"Graz inspiriert mich": "Gefragte Frauen" mit Kinga Tóth

Über den Dächern der Stadt, im Cerrini-Schlössel auf dem Schloßberg, ist Kinga Tóth während ihrer Stadtschreibertätigkeit zu Hause. | Foto: Christopher Jörgler
  • Über den Dächern der Stadt, im Cerrini-Schlössel auf dem Schloßberg, ist Kinga Tóth während ihrer Stadtschreibertätigkeit zu Hause.
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Bald neigt sich ihr Jahr als Grazer Stadtschreiberin dem Ende zu: Mit der WOCHE blickt Kinga Tóth zurück.

Jedes Jahr vergibt die Stadt Graz das Stadtschreiber-Stipendium an einen Autor oder eine Autorin aus Europa. Aktuell genießt diesen Status Kinga Tóth aus Ungarn. Sie schreibt ihre Werke nicht nur auf Papier, sie zeichnet sie, singt sie, verpackt sie zu Soundcollagen oder verkörpert sie auf eine andere akustische oder visuelle Art. Im Interview spricht Kinga Tóth über ihre Liebe zu Sprache und die Lust, mit ihr zu experimentieren.

WOCHE: Wäre Ihr Leben ein literarisches Werk, wie würde es heißen?
Kinga Tóth: "Auf dem Weg" – ich fahre viel herum und bin ständig unterwegs. Auch wenn ich ein fixes Zuhause habe, bin ich in einer Art Zwischenzone. So kann ich leben und arbeiten.

Sie sind nun beinahe ein Jahr Grazer Stadtschreiberin. Was ist Ihr Eindruck?
Es ist eine spannende Zeit. Ich habe bisher viel umgesetzt: Ausstellungen, Performances, Videowerke, Musikstücke, ich habe ein Buch fertiggeschrieben, Workshops und Lesungen gehalten. Ich war wirklich sehr aktiv und Graz gab mir viele Angebote. Die Leute und die Organisationen sind sehr offen und haben mich dabei unterstützt, meine verrücktesten Ideen zu verwirklichen.

Welche zum Beispiel?
In einer Badewanne Musik zu machen. In der Kirche feministische, aber trotzdem gläubige Texte miteinander in Dialog zu bringen. Oder einen Workshop mit jungen Leuten, in dem wir aus Sprachfehlern neue Werke kreiert haben. Ich mag es, zu experimentieren und Dinge auszuprobieren. Mit der Kunst und Literatur zu spielen, mit Neuem, mit Altem, nichtzusammenpassende Elemente doch irgendwie miteinander zu kombinieren. Das hält die Sprache lebendig.

Was macht man als Grazer Stadtschreiberin?
Stadtschreiber gab es schon im Mittelalter. Und auch Schiller oder Goethe waren Stadtschreiber, zum Beispiel in Weimar oder in Stuttgart. Adelige stellten in der Regel Künstlern einen Platz zur Verfügung, von dem aus sie über die Stadt geschrieben haben. Ich selbst schreibe über Graz, verfolge aber auch meine eigenen Themen. Ich schreibe über die Lage der Frauen, der Kunst, der Politik – in Österreich wie auch in Ungarn.

Wie sieht es mit der künstlerischen Freiheit in Ungarn aus?
Man sagt, eine schlimme Situation ebnet den Weg für neue Formen der Kunst. Das passiert jetzt. Die Regierung versucht, alles unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber die Literatur bahnt sich ihren Weg. Es gibt neue Organisationen und Projekte, viele verschiedene Arten von künstlerischen Werken, junge und ältere Schriftsteller arbeiten zusammen. Das Miteinander wird wichtiger.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich habe meine Oma immer sehr bewundert. Sie war eine berufstätige, vielbeschäftigte Frau, die immer Zigaretten geraucht und auf der Schreibmaschine geschrieben hat. Diesen Sound habe ich geliebt. Mit drei Jahren bin ich zu ihr gegangen und habe gesagt: "Oma, wenn du stirbst, musst du mir deine Schreibmaschine geben, weil ich eine berühmte Schriftstellerin sein werde". Als Kind war ich offenbar nicht selbstkritisch, aber schon fasziniert von Buchstaben. Und so habe ich begonnen, kurze und wirklich grausame Gedichte zu schreiben. Damals über Blumen, die Natur, über Familie, später über die Liebe. Mit den Jahren lernt man, sieht ein, wie viel man nicht weiß, und dann probiert man weiter, studiert, recherchiert. Und wenn man den Mut behält, trotz all dieser Genies, die man auf dem Weg trifft, dann macht man das einfach, und dann macht man das einfach weiter.

Und was hat Ihr Interesse an der deutschen Sprache geweckt?
Als Kind habe ich in Sárvár gelebt, einer Thermalstadt, in die es immer viele österreichische und deutsche Gäste gezogen hat. Deren Sprache war für mich wunderschön, sie hat mich begeistert. Die Melodie, die Ruhe, der Klang. Ich kann mich erinnern, ich habe immer meine Armbanduhr in meiner Tasche versteckt und die Leute gefragt "Wie viel Uhr ist es?" – Nur, um mit ihnen in Kontakt zu kommen und ein bisschen auf Deutsch zu plaudern.

Wie und wo geht es für Sie weiter?
Graz wird mich noch nicht los. Mein Jahr als Grazer Stadtschreiberin ist zwar bald vorbei, aber ich werde noch hier bleiben – zumindest mit einem Bein. Ab 2020 übernehme ich den Literaturbereich von Christoph Szalay im Forum Stadtpark. Daneben nehme ich an weiteren Künstlerprogrammen in der Schweiz und in Berlin teil. Es wird spannend, ich habe viele Pläne, aber so ist mein Leben. Ich muss, wie gesagt, immer in Bewegung sein, ich kann nicht stillsitzen.

Steckbrief
1983 in Sárvár in Ungarn geboren.
Studierte unter anderem Germanistik, Kunst und Kommunikationswissenschaft.
Ist seit August 2018 Grazer Stadtschreiberin.
Ihre Literatur würde sie als "Spielende Literatur" beschreiben.

WOCHE-Wordrap
Mich inspiriert...
atmen.
Der Sinn des Lebens ist,... mit Menschen in Kontakt zu treten.
In 10 Jahren sehe ich mich... mit einem Nobelpreis (lacht).

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