Vor 30 Jahren
"Attentat von Franz Fuchs hat mich noch mutiger gemacht"

Pater August Janisch lebt heute im Zisterzienserstift Rein, Gratwein-Straßengel, und war zur Zeit des Attentats an ihn in Hartberg Pfarrer. | Foto: Edith Ertl
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  • Pater August Janisch lebt heute im Zisterzienserstift Rein, Gratwein-Straßengel, und war zur Zeit des Attentats an ihn in Hartberg Pfarrer.
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Zwischen 1993 bis 1996 forderten die Taten, die Brief- und Rohrbombenanschläge, von Franz Fuchs vier Todesopfer und 15 Verletzte. Drei Jahre, in denen Fuchs das Land in Atem hielt. Opfer und Adressaten waren eine symbolische Opfergruppe: Zuwanderinnen und Zuwanderer, Angehörige von Volksgruppen sowie Personen, Organisationen und Initiativen, die sich für sie engagierten. Pater August Janisch vom Stift Rein gilt als das erste seiner Opfer. Mit uns spricht er über die Ereignisse, die nun vor 30 Jahren geschahen, über die Zeit danach und über das Verzeihen.

STEIERMARK/GRATWEIN-STRASSENGEL. Am 1. Oktober 1997 ging bei der Polizei Leibnitz um 21.45 Uhr ein Anruf rein: Zwei Frauen würden sich von einer Person in einem Pkw verfolgt fühlen. Die beiden Frauen haben Angst, der Pkw ist ihnen bis zur Haustür in Gralla gefolgt. "Wollt's vielleicht einen Ausweis a seh'n?", soll der Mann gesagt haben, als die Polizei anrückte, um den Fahrzeuglenker in seinem Mitsubishi zu überprüfen und nachdem er nach Fahrzeugpapieren gefragt wurde. Er stieg aus.

"Da habt's", sagt er. Die Polizei bemerkte, dass der Mann etwas in seiner rechten Hand, die er hinter seinem Körper versteckte, hielt. Dann kam es zur Explosion einer Rohrbombe, die dem Mann beide Hände oberhalb seiner Handgelenke abtrennte; die beiden Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt. Was wie eine Routinekontrolle begann, endete damit, dass Franz Fuchs geschnappt wurde.

Aufgenommen am 13. November 1997: Franz Fuchs bei der Überstellung in die plastische Abteilung des Grazer Allgemeinen Krankenhauses | Foto: Gepa _ APA _ picturedesk.com
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  • Seit Beginn des Briefbombenterrors von Franz Fuchs sind nun 30 Jahre vergangen. Im Laufe der Zeit haben Sie viele Interviews dazu gegeben. Was hat sich für Sie emotional in den letzten drei Jahrzehnten geändert, wenn Sie an die Bedeutung der Anschläge von Fuchs denken?

Pater August Janisch: Eigentlich nichts. Ich kann nur sagen, ich gehöre jetzt ein Stückerl dazu, auch zum Terror in Österreich. Seit 30 Jahren. Das ist einfach Geschichte, das ist ein Teil meiner Lebensgeschichte. Ich habe damit keine Probleme. Ich sehe in Franz Fuchs wirklich einen armen Menschen – das hab ich schon oft gesagt. Wenn einer so talentiert ist und, auf gut steirisch, zu "nichts zu gebrauchen", das muss furchtbar sein. Vielleicht bin ich da ein alter Pfarrer, ein Seelsorger, der einfach spürt, was ein Mensch braucht.

  • Und was genau ist das?

Wertschätzung. Dass der Mensch gebraucht wird. So ein Mensch kann nirgendwo eingesetzt werden. Und da kommen dunkle Gedanken. Vor Gott wird das eine andere Geschichte sein, ob es so war oder anders. Aus rein menschlicher Sicht sehe ich das so.

  • Sie können sich noch genau an den Tag erinnern, als Sie die Briefbombe bekommen haben. Wie lange hat es gedauert, bis Sie realisierten, was passiert?

