Verlust der Artenvielfalt
Diese Tiere übernehmen das Grazer Stadtgebiet

- Mit zunehmender Verbauung bieten Städte wie Graz keinen Lebensraum mehr für viele heimische Tierarten. Dafür profitieren eingeschleppte Arten von den Bedingungen.
- Foto: MeinBezirk/Marie Ott
- hochgeladen von Marie Ott
Mit zunehmender Verstädterung werden immer mehr Arten aus den urbanen Räumen verdrängt und ausgerottet. Doch es gibt gewisse Tiere, die sich auch in "Betonwüsten" wohl fühlen und sich wiederum explosionsartig in Städten ausbreiten. Biologe Christian Komposch erzählt, welche "Aliens" sich in Graz angesiedelt haben und warum das ein großes Problem ist.
GRAZ. Betonbauten, versiegelte Flächen und viele Menschen – die Stadt ist für die meisten Tiere ein lebensfeindlicher Ort. "Wir haben die Lebensräume so überformt, dass sie für uns Menschen weitgehend passend sind. Die vielen Arten, die Naturlandschaften brauchen, werden dadurch aber eliminiert und lokal ausgerottet", weiß Christian Komposch vom "Ökoteam", dem Grazer Institut für Tierökologie und Naturraumplanung. "Wir haben bereits tausende Arten verloren – von gewissen Wald-, Fluss- und Flussufer-Arten ist in Graz fast nichts mehr übrig geblieben", schildert der Biologe die herbe Realität.
Neben dem Lebensraumverlust durch das Bauen von Häusern und dem Versiegeln von Flächen, kommen weitere Einflüsse im städtischen Raum hinzu, die den Tieren zu schaffen machen. So betreffen Schadstoffe, Abgase und Feinstaub nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch jene vieler Tierarten. Ein weiteres großes Thema insbesondere für nachtaktive Insekten sei zudem die Lichtverschmutzung, erklärt Komposch: "Die massenhaften Lichtquellen in den Städten führen dazu, dass sich die Tiere nicht mehr orientieren können. Sie kreisen um die Lampen, bis sie verhungern."

- Der amerikanische Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus) hat den heimischen Edelkrebs mittlerweile fast vollständig aus der Mur verdrängt.
- Foto: Christian Komposch
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
Gewisse Tiere mögen's urban
Einige wenige der ursprünglichen "tierischen Grazer" halten sich noch in den wenigen Au-Bereichen der Mur und in der Rettenbachklamm. So ist zählt der Huchen zu den wenigen Arten, die es geschafft haben und der sich über den Titel "Fisch des Jahres" freuen darf – "Obwohl die Mur relativ stark verbaut ist, schwimmen Huchen etwa an der Murinsel vorbei, was beeindruckend ist, weil die bis zu eineinhalb Meter länge erreichen."
Daneben gibt es außerdem einige Arten, die sich gut an die Umstände anpassen können, die die Menschen geschaffen haben. Ein sogenannter Kulturfolger wäre in Graz etwa die Gottesanbeterin: "In der Südsteiermark aber auch in Graz und im Umland gibt es diese Heuschreckenart überall. Die hat es geschafft, die letzten Wiesen, die wir noch haben, gut zu nutzen", so der Biologe. Und auch die Wespenspinne schafft es, die Ressourcen, die wir in Graz und in der Steiermark haben, gut zu nutzen. "Diese Kulturfolger sehen wir im Naturschutz heute als sehr positiv", sagt Komposch.

