Familienflüsterer Dr. Streit
Ausgrenzung ist der Samen der Gewalt
Familienflüsterer und Psychologe Philip Streit geht dem Ursprung von Gewalt durch Kinder und Jugendliche auf den Grund und plädiert für einen liebevollen und wertschätzenden Umgang miteinander.
GRAZ. Ein kleiner Bub spuckt, tritt und beißt. Ein 9-Jähriger attackiert seine Mutter mit einem Messer. Ein 13-Jähriger tritt einen 6-Jährigen tot. Ein 16-Jähriger läuft in seiner Klasse Amok. Fälle wie diese begegnen uns unter anderem in den Medien. Da stellt sich die Frage: Was steckt dahinter? Wie kommt es dazu, dass Kinder und Jugendliche gewalttätig werden?
Aggression ist nicht gleich Gewalt
Aggression ist eine in uns angelegte Verhaltensdisposition, die dazu dient, dass wir energisch und mit voller Kraft handeln, wenn wir uns bedroht fühlen. Eine Bedrohung ist es auch, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden. Aggression kann dann das Ziel verfolgen, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Wesentlich ist es, Aggression von Gewalt zu unterscheiden. Aggression ist eine menschliche Verhaltenstendenz, die auf Bedrohung erfolgen kann. Diese gilt es zu kultivieren, etwa durch gesunde Selbststeuerung. Gewalt hingegen bezeichnet ein verletzendes oder zerstörerisches Verhalten, diesem muss man mit einem klaren Nein begegnen.
Wenn wir mit Menschen ausgrenzend umgehen, machen wir sie zu Außenseitern und das kann eine Abwärtsspirale in Gang bringen. Denn, wenn Jugendlichen notwendige Handlungsstrategien und Tools fehlen, um mit Gefühlen von Frustration und Aggression umzugehen, kann das dazu führen, dass Aggression in Gewalt ausartet – etwa auch, mit dem Ziel, die eigene verletzte Würde wiederherzustellen. Besonders gefährdet sind Jugendliche, die Ausgrenzung und keine Beachtung erfahren.
Gelingende Beziehungen als Schlüssel
Was ist nun für eine gesunde Entwicklung entscheidend? Es braucht liebevolle und wertschätzende Begegnungen und gelingende Beziehungen mit klaren Strukturen. Durch gute Beziehung lernen Kinder auch, sich auf gesunde Art und Weise zur Wehr zu setzen. Eltern etwa dienen dabei als Vorbild, wichtig ist auch, dass sie selbst ein klares Nein sagen. So lernen Kinder selbst, auf Grenzüberschreitungen angemessen zu reagieren. Hier nun einige Tipps für Eltern.
- Inklusion statt Ausgrenzung: Die Aufwärtsspirale der Aggression beginnt leise mit Treten, Spucken und Schlagen der Mama oder anderen Personen. Gerade hier sind gute Beziehungen von entscheidender Bedeutung.
- Achtsame Präsenz: Es ist von wichtig, achtsam im Umgang mit den Kindern zu sein, präsent zu sein und eine Verbindung zu suchen.
- Liebevolle Wertschätzung: Sei liebevoll und wertschätzend, ganz gleich, wie sich die Kinder verhalten.
- Empathie und Verständnis: Unterstelle anderen Menschen in ihrem Handeln immer gute Motive und erkunde, welche Sehnsüchte nach Beachtung und Begegnung dahinterstecken!
- Grenzen setzen und Selbststeuerung lehren: Durch unsere Präsenz, Achtsamkeit und klare Strukturen lernen Kinder, auch ein Nein zu akzeptieren. Wenn man ein Nein versteht, kann man auch ‚Nein‘ zu seinen eigenen Impulsen und Tendenzen sagen und diesen widerstehen. Diese Selbststeuerung, die auch die Aggression kontrolliert, wird am besten durch stabile Beziehungen erlernt.
- Keine Toleranz für Gewalt: Wir sind klar und entschieden gegen jede Form von Gewalt – Schlagen, Zerstören und Selbstverletzungen sind ein klares No Go und inakzeptabel.
- Daily Hugs of Love: Für die Entwicklung der Selbststeuerung und Beziehungen ist es entscheidend, täglich Zeit für liebevolle Umarmungen (Daily Hug of Love) und freundliche Gesten (Acts of Kindness) zu nehmen. Die Investition in Zeit ist ein kostbares Geschenk (Gift of Time).
- Die Kunst des Vergebens: Lernen wir die Kunst des Verzeihens. Wenn wir bemerken, dass sich Aggression regt und die Aufwärtsspirale sich dreht, ergreifen wir entschlossene Maßnahmen und suchen bei Bedarf auch Unterstützung.
Der Experte
Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater. Seit 1994 leitet er das Institut für Kind, Jugend und Familie in Graz, das unter 0316 77 43 44 für dich da ist. Hast du Fragen, wie du dein Leben gestalten sollst, brauchst du Rat? Deine Fragen an Dr. Philip Streit gerne jederzeit an: redaktion.graz@regionalmedien.atMehr vom Familienflüsterer liest du hier:
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