Ich war bei einem Adventgottesdienst und kam danach in mein Büro in die Pfarrkanzlei. Es war am 3. Dezember, um 11.05 Uhr. Als Pfarrer hat man jeden Tag Post und die Sekretärin hat den Brief oben auf den Stoß Post gelegt. Er war ein bisschen dicker als die anderen. Es war so, dass wir eine Flüchtlingsanlaufstelle und Flüchtlingsberatungsstelle waren, da kam viel Post mit Dokumenten, die übersetzt werden mussten. Das waren dann dickere Briefe. Also hab ich gedacht: Ok, da schickt jemand Dokumente zum Übersetzen. Dann hab ich ihn aufgemacht – und boom. Ich habe geblutet, die Brille hat es runtergehaut, am Hals habe ich geblutet. Der Daumen an der linken Hand, der war "zerquetscht". 

Im Wiener Landesgericht wurde der Briefbombenprozess fortgesetzt. Zeuge Pfarrer August Janisch, der im Dezember 1993 durch eine Briefbombe verletzt wurde. | Foto: Harald Schneider / APA-Archiv / picturedesk.com
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  • Kriminalpsychologe Thomas Müller hat (2006 in "Einführung in die kriminalpsychologische Tatortanalyse. Fallbeispiel der Bajuwarischen Befreiungsarmee") geschrieben, dass es für Franz Fuchs wohl einen "tief greifenden persönlichen Konflikt" mit den von ihm ausgesuchten Opfer gab. Haben Sie sich je gefragt: "Warum ist mir das passiert?"

Ich hab mir auch meine Gedanken gemacht. Ich hab eigentlich einen anderen Ansatz. Ich sag: Franz Fuchs war kein Fremdenhasser. Das ist meine Meinung. Er hat ein Thema gesucht, das in der Luft lag. Und an diesem Thema hat er von A bis Z gezeigt, wozu er fähig ist. Wenn das ein anderes Thema gewesen wäre – was weiß ich, der Adel oder so –, dann hätte er das auch bei dieser Gruppe gemacht. Er wollte zeigen: "Ich bin wer, ich kann was." Das war ein Hilfeschrei. Das hat aber alles nichts geholfen.

  • Das heißt, Sie haben sich nie gefragt, warum das ausgerechnet Ihnen passiert ist?

Nein, das war ganz klar. Ich glaub, er ist konkret auf mich aufmerksam geworden, weil die Steirische Kirche den ersten Flüchtlingsberater für die Steiermark für Hartberg bezahlt hat (Anm. d. Red.: Pater August Janisch war vor 30 Jahren Pfarrer in Hartberg). Damals hat man die Flüchtlinge in Pensionen gebracht, wo halt Platz war. In Hartberg gab es viel Platz. Es gab aber keine Ansprechpartner. Wir haben dann gesagt: Nein, das geht nicht, wir müssen etwas tun. Als Kirche von Hartberg haben wir, denke ich, Gutes getan. Diese Flüchtlingsberatung hat sehr gut gegriffen und dann wurden immer mehr Menschen darauf aufmerksam, weil es eine menschliche Notwendigkeit war.

Der Pater setzte sich schon immer für die Flüchtlingshilfe ein. Wahrscheinlich war das das Motiv für Franz Fuchs.  | Foto: Hermine Arnold
  • Der Pater setzte sich schon immer für die Flüchtlingshilfe ein. Wahrscheinlich war das das Motiv für Franz Fuchs.
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Dann hat das Innenministerium weitere Flüchtlingsberater bezahlt. Drei wurden angestellt. Aber das Projekt wurde wieder eingestellt, obwohl die Flüchtlinge nicht weniger geworden sind. Dann kam der Jugoslawienkrieg. Da habe ich ganz demonstrativ einem Kamerateam vom ORF gezeigt, wann die Flüchtlingsberatung in Hartberg ist, weil es sie so nicht mehr gegeben hat. Vielleicht hat er mich da gesehen. Und vielleicht war das der Knackpunkt, dass den Franz Fuchs auf mich aufmerksam gemacht hat. Das war ein paar Wochen vorher. Also vor der Briefbombe.

  • Man hat das Gefühl, das Attentat hat Sie nicht eingeschüchtert ...

Ja, selbstverständlich. Das hat mich noch mutiger gemacht. Ich hab gesagt: So, und jetzt ist es gleich noch wichtiger. Jetzt kannst du als Pfarrer etwas dazu sagen, du bist gefragt. Du kannst sagen, was sich gehört und was nicht, was man tun darf und was nicht. Ich war überall eingeladen. Und das war eine Chance, rein vom Humanitären etwas sagen hat können. 

  • Auch heute sind noch viele Fragen offen. Über seine Psyche und auch sein Motiv wurde viel geschrieben. Was denken Sie?