- Die Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana) ist mittlerweile eine unserer Standard-Hausspinnen.
- Foto: Christian Komposch
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
Aliens belagern unser Ökosystem
Weniger positiv sieht man jedoch jene Arten, denen nicht nur die Urbanisierung, sondern auch der Klimawandel und die Globalisierung besonders gelegen kommt: Als "Alien species" werden diese Tierarten bezeichnet, die etwa durch Warentransport "per Anhalter" in fremde Ökosysteme eingeschleppt werden und sich dort explosionsartig verbreiten. "Das einzig Positive daran ist, dass es für uns als Wissenschafter unglaublich spannend ist, diese rasante Ausbreitung zu beobachten. Aber aus naturschutzfachlicher Sicht sind diese gefährlichen Aliens eine Katastrophe", schildert Komposch.
Denn diese eingeschleppten, fremden Arten würden unser Ökosystem stark ins Wanken bringen. "Der Trugschluss: Durch diese Arten wird die Vielfalt nicht gesteigert, sondern verloren." So gäbe es zunehmend wenige Arten, die sich weltweit durchsetzen, die lokalen Arten würden aber durch starke Konkurrenzkämpfe eliminiert: "In Graz zum Beispiel kommen durch die Alien species ein paar Dutzend neue Arten hinzu, aber in Summe sind es wenige hundert Arten, die die Weltherrschaft übernehmen", so das düstere Bild, das der Biologe zeichnet.

- Der Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) ist inzwischen überall in Graz verbreitet. Die Raupen des Falters fressen Buchsbäume komplett leer.
- Foto: Christian Komposch
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
Mit diesen Arten hat Graz zu kämpfen
Ein markantes Beispiel eines Grazer "Aliens" ist der Signalkrebs, von denen es in der Mur mittlerweile hunderttausende gibt, weiß Komposch: "Dieser amerikanische Krebs hat in den Bächen und Flüssen die Herrschaft übernommen und so den österreichischen Edelkrebs fast vollständig verdrängt." Und auch den japanischen Marienkäfer sieht man in Graz genauso wie in ganz Europa immer häufiger: "Binnen zehn Jahren hat er die Herrschaft übernommen und so rund tausend heimische Arten verdrängt."
Die dramatischen Folgen, die diese "Herrschaft der Aliens" und das damit verbundene Aussterben der heimischen Arten haben können, vergleicht der Biologe mit dem Einstürzen eines Kartenhauses: "Wir wissen nicht, wann es so weit ist, aber das Herausziehen einer weiteren Karte wird es sein, die das ganze System zum Einstürzen bringt." Bereits in naher Zukunft spürbar für den Menschen würden jedenfalls medizinische Themen werden: "Mit der Tigermücke, oder den Riesenzecken, die jetzt im Anmarsch sind, werden unangenehme Dinge auf uns zukommen", befürchtet Komposch.

- Die Netzchen der Mauernspinne (Brigittea civicia) sieht man in Graz genauso wie in allen Städten in Mitteleuropa fast an jeder Hauwand. Das Tier selbst ist nur 2 Millimeter groß, jedoch färben sich ihre Netzchen durch den Staub braun und hinterlassen so einen unschönen Anblick.
- Foto: Christian Komposch
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
So kann die Artenvielfalt unterstützt werden
Bei all den negativen Entwicklungen, die die Urbanisierung in Bezug auf die Artenvielfalt mit sich bringt, möchte der Biologe den Blick dennoch zum Positiven wenden: "Wir haben immer noch Schätze hier, die wir mit aller Kraft erhalten können." Zusätzliche Verbauung oder auch weitere Kraftwerke in der Mur seien in Graz etwa Faktoren, die man hinterfragen müsste, weil sie "die letzten Dinge kaputt machen könnten, die wir noch haben."
Doch daneben könne man bereits im eigenen Hausgarten einen positiven Beitrag leisten: Hier könne jede und jeder eine kleine Oase schaffen, auch wenn es nur wenige Dutzend Quadratmeter sind. "Eine Spur weniger zu tun, ist hier die Devise: den morschen Obstbaum, die Brennnesseln stehen lassen und nicht jede Ecke penibel Mähen – in einem englischen Golfrasen hat man keinen Lebensraum." Der Mensch würde oft glauben, die Natur planen zu können, sagt Komposch. "Aber die komplexen Ökosysteme verstehen wir hinten und vorne nicht." Darum lieber einmal in die Hängematte legen und die Natur genießen und sein lassen.

Urbanisierung in Graz
Wie sich der Megatrend hin zu städtischen Lebensformen in Graz äußert, liest du auf unserer Themenseite.
Das könnte dich auch interessieren:
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.