bundeskanzler Karl Nehammer und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger zum Gipfel zur Lebensmittelversorgungsicherheit ein.

Studie zu Megatrends 

Nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine, sondern auch wegen der globalen Erderwärmung hat die Hagelversicherung eine Studie zu Megatrends in der Landwirtschaft bis 2050 beim Zukunftsinstitut rund um Matthias Horx erstellen lassen ("„Die Zukunft der Landwirtschaft in Österreich 2050+“).  Diese zeigt auf, welche Megatrends, also großen Veränderungen, die Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten beeinflussen. Daraus werden konkrete Handlungsempfehlungen für den Erhalt einer smarten und nachhaltigen Landwirtschaft, die unsere Bevölkerung mit ausreichend qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln versorgt, abgeleitet. 

Folgende Megatrends (Veränderungen) sind Zukunftstreiber auf dem Land

1. Megatrend Neo-Ökologie: Ökonomie und Ökologie schließen sich bei der Neo-Ökologie nicht gegenseitig aus. Umweltbewusstsein wird vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung, Nachhaltigkeit vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor: Das Landleben wird neu gedacht, regionale und nicht zuletzt biologische Lebensmittel gewinnen weiter an Bedeutung, die konventionelle Landwirtschaft positioniert sich stark dank ausgebauter Markenprogramme und der Bodenschutz rückt zunehmend in den Mittelpunkt neo-ökologischen Handelns.
2. Megatrend Gesundheit: Die Gesundheit des Planeten und die Gestaltung unserer Umwelt sind untrennbar verbunden mit unserer individuellen Gesundheit. Vor allem die Corona-Pandemie hat diesem Megatrend einen immensen Schub gegeben: die Ernährungssouveränität als Gebot der Stunde und damit einhergehend ausreichend Äcker und Wiesen für eine stabile, vom Ausland unabhängige Produktion.
3. Megatrend Urbanisierung: Immer mehr Menschen sehnen sich auch durch die pandemiebedingten Lockdowns nach der „ländlichen Idylle“ und versuchen, diese zunehmend in den städtischen Raum zu integrieren. In der neuen Urbanität wird damit versucht, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren, wie den Wunsch nach Regionalität und auch lokaler, städtischer Autarkie mit gemeinschaftlichen Urban-Farming-Initiativen. Neben der „Verdörflichung“ der Stadt kommt es zu einer „Verstädterung“ des Landes.
4. Megatrend Konnektivität: Digitale Technologien und künstliche Intelligenz nehmen eine zentrale Rolle ein. So kann eine gesunde, vielfältige und sichere Ernährung für eine wachsende Bevölkerung sichergestellt, gleichzeitig der Klimawandel bewältigt und die Auswirkungen auf die Umwelt begrenzt werden.
5. Megatrend Globalisierung: Durch Corona und durch den Ukrainekrieg wurden Grenzen geschlossen, Wertschöpfungsketten unterbrochen. Das Verhältnis zwischen lokal und global muss neu austariert werden. Die Globalisierung wird dabei nicht verschwinden, aber sie wird sich anpassen, durch die Rückholung vieler Wertschöpfungsketten in regionale Kontexte und durch eine neue Balance zwischen Weltoffenheit und Heimatverwurzelung.
6. Megatrend Sicherheit: Klimawandel und Preisdruck beeinträchtigen das Gefühl der Sicherheit bei hofübernehmenden Generationen, auch wenn es gilt, im digitalisierten und globalisierten 21. Jahrhundert Unsicherheiten auszuhalten. Das Thema Resilienz gewinnt an Relevanz.

Welche Landwirtschaft wollen wir 2050?

„Ausgehend von den Megatrends sind vier Szenarien denkbar, wie eine österreichische Landwirtschaft 2050 aussehen könnte – von radikal bis zu einer ausgewogenen und strukturierten Landwirtschaft. Jedenfalls wird und muss sich einiges ändern, um das Megathema der Versorgungssicherheit in den nächsten drei Jahrzehnten zu erreichen.“ Mathias Horx

Im besten Szenario  hat Österreich eine robuste, smarte Landwirtschaft 2050: Satelliten und Drohnen ersetzen weitestgehend die Augen und Ohren der Bauern auf dem Feld, Roboter ihre Hände. Im Einklang mit der Natur und dank Big Data lassen sich Anforderungen und Erträge in der Landwirtschaft präziser vorhersagen, wobei die Erträge durch die Zunahme der Wetterextreme zunehmend volatil werden. Die Lebensmittelversorgung ist durch den Erhalt der noch bestehenden Agrarflächen gewährleistet, Klimaschutz ist ein Gebot der Stunde.

Handlungsempfehlungen für smarte und nachhaltige Landwirtschaft 2050+

  • Bäuerinnen und Bauern müssen wieder Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren, damit auch kommende Generationen noch in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Zudem muss die Qualität der heimischen Ernährung in der Schulausbildung Berücksichtigung finden. Der ländliche Raum gehört durch Digitalisierungsoffensiven gestärkt.
  • Faire Einkommen und Work-Life-Balance garantieren: Die Politik muss den Preiskampf um landwirtschaftliche Produkte entschärfen, Konsumentinnen und Konsumenten müssen angemessenere Preise zahlen. Der Gesundheitsschutz der Landwirte muss darüber hinaus einen höheren Stellenwert bekommen.
  • Bodenschutz priorisieren: Der Bodenverbrauch in Österreich muss so schnell wie möglich gestoppt werden. Stadt- und Gemeindeentwicklung darf nicht mehr auf Kosten fruchtbarer Flächen betrieben werden. Innovativ planen und bauen, Leerstand nutzen, aber auch politische Zuständigkeiten und Steuern reformieren – effektiver Bodenschutz setzt an vielen Hebeln gleichzeitig an. Dafür braucht es ein umfassendes Maßnahmenbündel!
  • Nachhaltigkeit intensivieren: Österreich muss zum Forschungs- und Entwicklungsstandort für Nachhaltigkeit werden. Mehr Digitalisierung, moderne Tierwohlkonzepte, verstärkter Klimaschutz und wegweisende Pflanzenzüchtungen schaffen Sicherheit unter unsicheren (klimatischen) Bedingungen.

 

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