Das war ein ganz großer Hilfeschrei von ihm. Und wenn man den überhört – dann kann Furchtbares passieren. Man ist ja immer davon ausgegangen, dass hinter den Attentaten mehrere stecken, mindestens drei Leute. Aufgrund des technischen Wissens, das sichtbar wurde. Auch vom mathematischen, chemischen, juridischen und geschichtlichen Wissen. Und das hat ihm Sicherheit gegeben. Damit konnte er zeigen, wozu er fähig ist. Aber das ist nur mein Gedanke, ich will das nicht verabsolutieren.

Der Fall gelangte auch in die Populärkultur: Karl Markovics spielte den Attentäter im Film "Franz Fuchs – Ein Patriot", Alexander Mitterer (Bild) im gleichnamigen Theaterstück. | Foto: Wakuum
  • Der Fall gelangte auch in die Populärkultur: Karl Markovics spielte den Attentäter im Film "Franz Fuchs – Ein Patriot", Alexander Mitterer (Bild) im gleichnamigen Theaterstück.
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  • Sie haben Franz Fuchs persönlich nie kennengelernt. Wie hätten Sie sich dieses Treffen aber vorgestellt?

Ich hab mir keine Gedanken gemacht. Ich hab zwei Mal versucht, ihn zu treffen – das erste Mal, als er im Spital war. Da war ich im Krankenhaus Seelsorger. Das zweite Mal, als er im Gefangenenhaus war, über einen Wärter. Aber der hat gesagt, dass der Franz Fuchs im Hof nur alleine unterwegs ist, dass man an den nicht rankommt. Nur einmal war er mit einem anderen im Hof, mit Jack Unterweger. Ich hätte ihn nicht viel gefragt, vielleicht, wie es ihm geht. Ich hätte ihm zugehört. Was hat er zu sagen? Wer hört ihn an? Das ist meine Art. Nicht anklagend. Angeklagt wurde er eh, mit Recht. Und das war ihm auch bewusst. Sonst hätte er so in Gralla, als man ihn bei der Kontrolle erwischte, nicht reagiert.

  • Haben Sie je mit anderen Opfern gesprochen?

Mehrmals war ich mit anderen zusammen.

  • Hat es einen Konsens über Franz Fuchs gegeben?

Nein, darüber haben wir uns auch kaum ausgetauscht. Die Meinungen waren ganz unterschiedlich. Wie es klar geworden ist, wer hinter den Briefbomben steckt, ist das gleich durch die Medien gegangen. Ich war gerade bei einer Armutskonferenz und im Gottesdienst. Danach waren schon die Medien vor der Kirche und ich wurde gefragt: "Was sagen Sie, Herr Pfarrer?" Und ich hab gesagt, dass ich nichts sage. Später habe ich mich mit dem ORF zusammengesetzt und die Frage wurde noch einmal gestellt. Mein erster Satz war: Das ist ein armer Mensch. Ob ich nicht sogar gesagt habe: Das ist ein armer Kerl. Der Helmut Zilk (Anm. d. Red.: damaliger Wiener Bürgermeister, Fuchs' drittes Opfer; er verlor zwei Finger der linken Hand), den hat es sehr schwer getroffen, der war anderer Meinung über ihn. 

  • Wie sehen Sie die aktuelle Lage rund um Kriege und Terror?

Es ist schlimm. Ein Terror, der auf viel höherer Basis passiert. Russland und die Ukraine, Israel und die Palästinenser – die Konflikte, das ist furchtbar. Ich bin traurig, auch darüber, dass das nicht absehbar in Zukunft geändert wird.

Zur Person: 

  • Pater August Janisch nimmt am 4. Dezember um 19 Uhr bei einer Podiumsdiskussion zu Franz Fuchs an der Uni Graz (Sitzungszimmer GEWI, Hauptgebäude, Universitätsplatz 3/EG, 8010 Graz) teil. Mit dabei sind auch: Paul Schliefsteiner (Historiker), Florian Hartleb (Politikwissenschafter), Wolfgang Gombocz (Zeitzeuge).
  • Pater August Janisch, geboren 1942, erhielt 1995 den Anerkennungspreis des Bruno Kreisky Preises für Verdienste um die Menschenrechte.
  • Franz Fuchs verschickte zwischen 1993 und 1996 25 Briefbomben und legte drei Sprengfallen.
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